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Jeder Leopard-2-Panzer ist eine Kita
Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter gegen Aufrüstung und Armut
Es ist noch nicht sehr lange her. Brandenburgs Linksfraktionschef Sebastian Walter ist ja erst 33 Jahre alt. Als Student hat er gekellnert, sich Geld als Barmann verdient. Aus dieser Zeit weiß er: »Nirgends sind die Menschen so ehrlich wie an der Theke.« Darum war für ihn klar: Wenn er mit den Bürgern Klartext reden möchte und sie kein Blatt vor den Mund nehmen sollen, dann trifft er sie am besten in Kneipen.
Vor der Landtagswahl am 22. September sind 56 Termine geplant. Am Montagabend gibt es einen im Café Zelig in Cottbus. Dabei geht für alle Besucher ein Getränk auf den Gastgeber – die Linksfraktion. Sebastian Walter selbst bestellt sich Bier. Er muss aber nicht erst Alkohol trinken, um in Fahrt zu kommen. »Wir wollen ehrlich zueinander sein«, legt er los. Nur noch 35 Prozent der Ostdeutschen trauten der Demokratie zu, ihre Probleme zu lösen. »Man darf darüber nicht überrascht sein«, meint Walter. Eingedenk der Politik der vergangenen Jahre ist der Oppositionsabgeordnete jedenfalls nicht verblüfft. Er wundert sich lediglich, wie Kanzler Olaf Scholz (SPD) angesichts der Lebensmittelpreise behaupten könne, die Inflation sei beendet. Offensichtlich sei Scholz ein Mann, der nicht selbst einkaufen gehe.
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Und weil die Inflation angeblich nicht so hoch ausgefallen sei wie befürchtet, überlege Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) laut, ob das Bürgergeld nicht zu hoch angesetzt sei, ob man es kürzen könne oder künftige Erhöhungen ausfallen lassen sollte. Aber für eine 100 Milliarden Euro teure Aufrüstung der Bundeswehr sei Geld da, schimpft Walter. »Jeder Leopard-2-Panzer ist mindestens eine Kita«, rechnet er vor. Denn tatsächlich kostet ein neuer Panzer dieses Typs rund 15 Millionen Euro. Allein in seiner Heimatstadt Eberswalde fehlen 90 Kitaplätze, sagt der 33-Jährige. »Man muss sich nicht wundern, wenn die Menschen auf die Straße gehen.« Dies sei nicht etwa der Tatsache geschuldet, dass die Regierung ihre Vorhaben nur falsch kommuniziere, wie sich die Grünen einbilden, ist Walter überzeugt. Es laufe wirklich etwas schief, wenn die Armut zunehme und die Reichen immer reicher werden. Für Walter steht fest: »Die Preise steigen nicht wegen des Ukraine-Krieges, sondern aufgrund der Profitgier der Konzerne.«
»Ich mache mir wirklich Sorgen um die Demokratie«, gesteht er. »Wir brauchen nicht nur den Aufstand der Anständigen, sondern endlich mal das Handeln der Zuständigen.« Die Erfolge der AfD seien ein Symptom dafür, dass dies nicht geschehe. Aber: »Egal, wie schlimm es ist: Es gibt keinen Grund, Nazis zu wählen.«
In den Umfragen zur Landtagswahl werden der AfD bis zu 32 Prozent der Stimmen vorhergesagt, der Linken schlappe sechs Prozent. Aber auf Umfragen gebe er gar nichts, betont Walter.
Er könnte ohne Mühe anderthalb Stunden lang der Alleinunterhalter sein, streut Scherze ein, die von den Zuhörern mit Gelächter quittiert werden. Doch mehrfach verspricht Walter, mit seinen Bemerkungen jetzt zum Ende zu kommen und tut es dann auch. Denn es soll sich ja eine Diskussion entspinnen. 40 Interessierte sind ins Café Zelig gekommen, darunter die Landtagsabgeordnete Kathrin Dannenberg (Linke), die sich schon länger wünscht: »Der Abstand zwischen Haustür und Landtag müsste kürzer werden.« Hier wird die Strecke verkürzt, hier sitzen die beiden Abgeordneten den Besuchern gegenüber. Sie berichten, was die Linksfraktion vorhabe und hören sich die Sorgen der Leute an. Freilich sind viele ihre Genossen, aber auch Parteilose haben an den Tischen Platz genommen.
Mobilfunklöcher, der öffentliche Personennahverkehr und die im Zuge der Krankenhausreform bedrohten Kliniken werden angesprochen und der Unterrichtsausfall. Vom immer wieder beklagten Fachkräftemangel sagt Walter, so groß könne der in Wirklichkeit gar nicht sein. Denn sonst wäre das Lohnniveau höher. Eine pensionierte Lehrerin spricht die Vorfälle an der Grund- und Oberschule von Burg an. Zwei Pädagogen hatten im vergangenen Jahr öffentlich gemacht, dass dort im Winter Hakenkreuze in den Schnee gemalt und Mitschüler mit Migrationshintergrund bedroht worden sind. Anschließend sind die beiden Lehrkräfte angefeindet worden und haben sich versetzen lassen. Hakenkreuze auf der Schultoilette, das sei in seiner Cottbuser Grundschule schon vorgekommen, erzählt ein junger Lehrer im Café Zelig. Kurz bevor die skandalösen Zustände an der Schule in Burg bekannt wurden, sei Material eingetroffen, wie die Pädagogen dem Linksextremismus begegnen sollten, erinnert er sich. Als ob nicht der Rechtsextremismus das Problem sei.
»Ich verspreche euch nicht, dass von heute auf morgen alles besser wird«, wirbt Walter zum Schluss durchaus ehrlich um Stimmen bei der Landtagswahl. Aber: »Ich glaube, die Gesellschaft muss linken Druck bekommen.«
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