Berlin: Briefe gegen den Marktradikalismus

Mietaktivist Ralf Hoffrogge zum Verhältnis von Vergesellschaftungsinitiative und Berliner Genossenschaften

  • Interview: Günter Piening
  • Lesedauer: 6 Min.
Sollen große Wohnungsunternehmen enteignet werden? Kritische Genossenschaftler meinen ja.
Sollen große Wohnungsunternehmen enteignet werden? Kritische Genossenschaftler meinen ja.

Vor fünf Jahren meldeten sich Genossenschaftsmitglieder öffentlich mit harter Kritik an ihren Dachverbänden zu Wort. Eine Überraschung, denn normalerweise hört man nichts aus den Genossenschaften, was nicht Vorstandsmeinung ist. Woher kam die plötzliche Kritik?

Der Wohnungsverband BBU hatte damals ein Gutachten in Auftrag gegeben, um nachzuweisen, dass Vergesellschaftung verfassungswidrig sei. Viele Genossenschaften sind Mitglied in diesem einflussreichen Verband, das heißt, das Gutachten wurde mit dem Geld der Genoss*innen bezahlt. Das hat viele geärgert. Gemeinwirtschaft ist eine urgenossenschaftliche Idee – das haben andere auch so gesehen, und es entstand eine kleine Protestwelle mit weiteren offenen Briefen und verschiedenen Öffentlichkeitsaktionen. Alle hatten das gleiche Ziel: klarzumachen, dass der BBU und die ihn tragenden Genossenschaftsvorstände nicht in ihrem Namen sprechen.

Interview

Ralf Hoffrogge gehört zu Inititator*innen eines 2019 geschriebenen offenen Protestbriefs gegen die Angriffe auf das Volksbegehren »Deutsche Wohnen & Co enteignen« (DWE) durch den Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungs­unternehmen (BBU). Der BBU ist der Dachverband von Genos­sen­schaften und landeseigenen Wohnungs­unternehmen, ihm gehören auch die Konzerne Vonovia und Deutsche Wohnen an. Der Protestbrief war unter dem Motto »Nicht in unserem Namen« von einer eine Gruppe Berliner Genossenschafter*innen verfasst worden und gab kritischen Genossenschafter*innen den Impuls sich zusammenzuschließen.

In dem Brief steht, der BBU solle zurück zu seinen Wurzeln. Wieso haben sich der BBU und viele Genossenschaften davon entfernt?

Ein Kern des Genossenschaftsgedankens ist, dass die Gemeinschaft der Mitglieder etwas schafft, was das Großkapital nicht zur Verfügung stellt, nämlich preiswerten Wohnraum. Mit dem Ende der Wohnungsgemeinnützigkeit wurde diese Idee 1990 quasi von Staats wegen abgeschafft. Der BBU ist auf den Zug aufgesprungen, und auch in vielen Genossenschaften hat sich die Interpretation durchgesetzt, dass man ein normaler Akteur am freien Markt sei. Dieser Prozess hat sich verschlimmert, als durch die Privatisierung der landeseigenen kommunalen Wohnungsunternehmen auch Vonovia und Deutsche Wohnen – sie hatten kommunale Bestände übernommen – Mitglieder im BBU wurden. Seitdem trifft man da auf eine Allianz von Leuten, die letztendlich einen Marktradikalismus predigen.

Nun agieren die Vorstände nicht im luftleeren Raum, sondern Genossenschaften sind, wenn auch eingeschränkt, demokratisch verfasst. Einige zentrale Entscheidungen treffen die Mitglieder. Ticken sie wie die Vorstände?

Es gibt Genossenschaften, in denen es eine gelebte Mitgliederdemokratie gibt. Das sind vor allem die kleinen. Je größer die Genossenschaft wird, desto weniger wird diese Demokratie erfahren. Die Mitglieder wählen Vertreter*innen, die wiederum einen Aufsichtsrat, der den Vorstand bestellt, und dieser stellt Personal ein, kümmert sich um das Geschäftliche. Und einmal im Jahr gibt es eine Versammlung, wo die Vorlagen des Vorstandes abgesegnet werden. Viele Mitglieder sehen sich in einem normalen Mietverhältnis, da sie das Gemeinschaftseigentum nicht direkt mitgestalten.

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Ich erlebe Genossenschaftler*innen immer als sehr zufrieden. Warum sollten sie etwas ändern?

Ja, das stimmt schon. Je schlimmer es mit den Mieten wurde, desto zufriedener waren die Genossenschaftsmitglieder. Ihre Mieten sind vergleichsweise niedrig, und sie müssen keine Angst vor Kündigung haben, denn in Genossenschaften gibt es lebenslanges Wohnrecht. Aber das Echo auf unseren offenen Brief zeigt, dass es Grenzen gibt. Kritiker*innen melden sich dann, wenn ihre Interessen kräftig übergangen werden. Das können Fragen der Instandhaltung sein, Mieterhöhungen oder auch, wenn für einen Neubau ein Haus abgerissen werden soll, obwohl die Wohnungen noch top in Schuss sind. Als nach dem Verbot des Mietendeckels einige Genossenschaften »entgangene« Miete nachfordern wollten, gab es Krach, und die Vorstände mussten klein beigeben. Die Frage ist, ob sich solche Unzufriedenheit hält oder ob das punktuelle Sachen sind.

