- Berlin
- Wohnungspolitik
Berlin: Sozialbindung in Pankow entfällt
»Krisengipfel« bespricht, dass tausende Wohnungen auf dem freien Markt landen könnten
»Wir wollen bleiben« steht auf einen handgemalten Schild. Es weist den Weg zum »Krisengipfel« – einem Kongress von Mieter*innen aus Pankow, deren Häuser aus der Sozialbindung zu fallen drohen. Hier wurden in den 90er Jahren viele Häuser mit öffentlichen Geldern saniert. Im Gegenzug verpflichteten sich die Eigentümer, den Mietanstieg zu begrenzen und auf Eigenbedarfskündigungen zu verzichten.
Doch jetzt läuft diese sogenannte Sozialbindung aus und die Wohnungen könnten auf den freien Markt geworfen werden. Davon sind allein im Ortsteil Prenzlauer Berg mindestens 3600 Haushalte betroffen. Auf dem Krisengipfel am vergangenen Freitag im Saal der Bezirksverordnetenversammlung Pankow findet man dann auch ein breites Spektrum von Mieter*innen, von der 80-jährigen Seniorin, die ihr ganzes Leben im Kiez verbracht hat, bis zu Neuberlinern in ihren Zwanzigern.
»Das Besondere hier in Pankow ist nicht, dass Menschen durch die auslaufende Sozialbindung Angst vor Vertreibung haben. Das gibt es in vielen Stadtteilen in ganz Berlin«, sagt Ulrike Hamann vom Berliner Mieterverein in einem Input. »Das Besondere in Pankow ist, dass die Mieter*innen das nicht hinnehmen, sondern sich wehren.« Auf einem Podium sitzen Vertreter*innen von Gruppen, die die Organisation der Pankower Mieter*innen unterstützen wollen. Auf einem anderen sitzen die Mieter*innen selbst. Darunter ist auch Annerose Schröder. »Ich lebe seit 66 Jahren hier. Jetzt habe ich wieder Angst, meine Wohnung zu verlieren«, sagt sie. Dann schildert sie anschaulich, wie diese Ungewissheit ihre Lebensqualität beeinträchtigt.
Maria wohnt seit ihren Studienjahren in Pankow, ihr Sohn ist hier aufgewachsen. Sie schildert ihre Stimmung, wenn potenzielle Kaufinteressent*innen ihre Wohnung besichtigen. »Sie gehen durch meine Küche und mein Schlafzimmer und machen sich laut Gedanken, wie sie die Wohnung einrichten würden. Dabei habe ich sie doch schon eingerichtet und ich habe nicht vor auszuziehen.« Maria kritisiert, dass mit Wohnraum Profit gemacht werden kann – dafür gibt es viel Applaus. Die Stimmung hebt sich noch, als die Mieter*innen 1700 Unterschriften mit Forderungen an einen Vertreter der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung übergeben.
»Wir haben hier keine anonyme Petition gestartet. Hinter jeder Unterschrift steht das Gespräch mit einer Nachbar*in und hinter den 1700 Unterschriften steht eine gut organisierte Nachbarschaft«, sagt ein junger Mitstreiter, der in dem Kiez geboren ist. Viele Teilnehmer*innen halten Schilder mit den Namen ihrer Häuser in die Höhe. Sie sind von dem Auslaufen der Sozialbindung betroffen.
An den Diskussionen beteiligen sich auch Politiker*innen von SPD, Grünen und Linken. Für den Senat ist Stephan Machulik (SPD), Staatssekretär für Mieterschutz, gekommen. Er zeigt in seiner Rede viel Verständnis für die Sorgen der Mieter*innen. Doch diese haben sich konkrete Maßnahmen gewünscht. »Wir haben nicht mehr die Zeit für immer neue Reden. Die Verdrängung hat bei uns schon begonnen«, sagt eine Mieterin.
Andere nehmen sich den Kampf der Pankower Mieter*innen zum Vorbild. »Ich bin hier, um zu lernen, wie man sich organisiert«, sagt ein Mieter aus Treptow.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.