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Wiener Gruppe: »ge scheissn du oasch«

Wolfgang Menardi zeigt am Wiener Volkstheater eine Klischee-Revue der Wiener Gruppe

  • Florian Neuner
  • Lesedauer: 5 Min.
Fauler Budenzauber mit kaiserlich-königlicher Inneneinrichtung: ausgestopfte Tiere, betretene Dienerinnen und ein bisschen Adel-Pomp machen noch keine beißende Kritik.
Fauler Budenzauber mit kaiserlich-königlicher Inneneinrichtung: ausgestopfte Tiere, betretene Dienerinnen und ein bisschen Adel-Pomp machen noch keine beißende Kritik.

Es ist ja nicht so, dass die Autoren der Wiener Gruppe keine Theaterstücke geschrieben hätten. Von H. C. Artmann erschien bereits 1969 ein immerhin 500-seitiger Band mit dramatischen Texten (»die fahrt zur insel nantucket«), und auch der Theaterband in der gerade entstehenden Gerhard-Rühm-Werkausgabe ist voluminös. Darin findet sich beispielsweise eine minimalistische »naturstudie«: »vorhang auf. defloration. vorhang zu.« Gespielt werden diese Stücke freilich so gut wie nie, und auch der von Texten der Wiener Gruppe getragene Abend im Wiener Volkstheater bringt diese dramatischen Arbeiten nicht. Auch an diesem Haus gilt: Lieber verwurstet und adaptiert man Texte, als Stücke zur Aufführung zu bringen.

Im Kosmos der Wiener Neoavantgardisten ist die Dialektdichtung nur eines von vielen Feldern und wahrscheinlich nicht das wichtigste. In der öffentlichen Wahrnehmung der Wiener Gruppe, zu der neben Artmann und Rühm auch Konrad Bayer, Friedrich Achleitner und Oswald Wiener zählten, hingegen stand sie zunächst im Vordergrund. Artmanns Band »med ana schwoazzn dintn« aus dem Jahr 1958 ist bis heute der größte Erfolg, »hosn rosn baa« (mit Texten von Achleitner, Artmann und Rühm) sollte daran anknüpfen.

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Jahrzehnte später ist es auch wieder nur dieser Zugang zur Wiener Gruppe, den der Regisseur Wolfgang Menardi für seine locker gefügte, keiner zwingenden Dramaturgie gehorchenden Revue »heit bin e ned munta woan« wählt. Menardi spricht davon, schon als Kind von den von Helmut Qualtinger interpretierten »Schwarzen Liedern« H. C. Artmanns beeindruckt gewesen zu sein. Ein Tourist aus Norddeutschland, der sich ins Volkstheater verirrte, würde an diesem Abend alle Klischees über Wien, von denen er in seinem Reiseführer gelesen hat, bestätigt sehen: das Makabre, den schwarzen Humor, die Todessehnsucht. Gewiss, die Gedichte, insbesondere die von Artmann und Rühm, liefern hier Steilvorlagen. Anders als diese Texte – vielleicht mit Ausnahme des einen oder anderen Artmann-Gedichts – suhlt Menardi sich allerdings in den Klischees, statt sie zu dekonstruieren. Man könnte auch sagen: Er nimmt ihnen den Stachel.

Vor dem Vorhang plaudert Claudia Sabitzer als »Pompfüneberer« (Bestatter) aus dem Nähkästchen. Textgrundlage ist ein Dokumentarfilm, den Árpád Bondy und Margit Knapp über den Wiener Zentralfriedhof gedreht haben. Der geöffnete Vorhang gibt den Blick auf die Gemeindebau-Wohnung einer Frau Q. frei, mit Samouil Stoyanov ebenfalls als Crossdresser besetzt. Die Wohnung ist dekoriert mit ausgestopften Vögeln, Frau Q. in ihrem biederen Outfit scheint einem Stück von Werner Schwab entstiegen; eine aus Ingrid Eder, Flora Geißelbrecht und Sixtus Preiss bestehende Combo trägt ebenfalls die Uniform der Vorstadt-Spießerin.

Wie auf einer Perlenkette aufgereiht folgen nun in einigermaßen beliebiger Reihenfolge Texte von Artmann, Rühm & Co. – mal deklamiert, mal via Telefon, mal durchaus ansprechend musikalisch arrangiert von Matteo Haitzmann – und Slapstick-Einlagen. Jedes Mal, wenn das Telefon schrillt, verfällt Frau Q. in Zuckungen; der Versuch, den Fernseher vor dem Klo zu positionieren und die Antenne richtig auszurichten, gerät ebenfalls zu einer Clownsnummer. Dann liegt sie wieder als Leiche herum, schimpft durchs Fenster in den Hof oder beschallt die Szene mit dem kitschigen »Ave Maria« von Gounod/Bach. Matteo Haitzmann muss als blond gelockter Jüngling auch als erotische Projektionsfläche für Q. herhalten – und als entzückende nackte Leiche mit ihr am Ende auch noch tanzen.

Das Spektrum der Texte reicht von sentimental – wenn Artmann vom Vergissmeinnicht dichtet, das dem oder der Schmachtenden aus den Fingern wächst – bis brutal bei Rühm: »ge scheissn/ du oasch/ du beidi schleich di/ sunsd brunz i a seidi/ in dei goschn/ und scheiss da de doschn/ voe«; etwas heraus fällt der Reduktionismus des Oberösterreichers Achleitner (»so/so/a/m/hm/hm/hm«). Das alles wird virtuos auf die Bühne gebracht und vom Publikum bejubelt – nur Menardi hätte genauso gut Wiener Lieder oder Austropop nehmen können: Dem begeisterten Premierenpublikum, das seine Lieblinge feierte, wäre es vermutlich auch einerlei gewesen.

Schließlich kommt es zu einem Einbruch der Realität in die Slapstick-Revue – oder doch nicht? Die Besucher, mit denen ich mich nach der Premiere unterhielt, waren sich nicht einig, ob der medizinische Notfall, der die Aufführung unterbrach, echt war oder Teil der Inszenierung. Plötzlich ging das Licht im Zuschauerraum an, Sanitäter traten in Aktion, der kaufmännische Direktor griff zum Mikrofon und erklärte die Situation. Dass er auch ins Publikum fragte, ob ein Arzt anwesend sei, konnte einen skeptisch machen. Gibt es denn keine Theaterärzte mehr? Wenn es Zufall war – er wirkte doch wie bestellt. Der im Publikum anwesende Gerhard Rühm, letzter Überlebender der Wiener Gruppe, war jedenfalls überzeugt, dass es sich um eine Inszenierung handelte. Er ist übrigens nicht in den 50er Jahren stecken geblieben, sondern experimentierfreudig wie je – jünger als seine Dramatisierer.

In ihren besten Dialekttexten haben es die Autoren der Wiener Gruppe geschafft, die mit ihrer Stadt verbundenen Klischees zu überdehnen und zu überzeichnen, schließlich auszuhebeln. Dieser Theaterabend zwingt ihre Texte zurück in eine schwarzhumorige Wohlfühlatmosphäre. Das »starke Verfremdungsmittel«, als das Rühm das Makabre in der Dialektdichtung begreift, kommt so nicht zur Geltung. Wien feiert sich wieder einmal selbst, aber die Wiener Gruppe taugt nur sehr bedingt zur Folklore.

Nächste Vorstellungen: 16., 24. und 31.3.

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