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Schleimkeim: Deutsche Jugend, bestes Streben
Der Dokumentarfilm »Otze und die DDR von unten« erzählt vom Punk im Osten und von der Kultband Schleimkeim
Irgendwas ist am Punk in der DDR, das nicht nur für Pophistoriker*innen interessant ist. Vielleicht weil eine Subkultur hier tatsächlich mit einschneidender Repression und eklatantem Mangel zu kämpfen hatte. Die Aufarbeitung des DDR-Punks jedenfalls geht weiter und nimmt kein Ende. 2020 erschien der Sampler »Too Much Future«, der einen guten Einstieg ermöglicht. Frank Willmann und Anne Hahn haben vor zwei Jahren den Reader »negativ-dekadent« herausgegeben – als eines von einem guten Dutzend Büchern zum Thema. Die beiden haben 2018 auch ein Buch über Dieter »Otze« Ehrlich veröffentlicht, den Sänger der bekanntesten DDR-Punkband Schleimkeim, »Satan, kannst du mir noch mal verzeihen«.
Jetzt erscheint der erste Dokumentarfilm über Otze, zeitgleich mit einem Band mit Songcomics zu Schleimkeim-Liedern, »Betreten auf eigene Gefahr«, im Ventil-Verlag. Für seine Low-Budget-Dokumentation »Otze und die DDR von unten« hat der Regisseur Jan Heck Weggefährten, Bandmitglieder und Freunde (und immerhin eine Freundin) ausgegraben und vor die Kamera geholt. In Interviews wird die Bandgeschichte rekonstruiert.
Man freut sich über Menschen, die sich auch im hohen Alter ihre jugendliche Asseligkeit bewahrt haben und sehr gute Punknamen – Spinne, Lippe, Höhnie, Abse, Speiche usw. Der Bandgründungsimpuls wird klar benannt: »Alles, was du hier in diesem Land machen kannst, ist eh nur noch saufen.« Und dann ging es los, mit selbst zusammengebautem Equipment im Proberaum und einer Musik, die sich, was Lärm und Gebrüll und fröhlichen Dilettantismus angeht, nicht hinter den westdeutschen Bands verstecken musste. Gesoffen wird auch vor der Kamera immer wieder engagiert, Abse vorneweg.
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Die erste Schleimkeim-Platte erschien dann 1983 auch nicht auf sozialistischem Boden, sondern beim Westberliner Label Aggressive Rockproduktionen, das unter anderem Slime und Toxoplasma beherbergte. Auf der Split »DDR von unten« mit der befreundeten Punkband Zwitschermaschine ist schon alles da, was die frühen Schleimkeim ausmacht: Texte gegen die Staatsorgane, Erfurter Dialekt, stilsicherer Rumpelpunk.
Das Anschreien der Autoritäten war hier nichts Herbeifantasiertes, sondern unmittelbare Reaktion auf vergleichsweise massive Repressionen. In Westdeutschland gab es Zensurversuche, Polizisten- und Popperkloppe, aber man wurde für die Musik nicht eingesperrt. Otze hingegen saß wegen seiner Haare und der Geräusche und Texte, die er mit Schleimkeim produzierte, immer wieder für ein paar Monate im Gefängnis.
In der DDR war die Entscheidung, Punk zu werden, mit Konsequenzen verbunden, die wiederum eine andere Konsequenz erforderte als im Westen. Es ist wohl auch dieser Punkt, der den Ostpunk so ausdauernd präsent hält. Die schönste Publikumsbegrüßung auf einem der wenigen Schleimkeim-Konzerte: »Wir begrüßen auch die Leute, die aus beruflichen Gründen hier sind.« Man kann über diese Musik gute Geschichten erzählen.
Und gute Geschichten hört man in »Otze und die DDR von unten« einige. Wie sich zum Beispiel einer der Sänger von Zwitschermaschine, Sascha Anderson, später als IM der Stasi entpuppte. Oder wie Otze die Stasi mit nutzlosen Informationen über die Punkband fütterte und dafür 20 Mark bekam. Oder von der Schlägerei mit einem Skinhead auf dem Alexanderplatz, die Otze, der stämmige Sohn eines Bauern, zuerst verlor, dann in einer außerkörperlichen Erfahrung inklusive hellem Licht dem Tod begegnete, der ihm dann empfahl, einfach die Augen wieder aufzumachen. Was Otze dann auch gemacht haben und den Skin schlimm verdroschen haben soll.
»Otze und die DDR von unten« erzählt die Bandgeschichte streng chronologisch, und am Ende werden dann, nicht sehr subtil, Trauerstreicher unter die Interviews gelegt. Nach der Wende ging es bergab, die ersten zwei Jahre in Westberlin seien noch lustig gewesen, dann hätte das Interesse an Otze, der in der Thüringer Punkszene die zentrale, charismatische Figur war, rapide nachgelassen. Vielleicht sei auch einfach das Feindbild abhanden gekommen.
Nach mehreren Psychiatrieaufenthalten erschlug Dieter Ehrlich 1999 seinen Vater mit der Axt und versuchte, die Leiche mit der Kettensäge zu zerteilen. Bis zu seinem Tod durch Herzinfarkt 2005 saß er in der Geschlossenen. Der Endpunkt sei gewesen, als die Pfleger ihm seine Instrumente weggenommen hätten, erzählt Spinne.
Schleimkeim spielen nach wie vor Konzerte und haben auch nach Otzes Tod weiter Platten veröffentlicht. Im Zentrum von Jan Hecks Film aber steht das Bild einer vergangenen Szene. »Otze und die DDR von unten« ist eine liebevolle Hommage an eine zusammen mit ihrem Staat untergegangene Subkultur, die klare Gegner und Feinde brauchte, um sich entfalten zu können, im Westen wie im Osten.
»Schleimkeim – Otze und die DDR von unten«: Deutschland 2023. Regie/Buch: Jan Heck. 96 Min. Start: 14.3.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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