Keine Stechuhr am Arbeitsmarkt

Die FDP will Ältere länger im Berufsleben halten. Sie machen bereits ein Viertel der Arbeitslosen aus

Für die von der FDP häufig beschworene »Generationengerechtigkeit« der Rentenfinanzierung sieht jene eine Lösung: die Erhöhung des Renteneintrittsalters. Vergangenes Wochenende stimmten die Freien Demokraten auf ihrem Parteitag sowohl für die Abschaffung der »Rente mit 63« als auch für die Flexibilisierung der Rente. Für »flexible Übergänge mit finanziellen Anreizen« hatte sich auch Bundesarbeitsminister Hubertus Heil bei der Vorstellung des Rentenpakets II im März ausgesprochen.

Dabei steigt die Zahl der älteren Erwerbslosen ohnehin, wie eine Anfrage der Linken im Bundestag ergab. Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) waren 2023 23 Prozent der arbeitslos gemeldeten Menschen zwischen 55 und 65 Jahren alt. 2019 war noch jede fünfte arbeitslose Person in dem Alter. Auch die Arbeitslosenzahl insgesamt stieg von April 2023 bis April 2024 um 164 000 Personen, wie die BA am Dienstag mitteilte.

Der steigende Anteil älterer Erwerbsloser hat, so Martin Brussig, Universität Duisburg-Essen, gegenüber »nd«, zwei Gründe: Den demografischen Wandel mit einem zunehmenden Anteil von Älteren an der Erwerbsbevölkerung und den Anstieg der Rentenaltersgrenzen, aufgrund dessen der Renteneintritt in immer höherem Alter erfolgt. Zum ersten Mal seit etwa 100 Jahren haben Arbeitslose außerdem keinen Anspruch auf Frühverrentung. Dieser wurde ab 2012 schrittweise abgeschafft und ist mit 2023 abgeschlossen. Die Ergebnisse zeichnen sich jetzt ab.

Deswegen könne sich Kai Lindemann bei der Überlegung, die »Rente mit 63« abzuschaffen, nur »an den Kopf greifen«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Lindemann ist Geschäftsführer des Berliner Arbeitslosenzentrums evangelischer Kirchenkreise (Balz). Zu den Beratungen kämen bereits viele Personen, die »nicht mehr können«, und deswegen Abschläge ihrer Rentenpunkte in Kauf nähmen.

Die »Rente mit 63« ist ein umgangssprachlicher Begriff für die Altersrente für langjährig Versicherte und die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nach 35 oder 45 Versicherungsjahren. Wer erstere in Anspruch nimmt, muss Abschlagszahlungen leisten. Gegner*innen der »Rente mit 63« kritisieren ihre Treffsicherheit. Sie würde von Personen in Anspruch genommen, die noch arbeiten könnten.

Susanne Ferschl, arbeitsmarktpolitische Sprecherin der Linken im Bundestag, fordert eine Weiterbildungsoffensive für Ältere, um den Fachkräftemangel und die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. In der Regel helfen Weiterbildungen und Umschulungen, so Brussig. Werden Menschen aber aus gesundheitlichen Gründen arbeitslos, greifen die Maßnahmen weniger.

Ältere Menschen geraten deutlich häufiger wegen gesundheitlicher Probleme in Arbeitslosigkeit. Umschulungen setzen dann nicht an den Ursachen ihrer Erwerbslosigkeit an. »Die richtige Maßnahme hängt von den Problemen ab, aufgrund derer Menschen arbeitslos geworden sind«, stellt Brussig fest. Das schätzt auch Lindemann so ein: »Oft herrscht in der Debatte über den Arbeitsmarkt eine technokratische Sichtweise vor.« Einzelschicksale gingen verloren.

Was könnte also tatsächlich gegen die zunehmende Altersarbeitslosigkeit helfen? Die Bedürfnisse der jeweiligen Gruppe stärker in den Blick zu nehmen, ist eine Option. Die Eingliederung in den Arbeitsmarkt erfordert zudem den Einsatz der Arbeitgeber, so Lindemann. Das Bürgergeld gewährt Arbeitgebern Lohnzuschüsse, wenn sie Langzeitarbeitslose einstellen. Diese Instrumente seien jedoch schlecht ausfinanziert, die Jobcenter müssten zwischen Geld für Personalmittel und Maßnahmen entscheiden. Viele wählen das Personal.

Wie sich das Bürgergeld auswirkt, ist aktuell noch nicht durch Daten erfassbar. Einer ersten empirischen Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge sehen Angestellte in Jobcentern wenig Verbesserungen durch die Reform. Sozialverbände sehen das anders.

Personen zwischen 55 und 65 Jahren machen auch einen erheblichen Teil der einkommensarmen Erwerbstätigen aus. Die zweite große Gruppe seien alleinerziehende Mütter, so Lindemann. Jene zweite Gruppe sei es, die man fördern müsse, um den Fachkräftemangel anzugehen.

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