Von Hanau bis Berlin: Gedenken heißt auch kämpfen

Hanau-Gedenken und Demonstration wird von der Polizei angegriffen

  • Moritz Lang
  • Lesedauer: 4 Min.
Über 200 leuchtende Schilder zeigten die Namen von Opfern rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990.
Über 200 leuchtende Schilder zeigten die Namen von Opfern rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990.

Zum vierten Mal jährte sich der der rassistische Anschlag auf neun migrantische Menschen durch einen Rechtsextremen in Hanau. Am S-Bahnhof Sonnenallee in Neukölln wurde am Montagabend den Opfern gedacht. An einem improvisierten Gedenkort wurden Kerzen und Blumen niedergelegt, musikalisch begleitet von Rap und Liedern von Ahmet Kaya.

Von Beginn an wurde deutlich, dass die Polizei der Veranstaltung nicht positiv gesonnen war. So durfte die Gedenkkundgebung nicht wie geplant auf der Kreuzung stattfinden – um die Performance des Theater X aus Moabit zu sehen, mussten die Teilnehmer*innen in die Knie gehen. Das Gedenken wurde mehrmals von der Polizei gestört, die die Veranstalter zwang, die polizeilichen Auflagen wiederholt kurz hintereinander vorzulesen.

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Die als Reaktion auf die Morde am 19. Februar 2020 gegründete Gruppe Migrantifa organisiert in Berlin jedes Jahr Gedenken und Demonstration, dieses Jahr im Bündnis mit anderen antirassistischen und antifaschistischen Gruppen. Nachdem sich in Hanau schon am Sonntag mehrere tausend Menschen zum Gedenken versammelt hatten, schickte Serpil Temiz Unvar, die Mutter des ermordeten Ferhat Unvar, ein Grußwort an die Gruppe über soziale Medien und sprach ihr das Vertrauen aus: »Ihr seid unsere Stimme in Berlin.«

Unter dem Motto »Die Konsequenz ist Widerstand« zogen nach dem Gedenken etwa 8000 Menschen die Sonnenallee entlang bis zum Hermannplatz, um gegen Rassismus und die ihn hervorbringende Gesellschaftsform zu demonstrieren. Der Protestzug kam ohne Transparente aus, die ihn nach außen abgetrennt hätten. Der einsetzende Regen hielt die Demo nicht auf, die Straße wurde von über 200 leuchtenden Schildern mit den Namen von Opfern rassistischer Gewalt in Deutschland seit 1990 und einem großen Schriftzug: »Resistance« erhellt.

Kritisiert wurde von Redner*innen eine Vereinnahmung des Gedenkens durch bürgerliche Parteien. »Politisch Verantwortliche wie Nancy Faeser gedenken still auf einem Friedhof, wo sie uns eigentlich Rede und Antwort stehen sollten.«

Die Initiative 19. Februar, in der Angehörige der Opfer des Anschlags organisiert sind, rief wie auch in den vergangenen Jahren dazu auf, bei Gedenkdemonstrationen keine National-, Partei- oder Organisationsfahnen zu zeigen. Während beim Gedenken außer den leuchtenden Schildern kaum andere Schilder oder Transparente zu sehen waren, wurden als die Demonstration losging rote, kurdische, palästinensische und Gruppen-Flaggen ausgepackt.

Dies ist für die Rednerin der Demo-Orga kein Widerspruch. »Unsere Kämpfe gehören zusammen«, wurde mehrmals in Reden betont. Gedenken und Demonstration seien jedoch getrennt, um den Vorstellungen der Angehörigen gerecht zu werden. Von nun an sei der 19. Februar nicht nur ein Tag der Trauer um die neun Ermordeten von Hanau, sondern ein antirassistischer Kampftag. »In Deutschland wird staatlich gedacht, um einen Schlussstrich zu setzen. Wir gedenken für gesellschaftliche Veränderung.«

Die Polizei dagegen hatte es auf palästinasolidarische Teilnehmer*innen abgesehen: Beamte liefen neben einem besonders lauten Teil der Demonstration und filmten die Sprechchöre. Auf Höhe der Pannierstraße stießen sie plötzlich vor und nahmen eine Person gewaltsam fest. Die Polizei sagte durch, dass das Rufen israelfeindlicher Parolen verboten sei, zuvor war teils »From the River to the Sea, Palestine will be free« zu hören. Der Spruch ist selbst laut Berliner Verwaltungsgericht »in erster Linie als Ruf nach Freiheit und Gleichberechtigung zu verstehen« und nicht antisemitisch, wird aber von der Polizei oft als Vorwand für Festnahmen genutzt.

Der Zug blieb anschließend stehen, Ordner*innen und Teilnehmer bildeten Ketten, um die Menge zu schützen. Es kam zu weiteren Angriffen der Polizei, Verletzte mussten von Demosanitäter*innen versorgt werden. Auch als die Veranstalter die Anwesenden aufforderten, nach Hause zu gehen, schubsten sich die Beamten weiter durch die Menschengruppen. Insgesamt wurden 15 Personen festgenommen, darunter laut Demo-Orga auch drei Ordner*innen.

»Die Polizeigewalt dieses Jahr ist ein Novum für uns«, sagt Anton Bogdanov, Sprecher von Migrantifa zu »nd«. Man weise die Antisemitismusvorwürfe entschieden zurück und fordere eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. Es dürfe nicht sein, dass Ordner*innen festgenommen würden, weil sie ihren Job erfüllen, die Demoteilnehmer*innen zu schützen.

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