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Hygiene-Museum Dresden: Betriebsbesichtigung mit Kundi
Das Deutsche Hygiene-Museum Dresden widmet sich in einer Sonderausstellung seiner DDR-Geschichte
Dagmar E. ist Modedesignerin, Abteilungsleiterin und permanent im Stress. Sie trifft schnelle Absprachen zwischen zwei Telefonaten und verdrückt ihr Frühstück hastig auf dem eiligen Weg in die nächste Beratung. Gute Arbeit werde die 28-Jährige auf diese Weise nicht lange abliefern, kommentiert eine Männerstimme. Es komme schließlich »nur der zum Ziel, der sinnvoll plant und sinnvoll schafft – das schont die Nerven und gibt Kraft«.
Die junge Managerin ist Hauptfigur in einem Kurzfilm mit dem Titel »Hygiene-Tagesrhythmus«. Wären nicht die etwas steife Überschrift und der leicht belehrende Unterton des Kommentators, der Streifen wäre in Zeiten zunehmender Arbeitsverdichtung und permanent drohenden Burnouts brandaktuell. Der Einminüter wurde freilich schon 1973 gedreht, lief in der Reihe »Tausend Tele-Tipps« im DDR-Fernsehen und entstammte der Produktion des Deutschen Hygiene-Museums Dresden (DHMD). Zu sehen ist er in einer neuen Sonderausstellung des Hauses, in dem sich dieses unter dem Titel »VEB Museum« seiner eigenen DDR-Geschichte widmet.
Der Titel der Schau ist so irreführend wie großartig. Das Haus war in der DDR formal kein »volkseigener Betrieb«. Vielmehr fungierte es ab 1967 als »Zentralinstitut für gesundheitliche Aufklärung« und war direkt dem Ministerium für Gesundheitswesen unterstellt. In seiner Dauerausstellung, mit Plakatkampagnen und Fernsehspots sollte es Bürger und Werktätige zu gesunder Lebensweise anhalten und Arbeitsschutz propagieren. Das beliebte Maskottchen Kundi gab Tipps zum Zähneputzen und war als »Gesundheitsdetektiv« mit seinem Fernrohr Keimen und Dreckecken auf der Spur.
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Allerdings unterhielt das Haus tatsächlich auch eine umfangreiche »Produktionsabteilung«, deren Erzeugnisse weltweit Devisen einspielten. Über 100 Beschäftigte fertigten in eigenen Werkstätten Schautafeln, sogenannte Wachsmoulagen, die Krankheitsbilder lebensecht nachbilden, und anatomische Modelle. Deren bekanntestes ist die Gläserne Frau, eine Figur, die einen faszinierenden Blick in das Innenleben des Menschen ermöglicht. Auch Kühe und Pferde wurden in dieser Weise gefertigt. Sie wurden in Länder wie Ägypten und Indien geliefert, die als Verbündete des sozialistischen Lagers in der Blockkonfrontation galten.
Schon der Blick in die Werkstätten vermittelt viel Zeitgeschichte. Eine 1949 entstandene Moulage stellt ein »Ekzem durch Staub an der Hand eines Trümmerarbeiters« dar, ein wohl verbreitetes Krankheitsbild in Dresden, wo die Innenstadt nach Ende des Zweiten Weltkriegs großflächig in Trümmern lag. Auch das Museumsgebäude war zerstört. Die Werkstätten wurden zunächst provisorisch untergebracht, die Ausstellungen, mit denen über Volkskrankheiten aufgeklärt wurde, in mobilen Pavillons gezeigt. Eine erste dauerhafte »Nationale Hygieneausstellung« wurde erst 1961 eröffnet, im Jahr von Mauerbau und eskalierendem Ost-West-Konflikt. Ein Rollbild aus jenem Jahr zeigt »Erste Hilfe bei Schussverletzungen«, eine Wachsplastik stellt Verletzungen durch radioaktive Strahlung dar.
