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Widerstand in Baschkortostan
Bei den größten Protesten in Russland seit langer Zeit kamen Nationalismus und Umweltschutz zusammen
Mitte Januar geschah in Baschkortostan etwas Ungewöhnliches für das aktuelle Russland. Zwischen 5000 und 10 000 Menschen gingen im kleinen Ort Bajmak in der russischen Teilrepublik am Ural bei eisigen Temperaturen auf die Straße. Sie waren gekommen, um den bekannten Aktivisten Fail Alsynow zu unterstützen, der sich als Mitglied der baschkirischen Nationalbewegung einen Namen gemacht hatte.
Vor Gericht stand Alsynow, weil er im April 2023 an Umweltprotesten in der Nähe von Bajmak teilgenommen hatte. Dort kritisierte er nicht nur das seit 2019 amtierende Oberhaupt der Republik, Radij Chabirow, sondern auch die Ausbeutung der Bodenschätze. Russen, Tataren und »kara halyk« (»schwarze Menschen«) werden wieder nach Hause fahren, wenn die Bodenschätze abgebaut sind. Die Baschkiren werden indes in der ausgebeuteten und verschmutzten Region zurückbleiben, sagte Alsymow in seiner Rede. Kurz darauf zeigte ihn Chabirow wegen Volksverhetzung an. »Schwarze« ist im Russischen eine rassistische Bezeichnung für Menschen aus dem Kaukasus. Das sah auch das Gericht so und verurteilte Alsynow zu vier Jahren Haft.
Protest mit nationalistischer Note
Teller und Rand ist der nd.Podcast zu internationaler Politik. Andreas Krämer und Rob Wessel servieren jeden Monat aktuelle politische Ereignisse aus der ganzen Welt und tischen dabei auf, was sich abseits der medialen Aufmerksamkeit abspielt. Links, kritisch, antikolonialistisch.
Alsymows Anhänger sehen in seinen Worten hingegen die baschkirische Bedeutung »gemeines, einfaches, abhängiges Volk« und reagierten mit »Wir sind alle ›kara halyk‹«-Rufen auf das Urteil. Den Schneeballwürfen aus der Menge heraus begegneten die Polizeikräfte mit Tränengas, Blendgranaten und Gummiknüppel.
Das Urteil ist das vorläufige Ende der Feindschaft zwischen dem Aktivisten und dem Oberhaupt der Republik, die sinnbildlich für die Verhältnisse in Russland steht. Chabirow galt zunächst als Hoffnungsträger der Baschkiren, nachdem sein Vorgänger Rustem Chamitow Baschkirisch als Schulsprache abgeschafft hatte. Noch vor seinem Amtsantritt knüpfte Chabirow Kontakte zu nationalen Organisationen in der Republik. Nach seiner Ankunft wollte er davon indes nichts mehr wissen. Stattdessen forcierte er den Abbau von Soda und Gold, was vier geschützte Naturdenkmale, die Schichane, gefährdete.
Im August 2020 stoppten 3000 Aktivisten mit einem zweiwöchigen Protest die Abbauarbeiten am Schichan Kuschtau. Doch bei dem Protest ging es um mehr: Umweltpolitische und nationalistische Forderungen kamen zusammen, Alsynow wurde zum Intimfeind Chabirows.
Größte Proteste nach Kriegsbeginn
In Baschkortostan haben nationale Konflikte eine besondere Sprengkraft. Schon mehrfach kam es zu tätlichen Auseinandersetzungen zwischen baschkirischen Nationalisten und Russen, die für die Abschaffung der nationalen Autonomie eintreten. Auch Arbeitsmigranten aus dem Kaukasus wurden zur Zielscheibe. Die Baschkiren stehen unter hohem Assimilationsdruck durch die Russen, aber auch die Tataren. Sie selbst bilden mit knapp 26 Prozent der Bevölkerung nur eine Minderheit in der eigenen Republik. Alsynow und seine Mitstreiter fordern deshalb mehr Föderalismus und eine größere Bedeutung des Baschkirischen.
Die Proteste in Bajmak waren, abgesehen von den ersten Tagen des Krieges gegen die Ukraine, die größten in Russland seit fast zwei Jahren. Und sie hallen bis heute nach. Während der Proteste und in den Tagen danach wurden 111 Menschen festgenommen, 26 erhielten eine Anzeige. Am 26. Januar starb der 37-jährige Rifat Dautow in Polizeigewahrsam. Dass Chabirow keine Beileidsbekundung abgeben wollte, führte zu einer neuen Empörungswelle.
Protest richtet sich nicht gegen den Krieg
Unter Wahrung seiner Anonymität erklärt ein Politikwissenschaftler aus der baschkirischen Hauptstadt Ufa »nd«, dass die Menschen in der Republik das Urteil als persönliche Rache Chabirows am Aktivisten wahrnehmen, der dadurch noch mehr an Popularität gewinnt. Dies bedeutet jedoch nicht, so der Politikwissenschaftler, dass die Unzufriedenheit mit der regionalen Politik sich automatisch in eine Proteststimmung gegen Präsident Wladimir Putin und den Krieg in der Ukraine ausweitet.
Die Antikriegsstimmung ist eher ein Phänomen der Städte. Die Mehrheit der Baschkiren lebt indes auf dem Land, wo das Lebensniveau sehr niedrig ist. Die Teilnahme an der »militärischen Sonderoperation« bleibt für viele Männer eine Alternative zur wesentlich schlechter bezahlten Aufsicht bei der Öl- und Erdgasförderung. Auch Aktivist Alsynow, der zwar sagte, der Ukraine-Krieg sei »nicht der Krieg der Baschkiren«, hat bisher jegliche Statements gegen den Krieg vermieden.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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