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»Das Leben ein Traum«: Ach, du dicke Tüte!
Nach dem Tod von René Pollesch sieht die Kulturwelt auf Berlin: Wie weiter? Nun gab’s mit »Das Leben ein Traum« wieder eine Premiere an der Volksbühne
»Don’t look back!«, so lautete auch 2016/17, also in der letzten Spielzeit unter Frank Castorf – wieder – die Parole an der Volksbühne. Bevor er durch den Kurator Chris Dercon ausgetauscht wurde, prangte der Spruch auf T-Shirts sowie Plakaten und stand in starkem Gegensatz zur Selbstbezüglichkeit, der man sich künstlerisch zum Abschied hingab. Danach also Dercon, nur für einige Monate, denn der Flirt mit der internationalen Kunstszene erwies sich schnell als dummes Missverständnis. Es folgte das unglücklich endende Interim von Klaus Dörr. Und dann blickte der damalige Kultursenator Klaus Lederer eben doch zurück und sah René Pollesch.
Der neben Castorf prägendste Künstler der jüngeren Volksbühnengeschichte übernahm 2021 das Ruder. Am 26. Februar ist er im Alter von 61 Jahren gestorben. Läutet sein Tod nun doch das Ende der alten Volksbühne ein, schaut wirklich niemand mehr in die Vergangenheit? Noch ist es zu früh für eine Antwort. Seit dem Schock enden die Aufführungen von Polleschs Arbeiten, wie man hört, mit Standing Ovations und Tränen auf und vor der Bühne.
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Nun steht die erste Premiere auf der großen Bühne in dieser Trauerzeit an. Mittwochabend. Grablichter funkeln einem entgegen auf dem Weg über den Rosa-Luxemburg-Platz. Am Fuß der Volksbühne, dieser Trutzburg, haben sie Bilder des Verstorbenen aufgehängt, die diesen beim Ballspiel mit einem Kind zeigen. Darunter liegen Blumen und dahinter das Foyer, das überraschend aussieht wie immer.
Clemens Maria Schönborn inszeniert Pedro Calderóns »Das Leben ein Traum«. Bestens bekannte Namen stehen im Programmzettel: die Castorf-Veteranen Margarita Breitkreiz, Silvia Rieger und Uwe Dag Berlin sind dabei, genau wie Kerstin Graßmann, bekannt aus mehreren Filmen Christoph Schlingensiefs. Und natürlich Sophie Rois. Vielleicht ist das eine ideale Produktion für den Übergang ins Tagesgeschäft.
Schönborn und Rois, das Duo ist Kennern des Hauses bekannt. 2011 gab es schon einmal eine Zusammenarbeit, »Die Kameliendame« nach Alexandre Dumas. Auch am Deutschen Theater Berlin haben sie nach dem Ende der Castorf-Ära zusammengearbeitet, dort wo auch René Pollesch zeitweise eine künstlerische Heimat fand. Nichts wirklich Neues ist hier also zu erwarten, nichts, was die Trauer stören würde.
Das Drama, herausgekommen im Jahr 1635, arbeitet sich an idealen Herrscherbildern und den moralischen Voraussetzungen für Machtpositionen ab. Spielort ist der polnische Königspalast. Herrscher Basilius liest in den Sternen, dass sein Thronfolger Sigismund zu einem Tyrannen heranwächst, und wirft ihn daraufhin in ein Verlies. Im hohen Alter besinnt er sich dann eines Besseren und lässt seinen Sohn, der nichts von seiner Herkunft ahnt, befreien, um seinen Charakter zu testen. Erweist dieser sich würdig, König zu sein, will Basilius ihn wieder aufnehmen. Wenn nicht, droht Sigismund erneut der Kerker und die kurze Episode in Freiheit und Luxus soll ihm wie ein schöner Traum vorkommen.
Freilich erwartet niemand, dass die Beteiligten an diesem Abend wirklich Calderóns Stück aufführen, ist das brave Herunterinszenieren von Plots an diesem Haus doch völlig undenkbar. Man wundert sich dementsprechend, als in den ersten Szenen doch tatsächlich richtige Figuren auf der leeren weißen Bühne stehen. Sophie Rois darbt im dünnen Hemd als Sigismund im Kerker, Silvia Rieger berichtet als König Basilius von ihren Plänen, deklamiert eifrig Richtung Publikum und lässt ihren langen Umhang wehen. Berlin und Graßmann kabbeln sich bald darauf als Cousin und Cousine, die aus Russland angereist sind in der Erwartung, selbst auf den Thron zu gelangen. Und Margarita Breitkreiz mischt als rachedurstige Furie auch noch entscheidend mit in dieser Geschichte, oder könnte es zumindest tun, wenn sich der Abend nicht bald doch noch brüsk von der Handlung abwenden würde.
Die Rückkehr des verlorenen Sohns stellen Rieger und Rois anhand einer Szene aus Karl Valentins Kurzfilm »Der Firmling« dar, in der die beiden miteinander und einem Kellner über die Größe einer Portion Makkaroni mit Schinken in Streit geraten, bevor Graßmann die Situation entschärft, indem sie von der Seitenlinie hineinruft, jetzt sei aber mal Zeit für eine dicke Tüte! Noch weiteres Fremdmaterial hat es in die Fassung geschafft. Ingeborg Bachmanns Erzählung »Alles« wird ebenso zitiert wie eine Tierfabel aus Michel Houellebecqs Erstling »Ausweitung der Kampfzone«, die Rois an der Rampe vorträgt, um sodann sehr lange konzentriert in die Ferne zu starren und letztlich zu bekennen: »Das von mir angestrebte politische Pamphlet von seltener Schärfe ist dabei nicht herausgekommen.«
Okay, Entwarnung also, hier findet doch kein Bruch statt mit der Volksbühnen-Tradition, hier ist ohnehin nicht viel Willen zu irgendetwas zu spüren, abgesehen davon, seine eigene Freiheit zu präsentieren, nicht zuletzt jene, auf dieser Bühne tun und lassen zu können, was auch immer man eben für richtig hält. Der Hinweis auf die eigene Langweiligkeit darf da natürlich nicht fehlen. »So, wir haben jetzt noch eine gute Stunde«, droht Rieger mehrmals kurz vor Schluss, als man sich schon restlos von Calderón losgesagt hat.
Das Ensemble findet sich nun behaglich egal in einem rot gestrichenen Wohnzimmer zusammen, um gemeinsam »Drei Haselnüsse für Aschenbrödel« zu gucken und darüber zu debattieren, wie gefährlich die Strahlungen des Fernsehers sind. Graßmann, das heimliche Humorzentrum dieses Abends, blockt unwillig ab und erklärt: »Hast du auch Syphilis oder Schanker, bist du noch lange kein Kranker.« Von hier aus – Stichwort Syphilis – entwickelt sich das Gespräch locker in Richtung Friedrich Nietzsche, bevor Silvia Rieger noch einmal einen großen Auftritt hinlegt, wenn sie über Minuten Säuferweisheiten vorträgt wie: »Wo früher eine Leber war, ist heute eine Minibar« oder »Wer Mut hat, trinkt Wermut«. Nach zwei langen Stunden ist dann Schluss. Ensemble und Publikum haben diesen schwierigen Abend ordentlich über die Bühne gebracht. Es ist also bewiesen: Auch ohne René Pollesch geht es weiter an der Volksbühne, nicht unbedingt mit großem Theater, aber zumindest irgendwie.
Nächste Vorstellungen: 16. und 26. März
www.volksbuehne.berlin
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