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Von der Tropfsteinhöhle zum Frohsinnskombinat

Vor 40 Jahren wurde der neue Friedrichstadt-Palast in Berlin eröffnet, der bereits jetzt unter Denkmalschutz steht

  • Frank Schumann
  • Lesedauer: 5 Min.

Endzeit bei den Marionetten« überschrieb ein Hamburger Nachrichtenmagazin im Februar 1990 seinen Abgesang auf das größte Revuetheater der Welt außerhalb von Las Vegas. Es werde »in den Trümmern des Arbeiter- und Mauernstaates« untergehen.

Nun, den Friedrichstadt-Palast gibt es noch immer: Er steht, obgleich er doch erst 40 ist, schon unter Denkmalschutz und schreibt »schwarze Zahlen«. Das Publikum reist mehrheitlich aus dem ganzen Land an, meist aus »atmungsaktiven Erlebnisräumen« mit klimatisierten Bussen und nicht mehr, wie einst, »aus den Giftnebeln der Leuna- und Buna-Schlote, aus der Tristesse von Zöschen, Schkopau und Kyritz, mit Bus, Bahn und ächzenden Trabis«. Zwar kosten die Billetts nicht mehr wie damals zwischen 7 und 15 DDR-Mark, denn der Staat bezuschusste, wie die geschwätzige Nachrichtenpostille höhnisch zu berichten wusste, jede Karte mit 45 Mark. Ungewiss aber, »ob nach dem 18. März die gewählten Regenten den teuren Glamour weiter fürstlich ausstaffieren. Die Preise werden landesweit steigen.« In diesem Punkte irrte das westdeutsche Sturmgeschütz der Demokratie ausnahmsweise mal nicht. Inzwischen kostet das Ticket zwischen 19,80 und 199,90 Euro, umgerechnet also zwischen 80 und 800 Ostmärker … Und das Publikum reist aus aller Welt an.

Der Bau des Hauses ward Ende der 70er Jahre beschlossen. Der alte Friedrichstadt-Palast, auf Eichenbohlen in den Schwemmsand der Spree gesetzt, versank im Urstromtal, nicht mehr zu retten. Reichlich 100 Jahre nach seiner Errichtung als Markthalle war das Gebäude bereits einen halben Meter abgesackt. Auf die Tradition als Zirkus, Großes Schauspielhaus (unter Max Reinhardt) und Revuetheater war gehustet; der wegen der Zapfen, die von der Decke und den Traversen hingen, als »Tropfsteinhöhle« bezeichnete Bau musste baupolizeilich gesperrt werden.

Das Ballett – Markenzeichen des alten und neuen Friedrichstadt-Palastes
Das Ballett – Markenzeichen des alten und neuen Friedrichstadt-Palastes

Man, also Erich Honecker, entschied, dass der neue Palast unweit des im Wortsinne dem Untergang geweihten alten Palastes errichtet werde. Zwischen Friedrich- und Kalkscheunenstraße, Johannis- und Ziegelstraße gab es ein geeignetes Areal, keine 8000 Quadratmeter groß. Einst erhob sich dort eine Kaserne, die noch von Schinkel entworfen worden war. Danach zog das Finanzamt ein, 1945 war’s eine Ruine. Als diese abgeräumt war, schlug Zirkus Barlay-Busch sein Zelt auf und seit 1963 parkten dort ausschließlich Autos. Da ließ sich bauen.

Am 26. Juni 1981 erfolgte die Grundsteinlegung in einer 17 Meter tiefen Grube, am 27. April 1984 wurde der neue Friedrichstadt-Palast eröffnet. Pünktlich und planmäßig. Nur bei den Kosten war man nicht ganz plantreu gewesen. Von den vorgesehenen 219 Millionen Mark hatte man fünf Millionen eingespart. Heute läuft das bekanntlich alles andersherum. Die Milliardengräber in Stuttgart, Hamburg, Berlin-Schönefeld etc. sind bekannt …

Wie das alles möglich wurde, weiß Jürgen Ledderboge. Der heute 87-Jährige hatte das Kommando. Als Oberbauleiter dirigierte er mitunter bis zu 600 Bauarbeiter, die von 6 bis 22 Uhr im Zweischichtbetrieb tätig waren. Doch Ledderboge teilt das Schicksal der meisten Macher: Ihr Name kommt in den einschlägigen Publikationen nie vor. Es werden die Architekten Manfred Prasser und Dieter Bankert gerühmt, der Generalprojektleiter Walter Schwarz und der Generaldirektor der hauptstädtischen Baudirektion Ehrhardt Gißke nicht minder. So soll es auch sein.

