Brüssel gegen zivilen Ungehorsam bei Umweltprotesten

Ein EU-Papier warnt vor »gewalttätigen Extremisten« in der Klimabewegung – Gegenwind kommt von einem UN-Sonderberichterstatter

Seit vielen Jahren sind die weltweit rasant steigenden Temperaturen und Wasserstände auch in der radikalen Linken ein Thema. Die Praxis besteht aus Blockaden, Demonstrationen, aber auch Sachschäden bei Verursachern des Klimawandels. Viele Gruppen, Netzwerke und Kampagnen organisieren sich dabei über europäische Ländergrenzen hinweg.

Deshalb wollen sich nun die Anti-Terror-Behörden der EU mit dem grenzüberschreitenden zivilen Ungehorsam beschäftigen. Kommende Woche diskutieren Gesandte aus den Innenministerien aller 27 EU-Staaten »die Rolle des Klimawandels und der Umweltbedenken bei der Radikalisierung gewalttätiger Extremisten und Terroristen« und beschließen Maßnahmen. Zur Vorbereitung hat der scheidende EU-Koordinator für Terrorismusbekämpfung (Counter Terrorism Coordinator, CTC) Ilkka Salmi ein Papier vorgelegt, das verschiedene Akteure von rechts und links benennt.

Die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch hat das Dokument veröffentlicht. Darin werden die im Visier stehenden Akteure benannt: die Interventionistische Linke und Ende Gelände aus Deutschland, Soulèvements de la Terre aus Frankreich, Just Stop Oil und Plane Stupid aus Großbritannien sowie die in mehreren Ländern aktiven Netzwerke Last Generation und Extinction Rebellion. Zwar stellt das Papier fest, dass »die Aktionen dieser Gruppen in ihrer jetzigen Form nicht als Terrorismus eingestuft werden können« und durch Linksradikale keine Menschen zu Schaden kommen. Jedoch böten diese einen fruchtbaren Boden für die zunehmende »Radikalisierung«.

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Der CTC hat in der EU keine Handlungs- oder Gestaltungsmacht, diese liegt allein bei den EU-Staaten und der Kommission. Salmi nennt aber »politische Empfehlungen« und »vorrangige Handlungsbereiche«: Das Thema soll etwa regelmäßig in der Ratsarbeitsgruppe »Terrorismus« behandelt werden, dazu sollen die Polizeiagentur Europol und das EU-Geheimdienstzentrum Informationen über »Ideologien und Motivationen gewaltbereiter extremistischer Akteure« sammeln. Die Behörden sollen »mit gleichgesinnten Drittländern« zusammenarbeiten und »bewährte Praktiken austauschen«. Gemeint sind hier vermutlich die USA, denn in dem CTC-Papier heißt es, dass Aktionsformen europäischer Gruppen vom »Ökoterrorismus« inspiriert seien, wie ihn etwa Earth First oder die Animal Liberation Front praktizierten.

Außerdem soll Europol eine Internet-Meldestelle für »gewalttätige extremistische Online-Inhalte mit Bezug zum Klimawandel und der Umwelt« betreiben. Eine solche Stelle gibt es bereits seit 2016, bislang mit Fokus auf Terrorismus, »Migrantenschmuggel« und gewalttätigen Rechtsextremismus. Europol hat »Umweltextremismus« selbst seit Jahren auf dem Radar und trägt die Akteure in jährlichen Lageberichten zusammen. Auch in der letzten Ausgabe heißt es, dass Umweltaktivisten »zunehmend von gewalttätigen extremistischen Botschaften beeinflusst« würden.

Genauso beschreibt es ein »Radicalisation Awareness Network« von Tausenden »Praktikern« aus allen EU-Staaten. Aus Deutschland beteiligen sich daran Beratungsorganisationen wie die Amadeu-Antonio-Stiftung, Universitäten sowie Kriminalpolizeien und Innenministerien. 2021 gab das Netzwerk einen ersten Bericht zu »gewaltbereitem Links- und anarchistischem Extremismus« heraus. Darin wird festgestellt, dass die beschriebenen Akteure Umweltbelange »für ihre eigene Agenda nutzen«. Zur Bekämpfung dieser Strömungen sollen die »Praktiker« enger mit Strafverfolgungsbehörden kooperieren, heißt es als Empfehlung.

Die Überwachung und Infiltration der Umwelt- und Klimabewegung wird also zunehmen – in einer Zeit, da der UN-Sonderberichterstatter für Umweltschützer Michel Forst genau davor warnt und die Kriminalisierung als »große Bedrohung für Menschenrechte und Demokratie« bezeichnet. In einem kürzlich veröffentlichten Bericht gibt Forst ebenfalls Empfehlungen. Die Regierungen sollen etwa Narrativen entgegenwirken, die Umweltbewegungen als Kriminelle darstellen. Die Zunahme von zivilem Ungehorsam soll nicht als Vorwand dienen, Bürgerrechte einzuschränken. Und im Gegensatz zu den EU-Bemühungen sollen die Staaten aufhören, Umweltschützer mit Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung zu verfolgen.

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