Keuchhusten stark unterdiagnostiziert

Häufiger auftretende Infektionen mit Bordetella pertussis gefährden vor allem Babys

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.
Husten kann auch bei einfachen Atemwegsinfekten sehr anstrengend sein, unabhängig vom Alter.
Husten kann auch bei einfachen Atemwegsinfekten sehr anstrengend sein, unabhängig vom Alter.

Corona, Grippe, RSV-Infektionen und jetzt noch Keuchhusten: In diesem Winter gehen in Europa gleich mehrere schwere Atemwegserkrankungen um. Aktuell wird in England und Wales eine »Whooping cough«-Welle beobachtet: Die Zahl der Keuchhusten-Fälle ist dort in den vergangenen Monaten alarmierend stark gestiegen. Zuvor gab es ähnliche Meldungen aus Kroatien und Dänemark. Auch in Deutschland könnte sich die Lage verschärfen. »Wir befinden uns gerade in der Infektsaison«, sagt Christian Taube, stellvertretender Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin. »Neben anderen Atemwegserkrankungen, insbesondere Grippe und Covid, könnte auch Keuchhusten vermehrt auftreten.«

Vor zwei Jahren waren Keuchhusten-Infektionen selten. Dem Robert-Koch-Institut (RKI) wurden 2021 bloß 810 Fälle gemeldet. Diverse Corona-Maßnahmen führten zu einem drastischen Rückgang der Ansteckungen. Der Keuchhusten-Erreger Bordetella pertussis wird nämlich per Tröpfchen, die beim Sprechen, Husten oder Niesen entstehen, übertragen. Für 2023 dagegen gab es über 3000 Meldungen. »Die Zahlen gehen derzeit hoch«, sagt Ivo Steinmetz, Leiter des RKI-Konsiliarlabors für Bordetellen an der Medizinischen Universität Graz. Dennoch liegen sie immer noch weit unter dem Niveau der vorpandemischen Jahre. Allerdings hat die offizielle Statistik nur eine begrenzte Aussagekraft: Experten gehen davon aus, dass es eine hohe Dunkelziffer gibt.

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Für ältere Kinder und Erwachsene ist die Krankheit, die auch »Hundert-Tage-Husten« genannt wird, vor allem lästig, aber in der Regel nicht gefährlich. Der Name macht deutlich, was das wichtigste Merkmal der Krankheit ist: nämlich langer, quälender Husten. Bedrohlich kann die Infektion aber für Säuglinge werden, da sie Atemstillstände erleiden können. Außerdem ist die Gefahr von Komplikationen wie Lungenentzündungen im ersten Lebensjahr besonders groß. Da vor allem ungeimpfte Babys in ihren ersten Lebenswochen gefährdet sind, wird die Impfung seit 2020 allen schwangeren Frauen empfohlen. Dadurch soll verhindert werden, dass Mütter ihre Kinder anstecken. Außerdem geben geimpfte Schwangere auch Antikörper an ihr Baby weiter. Diese bieten aber nur einen vorübergehenden Schutz, sodass Säuglinge im Alter von zwei Monaten geimpft werden sollten.

»Früher galt Keuchhusten als Kinderkrankheit«, sagt Taube. »Inzwischen erkranken mehr Erwachsene als Kinder.« Das liegt daran, dass die allermeisten Kinder gegen Keuchhusten geimpft sind. »Hier ist die Impfquote sehr gut.« Der Impfschutz lässt aber nach ein paar Jahren nach, sodass Infektionen mit der Zeit immer wahrscheinlicher werden. Daher empfiehlt die Stiko auch allen Erwachsenen eine Auffrischungsimpfung.