Welche Rolle spielt dabei der Generationswechsel, der sich zurzeit in Genossenschaften abspielt?

Es ist eher die stadtpolitische Bewegung, die abfärbt auf Genossenschaften. Denn es sind nicht nur Jüngere kritisch, sondern auch ältere Leute, die vielleicht früher politisch aktiv waren und denen nicht egal ist, was mit der Stadt passiert. Sie wollen, dass Genossenschaften nicht nur den Wohnraum für eine abgeschottete Gruppe von Mitgliedern sichern, sondern neu bauen, Vorkaufsrechte wahrnehmen oder sich für den Mietendeckel einsetzen. Das war ja der zweite Skandal, dass vier Berliner Genossenschaften den Mietendeckel mit ihrer Klage kaputtgemacht haben und damit auf das Niveau von FDP bis AfD abgesunken sind.

Aber große Wirkung hatte das nicht. Die BBU-Kampagne gegen Deutsche Wohnen & Co enteignen, in der behauptet wurde, dass auch große Genossenschaften enteignet werden, hat viele verunsichert, und heute ist der BBU so marktradikal wie damals.

Ja, die Kampagne hat viele Genossenschaftler*innen verunsichert. Aber letztlich gab es auch in Marzahn-Hellersdorf mit seinen vielen Genossenschaftssiedlungen eine Mehrheit für Vergesellschaftung. Interessant ist, dass durch diese falsche Behauptung die Genossenschaftsidee plötzlich als etwas erschien, das die Leute gut fanden und verteidigen wollten. Eine Zeit lang war dieses krasse Agieren gegen eine soziale Wohnungspolitik nicht mehr so laut. Aber seit das Verfassungsgericht 2021 den Mietendeckel gekickt hat, gibt es in der gesamten Wohnungspolitik ein Rollback. Und aufseiten der Bewegung wirkt die große Enttäuschung darüber nach, dass durch einen Federstrich politisches Engagement einfach so weggewischt wird. Vielleicht ändert sich das gerade. Die Kampagne gegen den Wohnungskonzern Vonovia, den größten BBU-Beitragszahler, der völlig überzogene Heizkosten fordert, gewinnt an Fahrt. Ein Wiedererstarken der Bewegung dürfte auch Auswirkungen in den Genossenschaften haben.

Gerade die Berliner Linke, so mein Eindruck, setzt voll auf die Landeseigenen. Ist das falsch?

Bei aller Kritik: Genossenschaften haben eine unglaublich stabilisierende Wirkung. Sie überleben seit mehr als 100 Jahren jeden Regime Change. Sie haben im Wiederaufbau nach 1945 viel geleistet und bei der Wiedervereinigung Wohnraum vor Privatisierung gerettet. Die Kehrseite der Abschottung zugunsten von Mitgliederinteressen ist ja, dass Mieten niedrig bleiben und ein bestimmtes Wohnungssegment dauerhaft gesichert wird. Das hat Berlin sehr gutgetan und muss in jedem Fall erhalten werden.

Aber Initiativen zur Lösung der aktuellen Wohnungskrise kommen nicht.

Es gibt kleine Genossenschaften, die neue Wege probieren. Bei den Großen passiert das weniger. Dabei haben gerade diese sehr viel Geld auf der hohen Kante, das sie sinnvoll einsetzen könnten. Darüber muss eine Debatte beginnen. Das muss aber auch von den Mitgliedern kommen. Und es braucht staatliche Unterstützung, zum Beispiel eine stärkere Gründungsförderung für interessante Projekte. Der Erbbauzins muss sich in Grenzen halten und die Förderprogramme besser auf die Situation der Genossenschaften zugeschnitten werden.

Das ist ja schon fast die Position der Genossenschaftsvorstände: Wenn wir mehr Geld kriegen, werden wir auch aktiver.

Ja, sie wollen mehr Geld, aber ohne Bindung. Viele Vorstände empfinden Belegungsrechte oder Erbbau als unzumutbare Fessel und verzichten lieber auf Förderung. Aber dass der Staat einfach Geld in eine Genossenschaft reinkippt, ohne jede Bedingung, das wird es nicht geben.

Wo ist der Platz der Genossenschaften bei der Transformation des Wohnungsmarktes?

Nach der Vergesellschaftung der großen börsennotierten Unternehmen werden wir einen gemischten Wohnungsmarkt haben, wo Genossenschaften ihren Platz haben, ebenso wie Staatseigentum, kommunales Eigentum, klein- bis mittelgroße Vermieter und Einfamilienhäuser beziehungsweise Eigentumswohnungen. Die direkte Macht des globalen Kapitals aber wird nicht mehr die durchschlagende Rolle spielen.

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