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Nawalny und Assange: Die Legende von Gut und Böse
Interessengeleitete Außenpolitik bedient sich weniger der Fakten als der Sprache der Märchen
Ob Alexej Nawalny im juristischen Sinne ermordet wurde oder aber – wie bald die offizielle Version lauten könnte – bei einem Hofgang kollabierte, ist letztlich zweitrangig. Denn politisch ist die Schuldfrage eindeutig. Nawalny, der 2020 einen Giftanschlag nur mit Müh und Not überlebte, war physisch zuletzt so geschwächt, dass die Politiker und Richter, die ihn zu erschwerter Haft am Polarkreis verdammten, die Schuld an seinem Tod tragen. Wie es auch mehr als wahrscheinlich ist, dass es die in Moskau herrschenden Kreise waren, die seinen Tod erst durch Gift herbeiführen wollten und dann für seine Haft und deren Umstände sorgten. Juristisch beweisen ist das bisher aber nicht – und das wäre noch vor ein paar Jahren eine Unterscheidung im öffentlichen Diskurs wert gewesen.
Heute scheint die Infantilisierung der Politik so gut wie abgeschlossen zu sein. Vokabeln wie »gut« und »böse« haben es aus der Welt von Hasen, Igeln, Hexen und Zauberern in die Außenpolitik geschafft. Weshalb es nicht mehr nötig scheint, zwischen der politischen Verantwortung für einen Mord und einem faktischen Mord zu unterscheiden. Ganz zu schweigen davon, dass es einmal gute Sitte war, Mörder bis zur abgeschlossenen Beweisführung als »mutmaßliche« Mörder zu bezeichnen. Das sind keine juristischen oder journalistischen Spitzfindigkeiten, sondern die Dinge, die totalitäre Staaten von Demokratien unterscheiden.
Noch mehr ärgert mich allerdings, dass all die Helden der Meinungsfreiheit, die glühenden Verteidiger einer freien Presse, brav die Klappe halten, wenn politische Prozesse nicht in Staaten aufgeführt werden, die als feindlich gelten. Sondern eben in den anderen. Kein Wort des Protests also von Merz, Baerbock, Scholz, Hofreiter oder Strack-Zimmermann, wenn die USA die Auslieferung von Julian Assange betreiben. Dass Großbritanien als traditionell zuverlässigster Wauwau des Weißen Hauses partout keinen Grund sehen mag, einen physisch wie psychisch offenbar schwer angeschlagenen Mann auszuliefern, wundert längst niemanden mehr. Dass Assange in den USA auf Grundlage eines Spionagegesetzes aus dem Jahre 1917 angeklagt wird: einerlei. Dass ihm dort bis zu 175 Jahre Haft für das Verbrechen droht, die Weltöffentlichkeit über Kriegsverbrechen der USA im Irak und in Afghanistan informiert zu haben, ebenfalls. Wie es den Zuständigen auch egal ist, wie Menschen weltweit über die doppelten moralischen Standards des Westens denken.
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet hier politische und sportliche Begebenheiten.
Im Gegensatz zu relativen Begriffen wie »gut« oder »böse« ist der Freiheitsbegriff des Westens eigentlich kein schwammiger, sondern Grundlage konkreter Rechte wie Meinungs- und Pressefreiheit. Insofern ist es schon merkwürdig, wenn Vertreter westlicher Demokratien, die (richtigerweise) geleakte Steuerdokumente aufkaufen, um Steuerhinterzieher anklagen zu können, nun bei Assange fragen, ob der Mann denn wirklich Journalist, oder – böse, böse – ein »Aktivist« sei. Doch auch mit dieser Unterscheidung wird man nicht weiterkommen. Für das, was er (und Chelsea Manning) getan haben, gibt es im Westen unter anderen Umständen hochoffizielle Demokratiepreise. Es kommt nur darauf an, wessen Kriegsverbrechen veröffentlicht werden. Wie es darauf ankommt, wen man als »Spion« bezeichnet. Das ist übrigens ein Vorwurf, der in Russland auch gegen Nawalny erhoben wurde.
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