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»Die Jüdin von Toledo«: Oper und Staatsmoral
Die Uraufführung von Detlev Glanerts »Die Jüdin von Toledo« an der Semperoper Dresden
Die schöne Jüdin Rahel und der kastilische König Alfonso, ein Paar inmitten der Glaubenskriege auf der Iberischen Halbinsel im 12. Jahrhundert – dieser Stoff hat viele Künstler interessiert. Ein Höhe-, aber nicht der Endpunkt dieser Reihe ist der Roman »Die Jüdin von Toledo« von Lion Feuchtwanger, in dem die mittelalterlichen religiösen Fanatiker für die Reaktionäre des 20. Jahrhunderts stehen und die Möglichkeit von Vernunft und Fortschritt verhandelt wird.
Den gleichen Titel trägt ein Trauerspiel, das der österreichische Dramatiker Franz Grillparzer nach dem Scheitern der Revolution von 1848 verfasste. Hauptfigur ist freilich der König. Alfonso hat von klein auf nie etwas anderes als Arbeit für den Staat gekannt, ist in einer lieblosen Ehe gefangen und so leichte Beute der verführerischen Rahel. Bald aber kehrt er zu seiner Pflicht im Staat zurück. Dass seine Getreuen etwas voreilig die Jüdin töten, akzeptiert er schließlich. Der Monarch ist durch die Erfahrung der Liebe zu einem ganzen Menschen geworden. Am Ende zählt die Amtspflicht, und der Tod der Frau wird in dieser Moral als notwendiges Opfer abgehakt.
Hans-Ulrich Treichel hat für Detlev Glanert ein Libretto »frei nach« dem Drama von Grillparzer verfasst. Tatsächlich sehr frei: Das Handlungsgerüst bleibt zwar erhalten, doch die Wertungen werden ins Gegenteil verkehrt. Dafür rückt Treichel das Politische in den Vordergrund. Die kastilischen Granden, mitsamt der gehässigen Königin, wollen einen Krieg gegen die Muslime. Alfonso will den nicht. Rahel – kapriziös wie bei Grillparzer – steht für eine andere Welt. Grillparzer ist daran interessiert, wie ein König sich verliert und wie er sich wieder diszipliniert. Das Sinnliche dazwischen spart er aus. Bei Treichel und besonders in Glanerts Komposition kommt es vor. Es sind utopische Passagen der Ent-Härtung, und Regisseur Robert Carsen inszeniert dazu im Hintergrund eine Verständigung von Vertretern der drei Religionen Christentum, Islam und Judentum.
Nur kann das nicht dauern. Königin und Adel denunzieren Rahel als Spionin im Dienste der Muslime. Alfonso muss zwischen Machtverzicht und Verrat an der Geliebten wählen. Anders als bei Grillparzer stimmt er dem Mord an der Jüdin zu. Am Ende ist er wieder Repräsentant des Staates. Während im Vordergrund Rahels Schwester die Tote beklagt, rüstet sich der Chor lautstark zum Krieg. Mit Projektionen von Waffen und dann von zerbombten Gebäuden, wie sie in der Ukraine und in Gaza zu sehen sein mögen, bezieht Carsen den Schlussakt auf die Gegenwart. Dass die »FAZ« hier anti-israelische Umtriebe witterte, muss nicht gegen die Inszenierung sprechen. Überhaupt drückt Carsen dem Werk keine Idee auf, sondern entwickelt seine Ideen aus dem Werk heraus, was heute leider nicht selbstverständlich ist. Er setzt damit eine Zusammenarbeit mit Glanert fort, die schon 2019 mit der Uraufführung von »Oceane« an der Deutschen Oper Berlin erprobt wurde.
Musikdramaturgisch funktioniert dies alles außergewöhnlich gut. In den knapp zwei Stunden reiner Spielzeit gibt es keine Längen. Glanerts Komposition beruht, was Ausdruckscharaktere und Form angeht, auf tradierten Mustern. Es ist eine Ästhetik, die auf Verständigung mit dem Publikum setzt. Es geht um etwas Heutiges, das soll vermittelt werden, doch nicht trivial und nicht ohne Anstrengung. Man muss schon hinhören, um zu sehen, wie Glanert Chor-und Ensembleszenen erneuert.
Dabei (dies wären mögliche Einwände) geht es zuweilen musikalisch so dicht zu, dass die Durchhörbarkeit leidet; und Höhepunkte folgen so schnell aufeinander, dass sie mit mehr ruhigen Passagen dazwischen besser zur Geltung kämen. Diese Kritik aber wiegt gering gegenüber dem, was in dieser Oper gelungen ist: die prägnante Charakterisierung der Hauptfiguren und die Fülle an Orchesterfarben, die das Geschehen tragen und an vertraute Klangmodelle anschließen, ohne je dem Klischee zu verfallen. Der Jubel des Premierenpublikums, besonders für den Komponisten, war groß und berechtigt. Glanerts Musikästhetik steht für das heute Sinnvolle: Oper als Kunst mit Publikum zu bewahren, es diesem Publikum nicht zu gemütlich zu machen, dabei Aufgaben zu stellen, die für ein gutwilliges Ohr lösbar sind.
Zum Erfolg trug das Dirigat von Jonathan Darlington ebenso bei wie die Besetzung der Hauptrollen. Unter ihnen ist besonders Christoph Pohl als Alfonso zu nennen, dem freilich die Komposition auch die größte Vielfalt an Haltungen zubilligt; der König bleibt auch hier die Hauptfigur. Er ist zuweilen auftrumpfend als Herrscher und zärtlich als Liebender – bis hin zum Kleider- und Geschlechterrollentausch mit Rahel, eine Erfindung Treichels. Als hilflos und schwach erweist sich Alfonso gegenüber der Königin Eleonore, die ganz auf die Logik der Machtpolitik setzt und – auch wo sie privat empfindet – an kaum mehr als an Hass und Tod denkt. Tanja Ariane Baumgartner gibt dieser Figur die Gewaltsamkeit und den Sarkasmus, den die Partitur fordert. Ihr zur Seite steht Markus Marquardt als Manrique, einst Erzieher des Königs und nun Vertreter der Staatsraison.
Wie gesagt, spitzt Treichel gegenüber Grillparzer den politischen Konflikt zu. Im Drama wird ausführlich moralisiert. In der Oper ist dagegen klar, dass Eleonore und Manrique einen Staatsstreich gegen Alfonso planen und der sich nur durch eine Wendung gegen Rahel retten kann. Sie wollen um jeden Preis den Krieg. Grillparzer verklärt die Staatsmoral, Treichel und Glanert üben moralische Kritik an einem Staat, der die Liebe zerstört und den Krieg führt. Sie werten das Private auf. Gewiss ist dies uns heute sympathischer. Die Frage ist, ob nicht – solange in der Welt Kriege drohen und ein Staat potenzieller Feind des anderen ist – beide Seiten des Konflikts zwischen Glück und Pflicht im Kunstwerk starkzumachen wären. Das wäre der Schritt vom Traurigen zum Tragischen.
Nächste Vorstellungen: 15.2., 18.2., 26.2., 1.3., 8.3.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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