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- Digitaler Hass gegen Frauen
Hass auf Streamerin Shurjoka: Ein lukratives Geschäft
Veronika Kracher über Hasskampagnen gegen die Schauspielerin Heard und die Streamerin Shurjoka
Frauen lügen. Vor allem, um Männern eins reinzuwürgen. Dafür ist ihnen jede noch so intrigante Niedertracht recht. Falsche Anschuldigungen bezüglich sexueller Gewalt zum Beispiel – eine mächtige, feministische Superwaffe, um unschuldige Männer zu canceln. Die schlimmsten Lügnerinnen sind sowieso Feministinnen – deren ganzes Denken und Tun darauf ausgerichtet ist, Männern das Leben so schwer wie möglich zu machen. Außerdem sind sie psychotisch, ungefickt, Schlampen, nur auf den eigenen Vorteil bedacht, hysterisch und berechnend – alles gleichzeitig natürlich.
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Diese misogynen Mythen sind zwar allesamt Blödsinn, um die eigene patriarchale Vorherrschaft zu sichern. Aber sie sind nach wie vor fest im gesellschaftlichen Diskurs verankert. Und diese Mythen kochen immer wieder hoch, wenn gekränkte, frauenhassende Internet-Männer ihr aktuelles Feindbild an den digitalen Pranger stellen und angreifen.
Digitale Hasskampagnen sind ein probates Mittel im rechten Kulturkampf, und immer wieder treffen sie FLINTA*, also Frauen, Lesben, inter, nicht-binäre, trans und agender Personen. Das liegt erstens daran, dass gekränkte Internet-Männer kaum jemand mehr hassen als (vor allem linke) Frauen und Queers. Zweitens: Misogyne und queerfeindliche Ressentiments sind auch in der bürgerlichen Mitte weit verbreitet und dienen regelmäßig als »Türöffner« nach Rechtsaußen. Und drittens: Soziale Medien bedienen alleine schon aufgrund ihrer Struktur bereitwillig reaktionäre Affekte und eignen sich ganz hervorragend, diese mit Desinformationen, Memes und Propaganda zu unterfüttern.
Veronika Kracher, geboren 1990, hat Soziologie und Literatur studiert und ist seit 2015 regelmäßig als Autorin und Referentin mit den Arbeitsschwerpunkten Antifeminismus, Rechtsextremismus und Online-Radikalisierung tätig. Zudem ist sie Expertin für belastende Männer im Internet. Für »nd« schreibt sie die monatliche Kolumne »Jenseits des Patriarchats«.
Das Ganze hat zudem ein massenpsychologisches Moment: Es soll Spaß machen, gemeinsam auf einer Frau herzumzuhacken, die diese Gewalt vermeintlich verdient hat, weil sie Feministin/Lügnerin/eine Frau ist.
Drastischste und bekannteste Beispiele für misogyne Hasskampagnen sind das Gamer Gate vor rund zehn Jahren, was als Ursprung der Alt-Right zu begreifen ist, als auch die brutale Schmierenkampagne gegen die Schauspielerin Amber Heard. Das »Argument« von Gamer Gate lautete, knapp zusammengefasst: »Feminist*innen wollen durch falsche Sexismus-Vorwürfe die Gaming-Community durch eine woke Agenda zerstören! Um das zu erreichen, schlafen sie auch mit linken Videospieljournalisten!« Die Betroffenen erhielten unzählbare Todes- und Vergewaltigungsdrohungen. Ihre Glaubwürdigkeit als Wissenschaftler*innen oder Videospielentwickler*innen wurde angezweifelt. Ihre Vorträge wurden gestört. Sie wurden in frauenfeindlichen Memes dehumanisiert. Ihre Adressen wurden veröffentlicht, sie mussten mehrfach den Wohnort wechseln. Über die kommenden Jahre fanden sich auf YouTube unzählige antifeministische Videos.
Amber Heard war im Jahr 2022 eine viel gehasste Frau – weil sie es gewagt hatte, ihren Ex-Mann, den Schauspieler Johnny Depp, der häuslichen Gewalt zu beschuldigen. Für einige Monate war es salonfähig, sich über ein Gewaltopfer lustig zu machen – weil sie angeblich Depp verleumden würde. Vorne mit dabei waren übrigens zahlreiche YouTuber*innen, die ihre Karriere im Rahmen von Gamer Gate begonnen hatten.
Der deutschsprachige Raum hat inzwischen sein eigenes Gamer Gate: die Kampagne gegen die Streamerin Shurjoka, die inzwischen seit über einem Jahr von einer Mischung aus Streamern und YouTubern angegriffen und diffamiert wird. Auch Shurjoka, die unter anderem für ihren feministischen Aktivismus als »Spielerin des Jahres« ausgezeichnet wurde, wird beschuldigt, einem Mann »fälschlicherweise« sexuelle Belästigung unterstellt zu haben. Dies dient als Rechtfertigung für über hundert Videos, in denen sie pathologisiert, verhöhnt, verleumdet und sexualisiert beleidigt wird. Ein Streamer – der übrigens bereits wegen Volksverhetzung und häuslicher Gewalt in der Kritik stand – hatte sogar als Trinkspiel einen Stream kommentiert, in dem Shurjoka unter Tränen von den Angriffen gegen sie erzählt hatte.
Die Fans dieser misogynen Streamer finden das lustig, wieder gezielt bereits existente frauenfeindliche Ressentiments bedient werden. Eine sichtbare, erfolgreiche Frau, die es wagt, den Mund zu weit aufzumachen und über Feminismus zu sprechen, soll zum Schweigen gebracht werden. Gleichzeitig fungieren diese Angriffe auch immer als Warnung an andere Frauen: »Halte mal lieber den Ball flach – sonst kannst du die nächste sein.«
Plattformen unternehmen in der Regel nichts gegen diese Flut an Hass-Content und lassen Betroffene mit der digitalen Gewalt alleine. Weil: Frauenhass im warenproduzierenden Patriarchat ein lukratives Geschäft ist, und nach wie vor zu viele Menschen sich aktiv daran beteiligen.
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