Die Klage eines Aufarbeiters

Rainer Eckert kritisiert die Geschichtspolitik der Bundesrepublik

  • Stefan Bollinger
  • Lesedauer: 4 Min.

Alte Männer jenseits von Amt und Bürden sollen bekanntlich weise werden, nachdem die Last der »Verantwortung« von ihnen abgefallen ist. Rainer Eckert, Gründungsdirektor des Zeitgeschichtlichen Forums Leipzig und dort als solcher von 1999 bis 2015 tätig, zieht ein Resümee eigener Arbeit sowie bundesdeutscher Geschichtspolitik, das viel Stoff zum Nachdenken bietet. Die sehr persönlich geprägte Analyse fällt ambivalent aus, offenbart gespaltene Erinnerungen.

Zur Zeit der Wende in der DDR konnte Eckert sich entfalten, schüttelte Bevormundung und Drangsalierung des SED-gesteuerten Geschichtsapparates ab und engagierte sich im Verband Unabhängiger Historiker. Dessen Anspruch war so verkehrt nicht: die ganze Geschichte der DDR wie des Realsozialismus zu erzählen ohne jegliche Tabus, einstige »Unpersonen« benennend. Dieser Rigorismus hatte auch fatale Folgen. Das Feindbild einer SED-gesteuerten Historikerschaft, die nicht belehrt, sondern ausgekehrt werden müsse, öffnete den Raum für westdeutsche Deutungsmacht, die Eckert nunmehr selbst beklagt. Wie in der DDR kritische Intellektuelle und Bürgerrechtler oft zurückgesetzt und benachteiligt wurden, werden diese jetzt wieder und weit radikaler abserviert.

Eigentlich hat Eckert keinen Grund zum Klagen, denn die DDR wird in der neuen Geschichtserzählung nicht verherrlicht, im Gegenteil als Diktatur dem NS-Regime gleichgestellt. Credo des Autors ist, »dass weder die nationalsozialistischen Verbrechen noch die der Kommunisten relativiert oder bagatellisiert werden dürfen«. Eckert stören jedoch die Pauschalisierungen, die für die DDR notwendige Differenzierungen und Tiefenlotungen vermissen lassen. Die »wichtigsten positiven Erinnerungsorte« aus der Zeit der »SED-Diktatur« seien der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, die Friedliche Revolution und die deutsche Wiedervereinigung. Denen stünden dunkle Ereignisse wie der Bau der Berliner Mauer entgegen oder das repressive Wirken des MfS. Eckert attestiert DDR-Bürgern die Fähigkeit zu emanzipatorischem Handeln, um im gleichen Atemzug die DDR in Gänze als verbrecherischen Staat zu beschwören, womit er sich in Widersprüche verstrickt und der Leser sich schließlich fragt, warum der Reflektierende dann 1989 für eine bessere DDR eingetreten ist, wie er schreibt: »Ich wollte in der DDR mithelfen, einen demokratischen Sozialismus zu errichten, dafür war ich auch von der Staatssicherheit politisch verfolgt und von der Humboldt-Universität relegiert worden, und nach dem Sturz der Berliner Mauer ging es mir um eine Wiedervereinigung einer demokratisierten DDR mit der Bundesrepublik auf gleicher Augenhöhe«. Nach einer kurzen Zeit der Illusion war die Enttäuschung umso größer.

Eckert freut sich, dass es »anders als nach 1945 den Gegnern des Nationalsozialismus nach 1989/90 Bürgerrechtlern, Dissidenten und Verfolgten der kommunistischen Herrschaft in Deutschland« gelungen sei, »zu einer wichtigen Gestaltungsmacht bei der Auseinandersetzung mit der jüngsten Vergangenheit zu werden«. Allerdings blieben diese lediglich Stichwortgeber, Türöffner und Aktenbeschaffer für die vom ersten Tag der deutschen Einheit eingeflogenen westdeutschen Eliten, die alle gesellschaftlichen Bereiche im Osten, auch die Wissenschaft und im Speziellen die Historiografie, bestimmten. Was Eckert durchaus eingesteht: »Diese Dominanz Altbundesdeutscher in fast allen entscheidenden Positionen in den neuen Bundesländern hält bis heute an und ist ein Grund für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen im Osten Deutschlands.« Begierig zitiert er wenig hilfreiche Formeln wie die von einem sich in der Gesellschaft breit machenden »Elitenhass« oder von einer westdeutschen »kulturellen Kolonialisierung«, wie der ehemalige DDR-Bürgerrechtler und Leiter der Bundeszentrale für politische Bildung Thomas Krüger formulierte.

Eckert bedauert, dass sein Versuch, nach dem Ende seiner Leipziger Amtszeit sich mit seinen konkurrierenden Aufarbeitungskollegen und -kolleginnen – von Ines Geipel über Jochen Staadt bis Hubertus Knabe – kritisch auseinanderzusetzen, von jenen massiv abgelehnt wird. Er habe öffentliche Anfeindungen erfahren und sei mit dem Manuskript des hier angezeigten Buches beim Mitteldeutschen Verlag rausgeflogen, weshalb er dem Leipziger Universitätsverlag zu besonderem Dank verpflichtet ist, der sich nicht scheute, es zu veröffentlichen. Dass Eckert jene nicht mag, die sich »von ehemaligen Bürgerrechtlern zu Propagandisten der extremen Rechten in Deutschland« gemausert haben, ehrt ihn. Vom Historiker wünschte man sich jedoch gründlicheres Nachdenken darüber, wohin die Art und Weise der radikalen »Aufarbeitung« der DDR-Geschichte geführt hat.

Anscheinend funktioniert die »Erziehung« der Ostdeutschen zur Demokratie durch die Verteufelung von vier Jahrzehnten Realsozialismus nicht so recht. Eckert übersieht gleich anderen, die wie die Kaninchen auf die Schlange AfD im Osten starren, dass es mit der »Demokratieerziehung« auch im Westen des Landes nicht zum Besten bestellt ist. Er fragt leider auch nicht danach, was sich die Menschen, gewiss nicht nur im Osten, von der Demokrtie wünschen: lediglich alle vier Jahre wählen zu dürfen oder ihr Leben von der Kommune bis zum Betrieb demokratisch mitzugestalten sowie ein sozial gesichertes Leben mit bezahlbaren Lebensmitteln, Heizung, Mieten und Gesundheitswesen führen zu können.

Rainer Eckert: Umkämpfte Vergangenheit. Die SED-Diktatur in der aktuellen Geschichtspolitik der Bundesrepublik Deutschland. Leipziger Universitätsverlag, 435 S., geb., 40 €.

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