Laut medizinischen Lehrbüchern verläuft klassischer Keuchhusten in drei Phasen: Nach einer Phase mit normalen Erkältungssymptomen (ein bis zwei Wochen) folgt eine Phase mit starken Hustenanfällen (vier bis sechs Wochen), die allmählich abklingen (sechs bis zehn Wochen). Charakteristisch ist ein bellender Husten, der manchmal sogar Erbrechen auslöst. Keuchhusten-Symptome könnten aber oft auch weniger charakteristisch sein, wie der medizinische Mikrobiologe Steinmetz erklärt. »Wenn man, wie die meisten, insbesondere älteren Menschen, zumindest eine Teilimmunität hat, kann die Krankheit anders verlaufen.« Häufig hat man dann nur einen lang anhaltenden Husten, kann den Erreger aber trotzdem weitergeben.

Dieser unauffällige Verlauf ist der Hauptgrund dafür, warum die wahren Fallzahlen viel höher sein dürften als die gemeldeten. »Die Krankheit ist massiv unterdiagnostiziert«, sagt Steinmetz. »Bei einem hartnäckigen Husten wird die notwendige Labordiagnostik zum Nachweis des Keuchhusten-Erregers insbesondere bei Erwachsenen häufig nicht durchgeführt.«

Dafür spricht eine Studie, die der Mikrobiologe Carl Heinz Wirsing von König vor einigen Jahren mit einem Wissenschaftlerteam durchführte. Untersucht wuden 1000 Patientinnen und Patienten, die länger als eine Woche husteten. Bei etwa zehn Prozent, also rund 100, wurde der Keuchhusten-Erreger nachgewiesen. Die offiziellen Zahlen – seit 2013 ist Keuchhusten bundesweit meldepflichtig – spiegeln also wahrscheinlich nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wider. In der offiziellen Statistik tauchen zudem nur Fälle auf, die strengen Kriterien entsprechen: So muss der Erreger nicht nur durch Labortests nachgewiesen worden sein, sondern es muss neben klassischen Keuchhusten-Symptomen zusätzlich dokumentiert werden, dass der Patient mindestens zwei Wochen lang gehustet hat.

Noch komplizierter wird die Lage, da es mit dem Keuchhusten-Erreger verwandte Bakterien gibt, die ähnliche Symptome auslösen können. Der häufigste davon ist Bordetella parapertussis, der Steinmetz zufolge in der ersten Jahreshälfte 2023 in Deutschland »eine kleine Krankheitswelle« auslöste. »Wir waren überrascht von der Schwere der Erkrankungen«, sagt er. Vor diesem Erreger schützt die Keuchhusten-Impfung vermutlich nur zu einem gewissen Grad.

Da auch Bordetella parapertussis vor allem für Babys gefährlich ist, sollte man sie möglichst von hustenden Mitmenschen fernhalten. Umgekehrt heißt das: Wer schwer hustet, sollte sich nicht auf der sicheren Seite wähnen, wenn der Coronatest negativ ist. Auch andere Erreger, mit denen man möglicherweise Säuglinge, Senioren oder Menschen mit geschwächtem Immunsystem ansteckt, können gefährlich sein.

Antibiotika helfen bei Keuchhusten übrigens nur begrenzt. »Sie wirken zwar, man muss sie aber frühzeitig einsetzen«, sagt Taube. »Die Therapie muss spätestens in der ersten oder zweiten Woche nach Einsetzen des Hustens beginnen.« Ob Antibiotika dann noch viel Einfluss auf den Verlauf der Krankheit haben, ist fraglich – klar ist aber, dass sie dafür sorgen, dass Patienten innerhalb von ein paar Tagen nicht mehr ansteckend sind. Das kann zum Beispiel eine große Rolle spielen, wenn Kinder wieder in die Kita gehen sollen. Ist Keuchhusten nachgewiesen worden, kann es in speziellen Situationen auch sinnvoll sein, dass Kontaktpersonen vorbeugend Antibiotika einnehmen – etwa dann, wenn im Haushalt ein Neugeborenes lebt.

Der beste Schutz vor Keuchhusten ist allerdings eine Impfung – in dem Punkt sind sich Experten einig. In Deutschland ist die Quote bei der Auffrischungsimpfung für Erwachsene zuletzt zwar deutlich gestiegen, sie lag 2021 nach RKI-Angaben aber dennoch nur bei knapp 50 Prozent.

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