Nordirland: Politische Krisen überschatten Ostermärsche

Vorsitzender der pro-britischen Democratic Unionist Party wegen sexuellen Missbrauchs festgenommen

  • Dieter Reinisch, Belfast
  • Lesedauer: 3 Min.

Knapp vor den diesjährigen Feierlichkeiten platzte in Nordirland eine politische Bombe: Am Morgen des Karfreitag wurden der Vorsitzende der pro-britischen Democratic Unionist Party (DUP), Jeffrey Donaldson, und seine Ehefrau festgenommen und von der Polizei vernommen. Die gemeinsame Tochter und die Nichte werfen dem mächtigen 61-jährigen Politiker und seiner 57-jährigen Frau vor, sie seit frühester Kindheit sexuell missbraucht zu haben. Die Vorwürfe sollen 25 Jahre zurückliegen. Im März wurde gegen das Ehepaar Anzeige erstattet, nachdem eine der beiden Frauen bei einem Krankenhausaufenthalt die Übergriffe berichtete. Diese hatte sich ursprünglich in medizinische Behandlung begeben, da sie nicht schwanger werden konnte.

Das Ehepaar wurden noch am Freitag im Gerichtsgebäude von Newry dem Richter vorgeführt. Donaldson, der britischer Parlamentarier ist und den Titel »Sir« trägt, trat von seinem Posten als DUP-Chef zurück. Der ehemalige Regierungschef Gavin Robinson übernahm interimistisch.

Der Vorfall stürzt nicht nur die Unionistenpartei in die Krise, sondern auch das fragile politische System. Erst seit Ende Januar tagt nach Jahren des DUP-Boykotts das Regionalparlament Stormont wieder. Seither führt erstmals in der Geschichte Nordirlands mit Michelle O’Neill von Sinn Féin (SF) eine Republikanerin die Regierung.

Traditionell hielt SF ihren zentralen Ostermarsch am Sonntag im republikanischen West-Belfast ab. Nachdem sich die Parade hinter mehreren in historischen Uniformen und weißen Hemden tragenden Frauen und Männern versammelte, ging es in Reihen entlang der Falls Road zum Milltown Friedhof.

Bei strahlendem Sonnenschein und warmen Temperaturen versammelten sich später an die tausend Anhänger beim zentralen republikanischen Monument. Unter der Masse war auch viel republikanische Prominenz: Der ehemalige SF-Präsident und IRA-Oberbefehlshaber Gerry Adams saß neben dem bekannten Belfaster Republikaner Tom Hartley in der ersten Reihe. Sie hörten Joe Austin von der National Graves Association Belfast die Menge begrüßen. Im Gegensatz zu anderen Gedenkkundgebungen, die normalerweise mit Amhrán na bhFiann, der Nationalhymne der Republik Irland enden, wurde diesmal damit begonnen.

Anschließend übergab Austin an den Hauptredner des Tages, den Stormont-Abgeordneten und amtierenden Finanzminister Conor Murphy. Er ging in seiner Rede nicht direkt auf die Turbulenzen beim Koalitionspartner ein, sondern wollte eine positive Stoßrichtung geben: »Immer mehr Menschen sehen die wirtschaftlichen und politischen Vorteile einer Wiedervereinigung Irlands. Wir werden alles daransetzen, dass es darüber bis vor dem Ende der Dekade eine Abstimmung gibt«, gab er das zentrale SF-Projekt für die nächsten Jahre bekannt.

Wie es zu diesem Referendum kommen kann, wollte er nicht preisgeben. SF hat auch keinen ausformulierten Plan, denn der konstitutionelle Hebel dafür liegt ausschließlich bei der britischen Regierung. Es ist dasselbe Problem, mit dem sich auch Schottland seit Jahren konfrontiert sieht.

Dennoch vertrauen die Wähler SF. In den Umfragen liegt die Partei weiterhin in Führung – daran wird sich durch die DUP-Krise in naher Zukunft wenig ändern. Wie lange die Partei an der Regierungsspitze arbeiten kann, ist seit Ostern fraglicher denn je. Die Stimmen innerhalb der Unionisten werden lauter, wie die Koalition zu verlassen und durch einen neuerlichen Stormont-Boykott sich bei den Wählern zu konsolidieren. Denn viele der radikalen Wählerschichten sind unzufrieden, in Nordirland nun eine republikanische Regierungschefin zu haben.

Die Republikaner an der Falls Road ließen sich dadurch am Ostersonntag nicht von ihrer Feierstimmung abbringen: »Noch vor ein paar Jahrzehnten wäre eine Versammlung wie diese von der Polizei angegriffen worden. Wir waren in Nordirland noch nie so weit heute«, erinnerte Murphy. Nun will die Partei auch den letzten Schritt wagen und Irland wiedervereinigen.

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