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Sleater Kinney: Ein guter Jahrgang
Das neue Album von Sleater Kinney kann beschwipst machen
Sleater-Kinney sind wie ein guter Wein: beliebt bei Menschen mittleren Alters mit höherem Bildungsabschluss. Von gutem Wein heißt es ja, er würde mit den Jahren immer besser; von schlechten Bands, sie böten alten Wein in neuen Schläuchen. Um das hiermit etablierte Bild geradezurücken: das Weingut Château Sleater-Kinney de Washington hat mit »Little Rope« einen fruchtig-herben Prädikatswein kreiert, der süßlich im Abgang ist und durchaus beschwipst machen kann.
Alter Wein ist das definitiv nicht, aber wenn die Winzerinnen, der Standort und die Rebsorte dieselben bleiben, ist man zumindest vor unangenehmen Überraschungen sicher. Man weiß, was man bekommt, und man weiß, dass man’s mag. Der bewährte Sleater-Kinney-Sound mit seiner Kombination aus melodisch-süßem Gesang und brachialen Gitarren verfehlt seine Wirkung auch diesmal nicht. Zusammengehalten wird die Musik von einem gekonnten Songwriting, das beide Elemente zur Geltung bringt, ohne einem von ihnen die Oberhand zu lassen, und das nur selten der Versuchung nachgibt, beide gleichzeitig einzusetzen: »von allem viel« würde auf Dauer überfordern oder langweilen. Punktuell eingesetzt haut die Mischung aber voll rein.
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Die Texte der so entstandenen Songs kann man aufmerksam mitlesen, man kann sie voller Gefühl mitsingen und man kann sie auch ignorieren, wenn nur die instrumentale Musik zählen soll. Die lädt ein, sie animiert, aber sie zwingt zu nichts, was einer ihrer größten Vorzüge ist. Wirklich jeder Song ist wahnsinnig catchy, aber im Gegensatz zu einer unentrinnbaren Ohrwurmschleife ist diese Gefangenschaft freiwillig.
Mit dem Gefangensein beschäftigen sich auch viele der Songtexte: gefangen in den eigenen Macken und Launen, gefangen in der Liebe, gefangen in der Jetztzeithölle. Andere Themen sind das freiwillige Eingesperrt sein, um sich die feindselige und überfordernde Außenwelt vom Hals zu halten, aber auch das Verfolgtwerden und das Eingesperrtwerden. Auch das Anderssein, das nicht-gut-genug-Sein wird immer wieder thematisiert. Abstrakt formuliert: Das Album lotet mit einiger Konsequenz das Verhältnis zwischen Innen und Außen, erster und zweiter Person, Schwäche und Macht aus. All das ist ja auch schon im Albumtitel enthalten, der dem Text zu »Small Finds« entnommen ist. Ein Seil kann fesseln und verbinden; »gimme a little rope« kann »lass‘ locker / sei nachsichtig« bedeuten, und im Song hat die Zeile eine humorvolle sexuelle Ambivalenz: »You may think it’s vulgar / But I think I’m in love«. Mit seinem kinky Humor sticht »Small finds« ebenso heraus wie »Crusader«, das einzige politische Lied auf dem Album. Zu einem machtvollen Disco-Beat wird hier ein rechter Kulturkämpfer des Platzes verwiesen und der Spieß umgedreht: Anderssein isoliert nicht, sondern verbindet zu einer starken, solidarischen Gemeinschaft.
»Little Rope« ist also nicht einfach nur ein weiteres Sleater-Kinney-Album. Es ist insgesamt statisch, düster und nach innen gekehrt wie das halbrunde Atrium, in dem die Bandmitglieder auf der Rückseite des Albums posieren. Leider kann auf die Aussagekraft der grafischen Gestaltung hier nicht eingegangen werden, aber es lohnt sich wirklich, dieses Album in einem physischen Format zu kaufen, denn es verleiht ihm mehr Körper, wie wir Weinkenner*innen sagen.
Sleater-Kinney: Little Rope (Loma Vista) Der Autor lebt seit 2003 »straight edge« und hat keine Ahnung von Wein.
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