Anschlag bei Moskau: Was wir wissen – und was nicht

Mehrere Angreifer eröffnen das Feuer in einer Konzerthalle nahe Moskau. Ermittelt wird wegen Terrors, viele Fragen sind jedoch weiter offen

  • Ulf Mauder, dpa
  • Lesedauer: 4 Min.

Bei einem Terroranschlag auf das Moskauer Veranstaltungszentrum Crocus City Hall hat es viele Tote und Verletzte gegeben. Der russische Inlandsgeheimdienst FSB hat nach eigenen Angaben elf Verdächtige festgenommen, darunter auch vier mutmaßlich direkt an der Tat beteiligte Schützen.

Was wir wissen

Der Anschlag ereignete sich in Krasnogorsk im Nordwesten von Moskau in dem beliebten Veranstaltungszentrum Crocus City Hall. Dort gibt es auch eine Konzerthalle mit mehr als 6000 Plätzen, wo am Freitagabend die russische Band Piknik auftreten sollte – vor ausverkauftem Haus. Kurz vor 20.00 Uhr Ortszeit (18.00 Uhr MEZ) fuhr dort laut Augenzeugen ein weißes Auto vor, aus dem bewaffnete Männer ausstiegen und das Feuer auf Wachpersonal und Besucher eröffneten.

Die mutmaßlichen Täter

Die vier direkt beteiligten mutmaßlichen Schützen sollen sich keine halbe Stunde in der Crocus City Hall aufgehalten haben. In der Konzerthalle schossen sie laut Augenzeugen wahllos auf Konzertbesucher und legten dort Feuer mit Benzin, das sie im Rucksack hatten. Danach konnten die Täter in dem Auto, mit dem sie den Augenzeugen zufolge gekommen waren, fliehen. Das Auto wurde dann nach offiziellen Angaben gestoppt, in dem Wagen lagen demnach Waffen und tadschikische Pässe. Insgesamt spricht der russische Inlandsgeheimdienst von elf Festgenommenen.

Behörden und Sicherheitsmaßnahmen

Einsatzkräfte sperrten die Crocus City Hall wegen der Spurensicherung ab. In der russischen Hauptstadt und im Moskauer Umland wurden alle Großveranstaltungen abgesagt. Theater, Kinos und Museen blieben über das Wochenende geschlossen. Auch der Rote Platz in Moskau war abgesperrt. In der ganzen Stadt gab es ein verstärktes Aufgebot von Uniformierten. Zu Hunderten folgten Menschen Behördenaufrufen, für die vielen Verletzten Blut zu spenden.

Reaktion von Putin

Präsident Wladimir Putin meldete sich erst am Nachmittag mit einer Videoansprache zu Wort. Er verurteilte den Terroranschlag und setzte für Sonntag einen nationalen Trauertag in Russland an. Putin hatte in dieser Woche bei einer Rede vor dem FSB jüngste Warnungen der USA und anderer Staaten vor einem bevorstehenden Terroranschlag in den Wind geschlagen. Solche Provokationen nutze der Westen, um die Lage in Russland zu destabilisieren, behauptete er. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte, wenn die USA Fakten hätten, sollten sie diese präsentieren.

Das Bekennerschreiben

Bekannt hat sich zu dem Anschlag die Terrormiliz Islamischer Staat, den Russland in Syrien bekämpft. Experten halten eine entsprechende Mitteilung auch für echt. Am Samstag veröffentlichte der IS zudem verpixelte Fotos der angeblichen Attentäter. Die Kämpfer hätten bewaffnet mit Sturmgewehren, Pistolen und Bomben Russland einen »schweren Schlag« versetzt, hieß es in der Mitteilung. Der Angriff habe »Tausenden Christen in einer Musikhalle« gegolten.

Was wir nicht wissen

Unklar ist, wie viele Tote und Verletzte es genau gibt, weil die Beseitigung der Trümmer nach einem Großbrand in der Konzerthalle am Samstag andauerte. Zudem gab es so viele Schwerverletzte, dass die Behörden davon ausgingen, nicht alle Leben retten zu können. Gefunden wurden etwa auch die Leichen von Frauen, die sich auf einer Toilette vor den Schüssen zunächst in Sicherheit gebracht hatten. Sie starben wohl an einer Rauchvergiftung.

Die Schützen

In den Staatsmedien und sozialen Netzwerken gibt es mehrere Videos und Fotos, auf denen die mutmaßlichen Täter zu sehen sein sollen – und auch befragt werden zu ihrer Person. Die Echtheit der Videos konnte jedoch zunächst nicht überprüft werden. Nicht gesichert sind auch Berichte, wonach es sich um Staatsbürger der zentralasiatischen Ex-Sowjetrepublik Tadschikistan handeln soll. Die Pässe könnten gefälscht sein. Tadschikistan, das an Afghanistan grenzt, ist bekannt als ein Rückzugsort islamistischer Terroristen.

Russische Zweifel an Bekennerschreiben

Die russischen Ermittler äußerten sich zunächst nicht zu dem Bekennerschreiben des IS, in russischen Medien war auch teils von einem angeblichen »Fake« die Rede. Russische Propagandisten behaupteten hingegeben, dass hinter dem Anschlag die Ukraine stecken soll. Auch Putin behauptete, dass es eine ukrainische Spur geben soll. Beweise dafür legten sie nicht vor. Die Ukraine, gegen die Russland seit mehr als zwei Jahren einen brutalen Angriffskrieg führt, wies die Gerüchte über eine Beteiligung deutlich zurück.

Die Folgen

Es dürfte sich um einen der schwersten Terroranschläge handeln seit dem Schulmassaker von Beslan 2004. Zu erwarten ist, dass – wie immer nach solchen Angriffen – die ohnehin massiven Sicherheitsvorkehrungen in Russland noch einmal drastisch verschärft werden. Die Behörden werden sich Fragen gefallen lassen müssen, warum sie trotz immer wieder behaupteter Erfolge bei der Fahndung nach Terroristen diesmal so breit versagt haben. dpa/nd

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.