Anschlag von Hanau: Tödliches Klassentreffen

Olivier David über den rassistischen Anschlag in Hanau vor vier Jahren

Das rassistische Attentat von Hanau hat sich am Montag zum vierten Mal gejährt. Am 19. Februar 2020 tötete ein deutscher Rassist in Hanau neun Männer und Frauen: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov. Einige der Ermordeten saßen in der Shisha Bar »Arena Bar«, als die Schüsse fielen. Die Autorin Nadire Biskin schrieb dazu: »Solche Shishabars, Bars und Kioske sind safer, weil die Türpolitik einen aufgrund von Identitätsmerkmalen wie beispielsweise race, class und gender samstagabends nicht ausschließt.« Es kam bekanntlich anders.

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Wenn Menschen, die von der Gesellschaft ausgegrenzt werden, zusammenkommen, kann es tödlich enden. Wir brauchen nur nach München schauen, auf den rechtsextremen Anschlag am 22. Juli 2016. Dort ermordete ein Rassist neun junge Migrant*innen in und vor einer McDonalds-Filiale. Oder der Anschlag in Halle: Nachdem der Attentäter nicht in eine Synagoge eindringen konnte, schoss er im Imbiss »Kiez-Döner« um sich. Shisha-Bars, Fast-Food-Filialen, Imbisse: Orte, an denen die Menschen aus der unteren Klasse zusammenkommen.

Wenn in diesen Tagen an Hanau erinnert wird, dann muss auch festgehalten werden, dass Hanau das letzte Glied in einer langen Kette aus Ausgrenzung und Abwertung ist. Vor ein paar Wochen bin ich in einen Regionalzug eingestiegen. Dort sah ich einen schwarzen Mann, der sich den Bauch hielt. Als ich ihn fragte, ob er Hilfe brauche, entspannte sich sein Körper, er lächelte und winkte ab: »Alles gut.« Ich habe ihm eine Schmerztablette und etwas Wasser gegeben – doch innerlich war ich erschüttert. Da verbot sich jemand in meiner Anwesenheit seine Schmerzen. Für ihn war es wichtiger, nicht negativ aufzufallen, als dass er kommunizierte, dass er Hilfe braucht. Was sagt das über das Land aus, in dem wir leben? Was über unseren Umgang mit Menschen? Was über sein Sicherheitsbedürfnis?

Olivier David

Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.

Hanau, Halle und München – diese rechtsextremen Morde mahnen uns, die kleinen mikroskopischen Verletzungen und rassistischen Abwertungen in den Fokus zu rücken. Wir müssen dorthin schauen, wo Menschen noch nicht ermordet worden sind. Wo der ganz alltägliche Wahnsinn unserer rassistischen Gesellschaft diese Menschen mit Merkmalen belegt, die den Attentäter von Hanau dazu brachte, mit einer Waffe Menschen zu ermorden.

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Vor einigen Tagen wurden an der Wohnungstür einer schwarzen Familie in Hamburg rassistische Plakate angebracht. Auf einem stand: »Das Pack erschießen und zurück nach Afrika bringen.« In der Folge gab es zwei Soli-Demonstrationen mit Tausenden Menschen. Die Familie sucht nun trotzdem nach einer anderen Wohnung, weil sie sich nicht mehr sicher fühlt.

Zwischen dem Mann im Zug, der Hamburger Familie und den neun Ermordeten von Hanau gibt es eine rassistische Kontinuität. Unsere Verantwortung ist es, dieser Kontinuität Menschlichkeit und Widerstand entgegenzusetzen. Mit allen notwendigen Mitteln.

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