Die Dresdner Sonderausstellung belässt es aber nicht bei einem einfachen Werkstattbesuch. Vielmehr wird in insgesamt 16 Räumen der »Betrieb« Museum in seiner ganzen Komplexität dargestellt: vom Heizungskeller bis zum Chefzimmer, von dem für DDR-Einrichtungen typischen »Frauenruheraum« bis zum großen Veranstaltungssaal mit angeschlossener Gaststätte. Das Hygiene-Museum sei in der DDR dreierlei gewesen, sagt die Historikerin Susanne Wernsing, die gemeinsam mit der Kunstwissenschaftlerin Sandra Mühlenberendt das Konzept der Schau entwickelt hat: eine »staatstragende Institution«, ein florierender Exportbetrieb – und ein Kulturhaus. Im 1958 eröffneten Festsaal, der als wichtiges Zeugnis der architektonischen DDR-Moderne galt und dessen Abriss viele bedauern, spielte bis 1969 die Philharmonie. Im DHMD probten Chöre, trafen sich Malzirkel und Tanzgruppen.
Das Haus am Großen Garten stand damit exemplarisch für DDR-Betriebe insgesamt. Diese hätten »zu den mächtigsten Institutionen« in dem Land gehört und viele Lebensfunktionen gebündelt, sagt Thomas Lindenberger, Direktor des Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung (HAIT). Volkseigene Betriebe hätten nicht nur für Arbeit und Lebensunterhalt gesorgt, sondern auch soziale Funktionen erfüllt, etwa durch Betriebsferienheime. Über die Betriebe wurde Bildung organisiert, medizinische Betreuung in Betriebspolikliniken gewährleistet und in Klubhäusern für kulturelles Leben gesorgt. Betrieb und Arbeitskollektiv waren zentrale Lebensbereiche. Lindenberger spricht von einer »zentralen Vergesellschaftungsinstanz«.
Wenn die Ausstellung über den »VEB Museum« zur »Betriebsbesichtigung« einlädt, wie DHMD-Chefin Iris Edenheiser formuliert, geht es damit nicht nur um einen Blick in das eigene Haus. Vielmehr stehe das Hygiene-Museum exemplarisch für andere Betriebe und das Land als Ganzes: »Wir blicken ins Museum, in die Stadt und in die DDR-Gesellschaft.« HAIT-Chef Lindenberger spricht von einem »Kosmos, der im Kleinen das Funktionieren der DDR im Großen nachvollziehbar macht«. Dabei – und das ist durchaus bemerkenswert – wird ein äußerst differenziertes Bild gezeichnet. Das Hygiene-Museum wird als Teil der Machtstrukturen in der DDR dargestellt, in denen es mittels gesundheitlicher Aufklärung »disziplinierend in die Gesellschaft« wirkte, wie Kuratorin Susanne Wernsing sagt. Es wird aber auch als Ort von Kreativität und handwerklichem Geschick präsentiert. Einem mit Blick auf die DDR lange dominanten »Mangel- und Defizitdiskurs« habe man sich verweigert. Schon die kräftige Farbgebung in den 16 Räumen, die von der Szenenbildnerin Susanne Hopf und dem Bühnenbildner Mathis Neidhardt gestaltet wurden, solle illustrieren, »dass die DDR nicht überall marode war«, betont Sandra Mühlenberendt.
Zum solcherart differenzierten Blick auf die DDR-Geschichte tragen nicht zuletzt Interviews mit ehemaligen Beschäftigten bei, die an vielen Stellen in der Schau gezeigt werden. Sie schildern auch die drastische Transformation nach Ende der DDR, als 240 von 300 Mitarbeitern gehen mussten, die einträgliche Produktion an einen Hamburger Unternehmer verkauft wurde und noch nicht absehbar war, dass sich das DHMD in der Bundesrepublik zu einem bundesweit geachteten Museum entwickeln würde. Auch mit diesem Umbruch gleicht seine Geschichte der zahlreicher Volkseigener Betriebe und ihrer Beschäftigter. Die Verlusterfahrungen der Wendezeit wirken bei vielen Betroffenen bis heute nach, der Blick auf die DDR wird drei Jahrzehnte später instrumentalisiert und bestimmt gesellschaftspolitische Debatten. Mit der Ausstellung »VEB Museum« und deren umfangreichem Begleit- und Debattenprogramm, sagt Edenheiser, wolle man sich diesen stellen.
»VEB Museum. Das Deutsche Hygiene-Museum in der DDR«, bis zum 17. November, Deutsches Hygiene-Museum Dresden
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