• Politik
  • Wirtschaftskrise im Libanon

»Eine der schwersten Krisen seit Mitte des 19. Jahrhunderts«

Der Libanon hat die höchste Staatsschuldenquote unter allen Ländern weltweit

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Libanon hat im Grunde alles, um erfolgreich zu sein: Strände, ein vibrierendes Nachtleben in Beirut, Sehenswürdigkeiten ohne Ende. Die Jugend ist gut ausgebildet, das Land günstig gelegen. Und trotzdem befindet sich der Staat seit Jahren in einer tiefen Wirtschaftskrise: Die Staatsverschuldung liegt bei rund 300 Prozent des Bruttoinlandsprodukts – das ist aktuell die höchste Quote weltweit –, Tendenz steigend. Und anders als beispielsweise in Japan, mit einer ebenfalls sehr hohen Staatsverschuldung, stehen den Schulden keine adäquaten Einnahmen gegenüber. Die Regierung erklärte im Februar 2020 zum ersten Mal in der Geschichte des Libanon, Schulden in Höhe von 1,2 Milliarden US Dollar an ausländische Geber nicht zurückzahlen zu können.

Nach Angaben der Weltbank leben mittlerweile rund 80 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze, und das, obwohl die Arbeitslosenquote 2023 bei nicht sehr hohen 11,75 Prozent lag. Der Grund: Allein zwischen 2021 und 2022 stiegen die Nahrungsmittelpreise um 483 Prozent; Gas, Wasser und Strom kosteten plötzlich mehr als das Vierfache. Gleichzeitig verlor die Währung 95 Prozent ihres Werts. Lebenswichtige Dinge waren plötzlich unbezahlbarer Luxus.

Ausgelöst wurden diese Ereignisse durch eine Devisenknappheit bei der Staatsbank. Die Regierung hob daraufhin die Subventionen auf, die wie in fast allen Ländern der Region für Grundnahrungsmittel, Strom, Gas und Wasser galten. Die Folge war der enorme Preisschub.

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Nach Ansicht der Weltbank gehört die Wirtschaftskrise im Libanon »zu den schwersten Krisen seit Mitte des 19. Jahrhunderts«. Tatsächlich sind die Folgen katastrophal: Krankenhäuser und Arztpraxen sind meist nur noch teilweise einsatzbereit, weil es keinen Strom gibt oder man sich für die Behandlung wichtige Güter nicht leisten kann. Die Stromknappheit beeinträchtigt auch die Schulbildung: Kinder und Jugendliche lernen im Dunkeln und ohne digitale Medien, weil es oft auch kein Internet gibt.

Hinzu kommt der »Brain Drain«: Gut ausgebildete Libanesen, darunter viele Ärzte und Universitätsdozenten, haben das Land verlassen oder planen ihren Weggang. Sie kehren einem Land den Rücken, das trotz bester Voraussetzungen nicht auf die Beine kommt.

Zuletzt war alles nicht viel, aber etwas besser geworden: Nach der Aufhebung der Pandemie-Beschränkungen begannen die Menschen, sich nach Reisezielen umzuschauen, und der Libanon hatte Potenzial, eines davon zu werden. Doch dann kam der 7. Oktober 2023 – im Süden stieg die Gefahr eines Krieges zwischen Hisbollah und Israel. Der Traum von den zahlungskräftigen Touristen war von einem Moment auf den anderen wieder vorbei. Und die Wirtschaft, die sich gerade etwas erholt hatte, versank wieder in tiefe Rezession. Wodurch auch die Schuldenquote weiter anstieg.

Eine drei Jahrzehnte währende Phase der »bewusst verantwortungslosen Wirtschafts- und Finanzpolitik« habe all das verursacht, urteilt die Weltbank. Nach dem Ende des Bürgerkriegs 1990 stand in der libanesischen Politik stets die Einhaltung des Friedens zwischen den Bevölkerungs- und Interessengruppen im Vordergrund. Alles andere musste sich dem unterordnen: Man gab mehr aus, als man konnte, und überhörte die mahnenden Stimmen.

Und nun, wo die wirtschaftliche und soziale Krise unübersehbar ist, leistet sich das Land eine Phase der extremen politischen Instabilität. Nach dem Ende der Amtszeit von Präsident Michel Aoun im Oktober 2022 versuchte das Parlament zwölf Mal, einen Nachfolger zu wählen. Ohne Präsident bleibt Regierungschef Nadschib Mikati mit eingeschränkten Befugnissen übergangsweise im Amt. In dieser Zeit können keine nachhaltigen Schritte gegen die Krise unternommen werden.

Doch die größte Unsicherheit liegt in der Kriegsgefahr, und daran kann die libanesische Regierung nichts ändern. Die Führung der Hisbollah, die im Süden von einem Großteil der Bevölkerung unterstützt wird, trifft ihre eigenen Entscheidungen, notfalls auch gegen den Willen der Regierung in Beirut. Ihre eigenen Kämpfer sind mit Unterstützung aus dem Iran um ein Vielfaches besser ausgerüstet als das libanesische Militär.

Aber vor allem möchte niemand einen weiteren Bürgerkrieg auslösen. Also kann Regierungschef Mikati derzeit nicht mehr tun, als alle Beteiligten zur Zurückhaltung und zum Dialog aufzurufen.

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