- Politik
- Antisemitismus in Deutschland
Eine deutsche Tugend
Israel-Solidarität als Staatsräson und der Schutz jüdischen Lebens: Passt das eigentlich zusammen?
Vieles wurde über Nancy Frasers Ausladung von der Albertus-Magnus-Professur an der Universität zu Köln geschrieben und debattiert – über Wissenschaftsfreiheit, Redefreiheit und universitäre Ehrungen. Aber ebenso exemplarisch lässt sich anhand der Ausladung Frasers eine grundsätzliche Problematik staatstragender Israel-Solidarität und deren institutionelle Auslegung in Deutschland darlegen: Diese scheint weniger den Schutz jüdischen Lebens zu gewährleisten denn ihn als Rechtfertigung für Repressionen gegen Linke und Migrant*innen, aber auch gegen linke Juden und Jüdinnen zu nutzen.
Mit der Begründung, das Ausagieren antisemitischer Haltungen und Ressentiments gegen Juden und deren vermeintlichen geopolitischen Repräsentanten Israel auf deutschen Straßen sowie in Bildungs- und Kulturinstitutionen unterbinden zu wollen, setzen deutsche Sicherheitsbehörden besonders drastische Maßnahmen gegen bestimmte Personengruppen ein. Dazu zählen Knüppel, Drohnen, Wasserwerfer und Hubschrauber. Es werden Versammlungsverbote gegen propalästinensische Kundgebungen verhängt, Einrichtungen geschlossen und Gelder entzogen. Außerdem wird die Stigmatisierung von Einzelpersonen sowie Personengruppen vorangetrieben – im Fall von Nancy Fraser ist mit der Ausladung zugleich ihre wissenschaftliche Arbeit diskreditiert, in einem weitreichenderen Sinne als die Universität zu Köln es zugeben mag.
Auf dem rechten Auge blind
Das harte Vorgehen des deutschen Staates gegen Aktivist*innen, Initiativen und Wissenschaftler*innen, die ihre propalästinensische Solidarität kundtun sowie die damit einhergehenden Repressionswellen scheint also vor allem spezifische Gruppen zu treffen. Dem steht das fast vollständige Ausbleiben der Verfolgung rechtsradikaler Organisierung gegenüber sowie die fehlende Beschäftigung mit deren Verstrickungen in die deutschen Sicherheitsbehörden, Verwaltungsstrukturen und Parlamente.
Die von den erstarkenden rechtsradikalen Kräften ausgehende tatsächliche Bedrohungslage für jüdisches Leben in Deutschland scheint weniger relevant zu sein als die vermeintliche Bedrohung durch offene Briefe und eine – zugegebenermaßen unübersichtliche – linke Debatten- und Protestkultur rund um den Nahost-Konflikt. Damit soll nicht gesagt sein, dass diese Diskurse nicht tatsächlich bedrohliche Momente enthalten. Aber zweifellos überlagert die Zentrierung auf einen linken und/oder migrantischen Antisemitismus die derzeitige Beschäftigung mit dem mindestens ebenso erstarkenden Antisemitismus von rechts und der sogenannten bürgerlichen Mitte.
Kollaboration im Ortsbeirat
Diese Ambivalenz der Israel-Solidarität als Staatsräson schwelt stets unter der Oberfläche des konkreten institutionellen Umgangs mit Antisemitismus in Deutschland. Hierzu möchte ich einige Beispiele aus dem Ortsbeirat einbringen, dem ich selbst für die Bürger*innenliste »ÖkolinX – Antirassistische Liste« angehöre. Erst diesen Montag kam eine Person zu uns in die parlamentarische Bürger*innenfragestunde, um eine Forderung an unser Gremium zu stellen: Juden und Jüdinnen sollten als selbstverständlicher Teil der Frankfurter Stadtgesellschaft gelten. Hierzu wurde dem Herrn vonseiten einiger Vertreter*innen bürgerlicher und neoliberaler Parteien versichert, dass viele diesbezügliche Initiativen in der Planung oder bereits umgesetzt seien.
Das entspricht tatsächlich der Wahrheit, denn der Schutz und die Sichtbarmachung jüdischen Lebens sind in unserem Ortsbezirk nicht nur Lippenbekenntnisse. Kampagnen gegen Antisemitismus, Platzbenennungen nach jüdischen Frankfurter*innen sowie eine Involvierung der Stadtgesellschaft in die jüdische Geschichte des Stadtteils: All dies steht im Frankfurter Ortsbezirk 2 auf der Tagesordnung.
Dennoch fehlt auch hier etwas für die tatsächliche Einhaltung des besonderen Schutzversprechens gegenüber jüdischem Leben in Deutschland Wesentliches – und das artikuliert sich sowohl im Ortsbeirat als auch in einem allgemeinen Umgang mit dem deutschen Antisemitismus. Sprich: Die aktive Abgrenzung, Kritik und Verweigerung der Zusammenarbeit mit einem Vertreter der rechtsradikalen parlamentarischen Bürgerliste vonseiten der Parteien der Mitte bleibt auf der lokalpolitischen Ebene völlig aus. Allein Die Linke hat sich mit einer eigenen Resolution der von ÖkolinX angeschlossen, nicht mit dem oben genannten Vertreter der »Bürger für Frankfurt« zu kollaborieren.
