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Ukraine-Krieg: Militärische Umverteilung
Viele EU-Staaten wollen aufrüsten, auch Deutschland. Damit beginnt die Suche nach Geldquellen – und der Sozialstaat gerät in den Blick
Die Bundesregierung will ihre Rüstungsausgaben erhöhen. Wie andere EU-Staaten auch hat sie sich bereit erklärt, das Nato-Ziel eines Militärhaushalts von zwei Prozent der Wirtschaftsleistung künftig zu erreichen und einzuhalten – und zwar auf Dauer. Das Bundeswehr-Sondervermögen über 100 Milliarden Euro wird dafür nicht reichen. Geschlossen wird die Lücke voraussichtlich auch nicht durch höhere Steuern oder Schulden. Denn beide sollen perspektivisch eher sinken. Also rücken Einsparungen in den Fokus und damit der größte Haushaltsposten: das Soziale. Die Politik steht dabei allerdings vor der »Gefahr, dass die Wähler eine solche Konsolidierung nicht unterstützen«, so das Institut für Wirtschaftsforschung (Ifo), das für dieses Problem eine Lösung anbietet.
Laut eigener Aussage sieht die Nato die »globale Sicherheitsordnung« als gefährdet an. »Die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten sind Status-quo-Mächte«, schreibt Michael Jäger in einer Analyse für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Ihnen gegenüber stehen das aufstrebende China und das zurückfallende Russland, die den Status quo verändern wollen. Aus dem Vorhaben, die gesamte geltende Weltordnung dauerhaft gegen mögliche Störungen zu sichern, erklärt sich, warum die Nato bei sich rüstungstechnische Defizite sieht, obwohl ihre Militärausgaben schon heute drei bis vier Mal so hoch sind wie die Russlands und Chinas zusammen. Der Erhalt der »regelbasierten Weltordnung« ist für die Nato-Verbündeten auch von ökonomischem Interesse, was der Bundesverband der Deutschen Industrie so ausdrückt: »Der Schutz des Völkerrechts gegenüber Russland sichert gleichzeitig die Grundlagen für internationale Wirtschaftsbeziehungen und ist daher prioritär für die Industrie in Europa.«
Donald Trumps erster Versuch
Wirtschaftliche Stärke ist die Grundlage für politische und militärische Macht, erklärt Jäger. Daher »zwingt« Chinas wirtschaftlicher Aufstieg die USA dazu, mehr Ressourcen für Asien zu mobilisieren. Infolgedessen müssten die europäischen Verbündeten der USA mehr Verantwortung für die europäische Verteidigung übernehmen. Bereits US-Präsident Donald Trump hatte versucht, die EU-Staaten dazu zu bringen, mehr Geld für Rüstung auszugeben. Dabei stieß er auf Widerstand, den er durch Handelszölle auf europäische Güter brechen wollte. Diese »Verquickung handels- und sicherheitspolitischer Ziele« kämen »einer Erpressung gleich, die in keiner Weise den bisherigen Gepflogenheiten in der internationalen Ordnung entspricht«, empörte sich damals der Politikwissenschaftler Josef Braml in einem DGAP-Papier.
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Mit der russischen Invasion in der Ukraine haben sich die Zeiten gewendet und auch in Europa ist man bereit, dauerhaft mindestens zwei Prozent der Bruttoinlandsprodukts (BIP) für Militär und Rüstung auszugeben. Das bedeutet, die Rüstungsetats müssen steigen. Denn im vergangenen Jahr kamen Länder wie Deutschland, Italien oder Spanien nur auf Werte von 1,3 bis 1,6 Prozent des BIP, so das Ifo. Von den 25 europäischen Nato-Staaten hätten nur elf die Zwei-Prozent-Marke erreicht, fast alle davon liegen in Osteuropa. Daneben merken die Ifo-Wirtschaftsforscher an: Lediglich Estland und Litauen hätten das Nato-Ziel »mit soliden Staatsfinanzen« erreicht. Bei allen anderen lagen die Neuverschuldung und die Gesamtverschuldung oberhalb der in Europa geltenden Vorgaben. Zum Beispiel in Griechenland, das im Nato-Sinne mit Verteidigungsausgaben in Höhe von drei Prozent des BIP vorbildlich ist. Gleichzeitig aber liegt die Staatsschuld bei 160 Prozent des BIP.
