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Rechtsruck bei Gen Z: Generationen-Bullshit-Bingo
Nach der Veröffentlichung einer Studie haben Medien mal wieder das Thema Generationen entdeckt
Eine repräsentative Studie hat jüngst ermittelt, dass die »Gen Z«, also jene Generation, die etwa zwischen 1995 und 2010 zur Welt gekommen ist, nach rechts gekippt ist. Junge Leute seien unzufriedener und würden sich deutlich häufiger der AfD zuwenden, ist eines der Ergebnisse der Studie. 22 Prozent der 14- bis 29-Jährigen können sich vorstellen, die AfD zu wählen, wenn jetzt Bundestagswahl wäre.
Der große Schock: Das sind mehr als doppelt so viele, wie vor zwei Jahren. Damals waren es neun Prozent. Wie kann das sein, muss die junge Generation doch seit jeher für Projektionen jedweder Art herhalten: Wahlweise ist sie faul, politisch interessiert oder desillusioniert. Oder alles drei zusammen. Auf jedenfalls ist sie enorm rechts, wie wir nun wissen.
Olivier David ist Autor und Journalist. 2022 erschien von ihm »Keine Aufstiegsgeschichte«, in dem er autobiografisch den Zusammenhang von Armut und psychischen Erkrankungen beschreibt. Bevor er mit 30 den Quereinstieg in den Journalismus schaffte, arbeitete er im Supermarkt und Lager, als Kellner und Schauspieler. 2024 erscheint sein Essayband »Von der namenlosen Menge« im Haymon Verlag. Für »nd« schreibt er in der 14-täglichen Kolumne »Klassentreffen« über die untere Klasse und ihre Gegner*innen. Alle Texte auf dasnd.de/klassentreffen.
Letztlich dient das Gespräch um Generationen nicht immer, aber immer wieder, der politischen Verwirrung und der Kapitalisierung von Aufmerksamkeit. Schaut man sich die Zahlen der neuen Studie genauer an und ordnet sie entsprechend ein, ergibt sich ein klares Bild: Die Zustimmung zur AfD unter den Erwachsenen lag im selben Zeitraum im Jahr 2022 bei elf Prozent, während sie im Januar dieses Jahres bei 22 Prozent lag. Auch wenn die AfD seit den Skandalen um mutmaßliche Zahlungen und Spionage auf durchschnittlich 17,5 Prozent gefallen ist, zeichnet sich ab, dass es gar keinen großen Unterschied gibt, zwischen der Stimmung unter Wähler*innen generell im Vergleich zu Jungwähler*innen und (noch nicht wahlberechtigten) Jugendlichen.
Diese Annäherung einer eigentlich tendenziell etwas progressiveren Jugend zum Durchschnitt der Gesellschaft ist es Wert besprochen zu werden. Dafür wäre aber ein völlig anderes Framing nötig, als jenes, dass die meisten Medien nach Veröffentlichung der Studie angeschlagen haben. Das klang eher nach »Hilfe, unsere Jugend ist so rechts.« Ein überwiegender Teil der Texte, die zu Phänomenen der »Gen Z« veröffentlicht werden, haben kein Interesse daran, ernsthaft etwas herauszufinden. Diese Art von Gespräch ist vor allem ein selbstreferenzielles Medien-Blabla, schließlich organisieren sich Gesellschaften nicht primär nach Alter, sondern nach Interessen. Und die gehen massiv auseinander.
Es ist Ausdruck eines gesamtgesellschaftlichen Trends, dass bei größerer Prekarisierung und ökonomischer Unsicherheit autoritäre rechte Parteien wie die AfD, Sympathien und Zustimmung erhalten. Das macht auch vor jungen Menschen nicht halt. Ein paar Air Max Schuhe machen noch keinen linken Jugendlichen, genauso lässt die Angst vor Klimawandel oder Armut Heranwachsende nicht per se die richtigen Schlüsse ziehen. Das hat, na klar, auch damit zu tun, dass die AfD die einzige Partei zu sein scheint, die das »Thema« Internet ernst nimmt – aber es ist eben nur ein marginaler Aspekt. Die Meinungen von Kindern und Jugendlichen sind Abbild gesellschaftlicher Realitäten – wer hätte das gedacht.
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Auf den Schluss, dass sich unsere Gesellschaft nach Klasseninteressen organisiert, muss die Erkenntnis folgen, dass Medien, die an gesellschaftlicher Wahrheitsfindung interessiert sind, sich eben nicht am konservativen Generationen-Bullshit-Bingo beteiligen.
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