Vier Jahre nach Hanau

Angehörige fordern Aufklärung, Gerechtigkeit und Schulungen für Behörden

  • Zara Momand, Hanau
  • Lesedauer: 4 Min.

Hanau, 19. Februar 2024 – vier Jahre nach dem rassistischen Attentat, bei dem ein Rechtsextremist neun junge Menschen mit Migrationshintergrund ermordet hatte, wurde am Montag in der Stadt ein starkes Zeichen gegen Rassismus und rechte Hetze gesetzt. Unter dem Motto »Say their names – Erinnern heißt verändern« versammelten sich über den Tag verteilt hunderte Menschen in Hanau und gedachten der Opfer. Die Gedenkveranstaltungen folgen dem Ruf nach Gerechtigkeit und machten deutlich: Hanau war kein Einzelfall, sondern muss eine Zäsur für die Gesellschaft sein, um gegen Hass und Diskriminierung jeder Form vorzugehen.

Am Montagabend folgten Mahnwachen an den Tatorten am Heumarkt und in Kesselstadt. Kinder aus dem Stadtteil riefen mit prägnanten Sätzen zu Vielfalt, Nächstenliebe und Zusammenhalt auf. Redner*innen forderten unter anderem verstärkte Schulungen bei Polizei und Behörden im Umgang mit Betroffenen und Opfern. Trotz der seit dem Anschlag vergangenen vier Jahre ist die Aufklärung unzureichend und auch der Wunsch Angehöriger nach Gerechtigkeit unerfüllt geblieben.

Die Sozialarbeiterin Antje Heigl vom Jugendzentrum in Kesselstadt brachte die Stimmung auf den Punkt: »In Erinnerung an euch werden wir die Zukunft gestalten.« Ihre Worte unterstrichen das Bedürfnis nach einem gesellschaftlichen Wandel, der sich auch politisch bemerkbar machen solle.

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Auf dem Hanauer Hauptfriedhof fand am Morgen auch ein offizielles, stilles Gedenken statt, bei dem auf Wunsch der Angehörigen explizit auf politische Reden verzichtet wurde. Auch die Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nahm daran teil und legte Kränze nieder. Sie versicherte den Angehörigen, sie stehe an ihrer Seite. Geäußert hat sich auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) auf X, der den neun ermordeten Opfern einen Post widmete.

Auf dem Friedhof sprach auch Armin Kurtovic, dessen Bruder Hamza in Hanau getötet wurde. »Es wäre angemessen gewesen, wenn die Politiker ganz weggeblieben wären«, sagte er und verwies auf die Untätigkeit der Behörden. »Nach dem Abschlussbericht sind keine Konsequenzen erfolgt. Für den Notausgang, der meinen Sohn das Leben gekostet hat, ist die Stadt verantwortlich. Jetzt will ich Konsequenzen sehen!«

Ebenfalls bei dem offiziellen Gedenken bewarb der Autor Etris Hashemis sein neu erschienenes Buch »Der Tag, an dem ich sterben sollte« und sagte, er lasse nicht zu, den bürgerlichen Zusammenhalt zu zerstören und für Ausgrenzung zu sorgen. Hashemis ist Sohn afghanischer Geflüchteter und verlor bei dem Anschlag seinen jüngeren Bruder Said Nesar. Rassismus und Menschenfeindlichkeit müssten auf allen Ebenen bekämpft und es müsse dafür gesorgt werden, dass staatliche Behörden die Opfer und Hinterbliebenen unterstützen, forderte Hashemis.

Auch der Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD) äußerte sich besorgt über die politische Entwicklung der vergangenen vier Jahre: »Der Kampf gegen Rassismus, Rechtsextremismus, Antisemitismus und antimuslimischen Rassismus hat sich zum Schlechten entwickelt.« Er kritisierte den bundesweit wachsenden Zuspruch für die AfD und die Verbreitung menschenverachtender Debatten.

Kaminsky versicherte, dass aus Hanau niemand vertrieben werde und dass Rechtsextreme im Staatsdienst nichts zu suchen hätten. Ein Appell, der im Licht des Skandals um rechtsextreme Beamte eines Spezialeinsatzkommandos besonders relevant erscheint: 13 der 20 in der Tatnacht eingesetzten Beamten haben sich an rechtsextremen Chatgruppen beteiligt.

Bei einer der Mahnwachen am Abend rief schließlich Cetin Gültekin, der Bruder des getöteten Gökhan Gültekin, die Namen der Opfer als Symbole gegen Rassismus in Erinnerung. Er forderte die Zuständigen in den Behörden dazu auf, aus Fehlern zu lernen und den Opfern und ihren Familien Gerechtigkeit zu verschaffen.

Die Veranstaltung mündete zum Ende in einen emotionalen Moment, als abermals alle neun Namen der Opfer gerufen wurden: Ferhat Unvar, Hamza Kurtovic, Said Nesar Hashemi, Vili Viorel Paun, Kaloyan Velkov, Fatih Saracoglu, Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin. Nach einer Schweigeminute und dem Steigenlassen von Luftballons endete die Gedenkstunde mit dem Lied »Geboren, aufgewachsen und ermordet in Deutschland« des Musikers SKN, das allen Betroffenen rassistischer Gewalt gewidmet ist.

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