Um das Nato-Ziel zu erreichen, so das Ifo, müssten die europäischen Länder zwischen vier und fünf Prozent ihrer gesamtstaatlichen Ausgaben für die Verteidigung bereitstellen. Woher könnte das Geld kommen? Nicht aus zusätzlicher Verschuldung, mahnen die Ökonomen. Denn die Staatsschulden lägen bereits hoch. Zudem verlangen Anleger inzwischen höhere Zinsen für Kredite. »Schon heute geben sieben der 25 europäischen Nato-Staaten inklusive Schweden mehr Geld für Zinszahlungen als für Verteidigung aus«, so das Ifo. Mittelfristig würden die Zinszahlungen Mittel aufbrauchen, die ansonsten für Verteidigungsausgaben oder andere notwendige Investitionen zur Verfügung stehen würden.
Zweite mögliche Geldquelle: Steuererhöhungen. Dagegen wendet das Ifo-Institut ein, dass »das Gesamtsteuerniveau in Europa im Durchschnitt sieben Prozentpunkte höher ist als in Asien und 15 Prozentpunkte höher als in Amerika. Eine Erhöhung der Steuerlast könnte sowohl das Wirtschaftswachstum als auch die zusätzlichen Staatseinnahmen stark beeinträchtigen.« Sprich: Als Wirtschaftsstandorte stehen die Nato-Staaten im Steuerwettbewerb miteinander. Höhere Steuern machen einen Standort relativ unattraktiver für Investor*innen, was wiederum das Wirtschaftswachstum schädigen kann. Und das Wirtschaftswachstum wiederum liefert die Mittel zur Aufrüstung. »Ohne eine solide wirtschaftliche Grundlage können politische und militärische Ambitionen nicht aufrechterhalten werden«, so Jäger.
Damit bleiben als Finanzierungsquelle nur Einsparungen im Haushalt. Die sollten laut Ifo aus dem Sozialetat kommen. Denn er sei der größte Posten in den Staatsbudgets und sei zudem in den letzten Jahrzehnten gewachsen. Ermöglicht wurde dieses Wachstum, so das Ifo, auch durch das Ende des Kalten Kriegs: Damals seien die Militärausgaben relativ gesunken, was den europäischen Staaten nach 1991 eine Friedensdividende von 1,8 Billionen Euro beschert habe. Diese Friedensdividende konnte »genutzt werden, um den Ausbau des Wohlfahrtsstaates zu finanzieren«, so das Ifo. »Während Europa seit dem Ende des Kalten Krieges gut von der Friedensdividende profitiert hat, haben es die Regierungen versäumt, für eine Zeit zu planen, in der diese Dividende zu Ende gehen könnte.« In der Perspektive des Ifo wären Kürzungen im Sozialen zwecks Aufrüstung daher gerechtfertigt – schließlich sei ein Teil der Sozialausgaben nichts weiter als in der Vergangenheit leichtfertig unterlassene Rüstungsausgaben. Nun müsse die Friedensdividende in Richtung Verteidigung »rückverteilt« werden.
Bevölkerung wenig begeistert
Insgesamt, so schätzt das Institut, reiche eine Umschichtung von etwa einem Prozent der Nicht-Verteidigungsausgaben durch die Regierungen zugunsten der Verteidigung aus, um das Nato-Ziel zu erreichen. Das Problem: Sparhaushalte könnten die »politisch zersplitterten Gesellschaften in Europa weiter polarisieren«, so das Ifo, »in einigen Ländern befürwortet die Öffentlichkeit nicht einmal eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben«. Laut Jäger hängt bei geopolitischen Machtfragen »viel von der Bereitschaft der Bevölkerung ab, den langfristigen Wettbewerb durch Verzicht auf gegenwärtigen und zukünftigen Konsum zu unterstützen«.
Europas Regierungen befinden sich also in einem Dilemma. Das Ifo-Institut rät der Politik daher, schonend vorzugehen: »Um jedoch eine ›Kanonen-gegen-Butter‹-Debatte zu vermeiden, können die Regierungen beispielsweise damit beginnen, keine neuen sozialpolitischen Maßnahmen oder ineffizienten Subventionen zu verabschieden oder die Mechanismen für automatische Erhöhungen von Sozialleistungen anzupassen.« Der Industrieverband BDI fordert eine Aufklärungskampagne: Es gelte »im deutschen politischen öffentlichen Bewusstsein zu verankern«, dass ohne eine Sicherheits- und Verteidigungsindustrie »der Erhalt unserer Lebensgrundlagen für ein freiheitliches und nachhaltiges Leben in unserem Land schlicht nicht möglich« ist.
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