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Auf welchen Schultern wir stehen
Harald Jentsch erinnert an Robert Siewert, einen zu Unrecht vergessenen antifaschistischen Helden
Tatsächlich: Noch heute sind Straßen in Berlin, Chemnitz und Weimar nach ihm benannt. Hingegen verloren Schulen in Brandenburg und Sachsen seinen Namen, schließlich war Robert Siewert (1887–1973) eine der höchstdekorierten Persönlichkeiten des »Unrechtsstaates«. Aber kaum einer kennt den Zimmermann Robert Siewert, der 1906 der SPD beitrat und über die USPD zur KPD kam, die ihn als »Versöhnler« ausschloss. Mit anderen Kommunisten, die den Kurs der Partei kritisch sahen, bildete er die KPD-O. Das O stand für Opposition. Mancher Linientreue sagte jedoch »KPD-Null«. Das war durchaus abfällig gemeint. Und dieses Kainsmal haftete Robert Siewert bis zum Lebensende an.
Als überzeugter Kommunist leistete er aktiven Widerstand im Nazireich. Dem Zuchthaus folgte 1938 das KZ Buchenwald – und das bis zum bitteren Ende. Siewert gehörte der dortigen illegalen Lagerleitung an und überlebte seine drohende Hinrichtung allein durch die Selbstbefreiung des Lagers. Er hatte auf der Trauerfeier für den ermordeten Ernst Thälmann, der seinen Ausschluss anderthalb Jahrzehnte zuvor veranlasste, das ehrende Wort ergriffen. Nach dem Krieg wurde Siewert Opfer der nächsten Parteisäuberung. Später wurde er rehabilitiert und mit Orden überhäuft. Der Makel blieb haften: »Versöhnler«.
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Harald Jentsch hat nun eine sehr kenntnisreiche und umfangreiche Biografie vorgelegt über diesen Mann, dessen Urnengrab sich am Pergolenweg neben der Gedenkstätte der Sozialisten in Berlin-Friedrichsfelde befindet. Der gebürtige Leipziger beschäftigt sich seit 1993 mit der Geschichte der Arbeiterbewegung und promovierte 2004 in Darmstadt mit der Arbeit »Die KPD und der ›Deutsche Oktober‹ 1923. Ein Beitrag zur politischen Soziologie«. Jentsch, ein in Borna ausgebildeter Betriebsschlosser, hatte von 1985 bis 1990 an der Leipziger Karl-Marx-Universität studiert, danach in verschiedenen Wirtschaftsunternehmen und in sozialen Einrichtungen gearbeitet. Seit 2016 gehört er dem Gesamtpersonalrat des Stadtkonzerns Offenbach an. Allein diese Entwicklung ist ungewöhnlich und darum der Erwähnung wert.
33 Jahre nach dem Ende der DDR gibt es jetzt also die erste marxistische Biografie eines Mannes, der in der SED trotz seiner aufrechten Gesinnung zeitweise schwer schikaniert und am Ende seiner Tage von der DDR angemessen geachtet und gewürdigt worden war. Karl Schirdewan, Großvater des jetzigen Chefs der Linkspartei, hatte als Vorsitzender der Westkommission die Notwendigkeit einer Säuberung der SED damit begründet, dass es den »Agenten der Imperialisten, den Trotzkisten, den Titoleuten, den Leninbündlern und den Brandlerleuten« gelungen sei, sich in Positionen der Partei einzuschleichen, weshalb eine »rücksichtslose Entfernung der Parteifeinde durchgeführt werden« müsse. Bis Mai 1952 wurden rund 150 000 Mitglieder und Kandidaten ausgeschlossen.
Robert Siewert, einer dieser »Brandler-Leute«, war genötigt worden, in dieser Zeitung Selbstkritik zu üben. Am 25. Januar 1951 erschien im Zentralorgan sein selbstbezichtigender Beitrag unter der Überschrift »Der Weg der KPO – von einer parteifeindlichen Gruppierung zum Verrat an der Arbeiterklasse«.
Zehn Prozent der 1800 von der Parteistatistik erfassten früheren Mitglieder der KPD-O wurden aus der SED ausgeschlossen. Siewert war bereits vor Gründung der DDR als Innenminister und stellvertretender Ministerpräsident Sachsen-Anhalts abberufen und am 5. September 1949 per Beschluss des Kleinen Sekretariats des ZK der SED nach Berlin beordert worden. Er wurde – mit 62 Jahren – ein wichtiger Mann im Bauministerium und dort verantwortlich für das Wohnungsneubauprogramm.
Daneben war er in nationalen und internationalen antifaschistischen Gremien aktiv. Am 27. Februar 1961 reiste Siewert beispielsweise im Auftrag des Präsidiums des Komitees der antifaschistischen Widerstandskämpfer nach Hannover, um mit dem niedersächsischen Ministerpräsidenten Hinrich Wilhelm Kopf (SPD) über die Beteiligung von 10 000 ostdeutschen Antifaschisten am Ostergedenkmarsch zum ehemaligen KZ Bergen-Belsen zu sprechen. Erst wurde er von westdeutschen Grenzbeamten gestoppt: »Herr Siewert, Ihr Besuch ist in Hannover nicht erwünscht.« Nach Rücksprache mit Hannover durfte er weiterfahren. Aber im Büro des Ministerpräsidenten wurde ihm mitgeteilt, dass dieser nicht zu sprechen sei. Siewerts Bitte, eventuell mit einem verantwortlichen Mitarbeiter reden zu dürfen, wurde ebenfalls abschlägig beschieden.
Mit seinem 80. Geburtstag beendete Siewert Ende 1967 seine berufliche Tätigkeit im Ministerium für Bauwesen. Hätte ihm Minister Wolfgang Junker nicht bei der Gratulation die Hand auf die Schulter gelegt mit den Worten »Jetzt ist Schluss, Robert!« – Siewert wäre dort wohl noch länger wissenschaftlicher Mitarbeiter geblieben.
Harald Jentsch hat eine dokumentengestützte Biografie eines Mannes erarbeitet, der inzwischen, wie so viele seinesgleichen, vergessen ist. Das liegt nicht nur an der antikommunistischen Gegenwart, in der alles gnadenlos untergepflügt wird, was nach einer gesellschaftlichen Alternative ausschaut. Die Lektüre solcher Lebensläufe aber macht uns bewusst, auf welchen Schultern wir stehen, wer diese antifaschistische, aufgeklärte Zivilgesellschaft, auf die sich heute viele etwas zugutehalten, mitbegründen half.
Harald Jentsch: Robert Siewert. Eine Biografie. Verlag am Park in der Edition Ost, 396 S., br., 25 €.
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