Im Unterschied zu diesen verdienstvollen Persönlichkeiten aber ist der Bauingenieur Ledderboge noch immer ziemlich kregel und weiß als Zeitzeuge munter über die Baugeschichte des Hauses zu berichten. Er hat auch ein Buch darüber zu schreiben begonnen, doch die vielen Leute, die etwa wegen der Rechte an den Fotos und Zeichnungen gefragt werden müssen, haben die Fertigstellung verzögert. Ein Buch ist schließlich kein Bau, da ist alles viel, viel komplizierter. 

Der Friedrichstadt-Palast war einerseits ein Solitär, andererseits nur ein Gebäude des Baukomplexes Friedrichstraße Nord, wozu auch Wohn- und Geschäftshäuser, Kindergärten und eine Schule gehörten. Sie entstanden zur gleichen Zeit. Auch dort hatte Ledderboge den Hut auf. Darum weiß, wie sie beispielsweise die Fernwärmeleitung zur Charité anzapften, um mit dem Strang zum Friedrichstadt-Palast dafür zu sorgen, dass auch das Deutsche Theater, Universitätskliniken, das Hotel »Johannishof« und andere Neubauten im Kiez mit Wärme und Wasser versorgt werden konnten. Kabelgräben für zwei Starkstromleitungen, die bis zu den Umspannwerken jenseits der Allee Unter den Linden reichten, gruben ihnen Studenten in der Semesterpause. »Wir hatten acht Wochen für jede Trasse geplant, die jungen Leute brauchten nur die Hälfte der Zeit. Sie waren hoch motiviert«, sagt Ledderboge noch immer mit unverhohlenem Stolz. »Sie haben die Gräben ausgeschachtet und auch wieder verfüllt – bei laufendem Verkehr.«   

Die »Tropfsteinhöhle«, der alte Friedrichstadt-Palast mit Parkplatz
Die »Tropfsteinhöhle«, der alte Friedrichstadt-Palast mit Parkplatz

Das allein aber brachte nicht die Einsparungen im Millionenbereich. Die Beteiligten haben gemeinsam nach originellen Lösungen gesucht, die keine Devisen kosteten. »Die geplante Fassade aus Stahl, Glas und Aluminium konnten wir uns nicht leisten. Also entwickelten wir Stahlbetonelemente mit diesen farbigen Silikatsteinen aus Glas. Wir verzichteten innen auf kostspielige Einbauten etwa aus Holz und nahmen dafür ebenfalls Beton. Wir bauten, um Energie zu sparen, im Funktionstrakt Oberlichter ein. Für die Lampenkörper im Foyerbereich wurden Glasröhren von Rindermelkanlagen verwendet, welche Formgestalter, heute Designer genannt, gekonnt verarbeiteten. Wir vermauerten in den Werkstätten und Garderoben Kalksandstein, um die Innenwände nicht verputzen zu müssen …« Es bestätigte sich also mal wieder: Not macht erfinderisch und gebiert Großes und damit Bleibendes.

Und warum sieht der Palast von außen so aus, wie er ausschaut? Was dazu führte, dass ihm die nicht minder erfinderischen Besucher seinerzeit den Beinamen »Aserbaidschanischer Bahnhof« verpassten. Der ursprüngliche Entwurf sei für ein Kulturhaus in Bagdad gedacht gewesen, verrät Ledderboge. Wenn das den Journalisten in Hamburg bekannt gewesen wäre, hätten sie sich gewiss vor Hohnlachen gekrümmt, wo sie sich doch gewiss schon kringelten über ihre Wortkreationen vom »Frohsinnskombinat« – was die humorigen DDR-Bürger durchaus, positiv gewendet, mit Stolz annehmen konnten – inklusive der (dies nun aber despektierlich) »palasteigenen Hochbein-Brigade«. Aber der von der Westpresse seinerzeit verbreitete Spaß wird noch übertroffen von Wikipedia. »Mit seinen 1895 Sitzplätzen ist der Palast seit 1990 der größte Theaterbau in Berlin«, heißt es dort tatsächlich. Seit 1990!

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»Wurde nach der »Wende« angebaut?«, erkundige ich mich bei Jürgen Ledderboge, dem Ex-Oberbauleiter. »Nicht, dass ich wüsste. Wir waren schon 1984 Berlins größter Theaterbau.«

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