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ÖRR: Die Mitte wankt
Ein »Manifest« verzweifelt angesichts des öffentlich-rechtlichen Fernsehprogramms
Das Fernsehen, das immer weniger Leute schauen wollen, verlangt weiterhin nach Aufmerksamkeit. Es soll endlich besser werden, fordern ein paar »Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von ARD, ZDF und Deutschlandradio«. Sie haben ein »Manifest für einen neuen öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland« verfasst, das seit einer Woche durch die Medien geistert. Dass das Programm besser werden möge, diesen Wunsch kennt jeder vom verzweifelten Zappen durch die Programme – ob es sich dabei um 10 oder 100 handelt, kommt auf dasselbe raus. Zumindest fast, hier geht es ja um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, von dem sich konstant das Gerücht hält, sein Programm wäre irgendwie besser als das der sogenannten Privaten. Daran glaubt vor allem eine journalistische Bürokratie in den Rundfunkanstalten, die auch durch periodisch wiederkehrende Geldverschwendungs-Skandale nicht zu erschüttern ist.
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Ist das Fernsehen vielleicht schlechter geworden? Die Unterzeichner*innen des »Manifests«, darunter Traditionslinke wie der Liedermacher Wenzel oder die ehemalige Politikerin und TV-Journalistin Luc Jochimsen neben Cross-over-Rechten wie der Politikprofessorin Ulrike Guérot, der Kabarettistin Lisa Fitz oder dem Ex-ARD-Moderator Jürgen Fliege, aber auch der Volksschauspieler Henry Hübchen sagen allesamt: Jawoll. Denn die Arbeitsbedingungen der Journalistinnen seien konstant schlechter geworden. Sie müssten immer mehr arbeiten und bekämen weniger Geld. Flexibilisierung und so. Normaler Kapitalismus, kennt man aus allen Branchen. Das ist abstoßend und muss bekämpft werden, keine Frage. Ein probates Mittel wäre die Abschaffung des Quoten-Fetischismus für die Sendungen, sagen die »Manifest«-Leute und liegen damit richtig.
Aber sie haben noch ein viel größeres Problem: die Inhalte. Die sind komischerweise gar nicht so flexibel. Da gibt es Grenzen, Sanktionen und Einseitigkeiten. So geht’s zu im Überbau, würde man traditionslinks urteilen – aber darum geht es den »Manifest«-Leuten nicht. Sie schlagen ganz bürgerlich Alarm: Ihrer Meinung nach »verschwimmen Meinungsmache und Berichterstattung zusehends auf eine Art und Weise, die den Prinzipien eines seriösen Journalismus widerspricht«. Und wer anderer Meinung sei, der würde »wahlweise ignoriert, lächerlich gemacht oder gar ausgegrenzt«, schreiben sie. Geht es hier um die Militarisierung der Gesellschaft, das »Kriegstüchtig«-werden-Müssen, wie es die Bundesregierung verlangt? Oder um die Kriminalisierung der Armen und der Flüchtlinge?
Nein, ganz und gar nicht. Wenn »versucht wird, Minderheiten mit abweichender Meinung zu diffamieren und mundtot zu machen«, dann geht es hier um die »›Kampfbegriffe‹ wie ›Querdenker‹, ›Schwurbler‹, ›Klima-Leugner‹, ›Putin-Versteher‹, ›Gesinnungspazifist‹ und andere«. Puh, die alte Corona-Kiste ist mal wieder das Problem. Die Anti-Covid-Maßnahmen waren das Schlimmste, was der deutsche Staat seiner Bevölkerung jemals angetan hat, dagegen verblassen alle anderen Unfreiheiten und Zwänge – das ist seit 2020 die einigende Wahnidee der Obskuranten, Pseudo-Individualisten und Partisanen-Poser, die es abstoßend fanden und finden, andere Menschen schützen zu wollen. Plus ein bisschen Klimaskepsis und – angedeutet – der anscheinend unerschütterliche Glaube an die russische Friedensliebe.
Das Ganze gipfelt in der Mutmaßung, dass die im Fernsehen allseits beliebten »Faktenchecks« gar nicht so faktensicher seien, sondern »eine vermeintlich absolute Wahrheit, die selten existiert«, suggerieren wollten, der »freie gesellschaftliche Diskurs wird dadurch schmerzhaft beschnitten«. War der dort jemals der Regelfall?
Mit einem naiven Schulbuch-Idealismus zeichnen die »Manifest«-Leute das Bild eines gerechten Fernsehens, das so noch nie existierte. Die noch fernsehschauende Mitte ist beunruhigt und wankt – nach rechts. Das ist schon absurd: Warfen die Rechten dem Fernsehen früher vor, es sei zu links (was es niemals war), ist es ihnen und ihren Verbündeten heute irgendwie zu staatstragend. Deshalb haben angeblich 33 Fernsehmenschen das »Manifest« nur im Geheimen unterzeichnet, ihre Unterschriften seien bei einem Rechtsanwalt hinterlegt, heißt es. Zu brisant und zu gefährlich für die Karriere. Das klingt doch sehr nach dem Boulevard-Format »Brisant« in der ARD.
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