Die »Bürger für Frankfurt« sind eine rechtsradikale Gruppierung, die bereits mehrfach mit antisemitischen Haltungen und Denkmustern in Erscheinung getreten ist. So stellten 2016 Vertreter dieser Liste eine Anfrage an den Magistrat, weshalb »Chemtrails« über Frankfurt versprüht würden; zahlreiche weiterer solcher Ausfälle sind bekannt, dokumentiert und im Internet zugänglich. Anstelle einer Abgrenzung von der rechten Organisation tut der Ortsbeirat jedoch das genaue Gegenteil.
2023 legten uns beispielsweise FDP und CDU einen Antrag vor, in dem Solidarität mit der jüdischen Gemeinde Frankfurts gefordert wurde – mit gezeichnet durch den oben genannten Vertreter der »Bürger für Frankfurt«. An der Zusammensetzung der Antragstellenden wurde trotz meiner expliziten Kritik festgehalten. »Demokratisch gewählt« steht für die Mitglieder meines Ortsbeirates offenbar gleichbedeutend mit »demokratisch gesinnt«. Sehr viel leichter fiel denselben parteipolitischen Vertreter*innen wiederum die spontane Distanzierung von der Gedenkinitiative an den rassistisch motivierten Brandanschlag auf die Familie Genç im Jahre 1993 in Solingen – auf der »Grundlage« vager Erzählungen vonseiten eines Bürgers. Die Initiative hat für die diesjährige Gedenkfeier auf dem Bockenheimer Hülya-Platz einen Antrag auf Unterstützung stellen lassen.
Zweierlei Maß
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Ein weiteres Beispiel für die staatliche Doppelmoral stammt aus dem Februar dieses Jahres. Hier wurde in Frankfurt sowohl der Jahrestag des rassistischen Anschlags in Hanau begangen als auch eine Kundgebung zum Gedenken an Blanka Zmigrods, eine antifaschistische Jüdin, die im Jahre 1992 im Frankfurter Westend von einem schwedischen Rechtsradikalen auf offener Straße ermordet wurde. Während die polizeiliche Straßensperrung des Veranstaltungsortes nicht einmal ausreichte, um die Kundgebung vor dem alltäglichen Berufsverkehr zu schützen, erteilte die Polizei den Veranstalter*innen einen langen Katalog unzulässiger Gegenstände, der eingehalten werden musste. Zudem ist den örtlichen Sicherheitsbehörden bekannt, dass in der Vergangenheit immer wieder Mitglieder der jüdischen Gemeinde Frankfurts bei der Gedenkveranstaltung anwesend waren. Insofern hätte ein entsprechender Polizei- und Personenschutz auftreten müssen – insbesondere nach dem Massaker vom 7. Oktober 2023 und dessen Nachbeben von antisemitischen Angriffswellen in Deutschland. Aber anstatt einen besonderen Schutz zu gewährleisten, brachte die Polizei die Teilnehmenden vor Ort durch ihre mangelnde personale Ausstattung in eine aktive Bedrohungslage. Eine Einladung des zuständigen Einsatzleiters in den Ortsbeirat durch den Ortsvorsteher (Grüne) steht noch aus.
Jüdische Institutionen, Vereine und in der Öffentlichkeit stehende Einzelpersonen sind in Deutschland bekanntlich auf den Schutz vonseiten des Staates angewiesen. Dass dieser Schutz jüdischen Lebens jedoch nicht immer die erste Priorität ist, zeigt ein weiteres Beispiel: Die Schutztür der Synagoge in Halle musste die örtliche jüdische Gemeinde in Israel anfertigen lassen und mit eigenen Geldern finanzieren. Auch dass Hubert Aiwanger (Freie Wähler) nach dem Skandal im vergangenen Jahr, bei dem von ihm verfasste antisemitische Flugblätter aus seiner Jugendzeit auftauchten, weiterhin bayerischer Wirtschaftsminister ist, lässt sich in dieses Narrativ einreihen.
Alle genannten Fälle zeigen den klaffenden Gegensatz zwischen der fehlenden Bereitstellung von Infrastrukturen zum Schutz jüdischen Lebens, der ausbleibenden Abgrenzung gegen Antisemitismus von rechts und aus der »bürgerlichen Mitte« mit ihren Parteien und Institutionen – und den intensiv erfolgenden Repressionen gegen propalästinensische Aktivitäten. Derweil bleibt die Frage offen, was nun eigentlich wen in Deutschland wirklich sicher machen würde. Eines lässt sich aber bereits festhalten: Was marginalisierte Menschen hierzulande definitiv nicht sicherer macht, ist Verfolgung und Gewalt vonseiten des Staates.
Altaira Caldarella lebt in Frankfurt, mischt sich gerne in die Lokalpolitik im Frankfurter Ortsbezirk 2 (Bockenheim, Kuhwald, Westend) ein und ist derzeit publizistisch, aktivistisch und wissenschaftlich tätig. Erst vor Kurzem hat sie ihren Abschluss in politischer Theorie an der Goethe-Universität erlangt und in diesem Zuge auch bei Nancy Fraser an der New School for Social Research in New York City studiert.
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