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Digitalisierung für alle
Anne Roth meint, dass Linke mehr über Technik sprechen sollten
Digital first, Bedenken second! Mit diesem Slogan hat die FDP erfolgreich dafür gesorgt, dass Linke, sowieso notorisch technik-skeptisch, allem Digitalen mit dem größten Misstrauen gegenüber stehen. Wo soll das schon hinführen? Im Zweifel verdient irgendwer mit unseren Daten Geld, Überwachung gibt’s umsonst dazu, und niemand geht mehr auf die Straße, um gegen die Ungerechtigkeiten der Welt zu protestieren. Und das ist ja nicht falsch. Die Digital-Unternehmen verdienen sehr viel Geld, und es soll noch mehr werden, sonst würden die Tech-Konzerne nicht fast viermal so viel Geld für Lobby-Aktivitäten in Brüssel ausgeben wie die Auto-Industrie.
Dazu kommt: Themen wie 5G-Mobilfunk, Registermodernisierung, Interoperabilität sind keine Aufreger-Themen am Kneipentisch. Das holt niemanden ab, schon gar nicht, wenn gerade Preise steigen, Mieten unbezahlbar sind und Landtagswahlen mit (noch mehr) Rechtsruck vor der Tür stehen. Das stimmt, andererseits gilt dasselbe für Themen wie, sagen wir, die Rentenformel oder die Finessen des Steuerrechts. Versteht auch niemand.
Anne Roth gehört zu den Pionierinnen linker Netzpolitik. Für »nd« schreibt sie jeden ersten Montag im Monat über digitale Grundrechte und feministische Perspektiven auf Technik.
Wäre es deswegen eine gute Idee, sie zu ignorieren? Wohl kaum, denn dann gäbe es überhaupt keinen Gegenentwurf zur Aktienrente mehr, und dass Altersarmut früher oder später zum Problem wird, ist dann doch den meisten klar. Nicht zuletzt, weil Fragen von Armut und Reichtum und sozialer Gerechtigkeit linke Themen sind und zwar schon sehr, sehr lange. Nun gibt es die Digitalisierung noch nicht so lange, aber eins ist sicher: Sie wird nicht wieder verschwinden. Und weil es nie eine gute Idee ist, Konservativen und Marktliberalen die Definition davon zu überlassen, was relevant ist und was nicht, sollte das auch bei Digitalthemen nicht passieren.
Wer von links auf Digitalisierung blickt, findet eigentlich recht schnell die Themen, die im Alltag eine Rolle spielen. Angefangen damit, dass nicht alle ein Smartphone oder einen Internetanschluss haben. Keine skurrilen Einzelfälle, sondern das betrifft mehr als fünf Prozent der Menschen zwischen 16 und 74 Jahren in Deutschland, bei den Älteren noch mehr. Dazu kommen die, die nicht täglich vor dem Computer sitzen und denen schlicht die Übung fehlt, mit ständig wechselnden Formularen, Sicherheitshinweisen und Apps zurechtzukommen. Gleichzeitig gibt es immer weniger direkte Ansprechpartner*innen, Bank-Filialen, Telefon-Hotlines, denn für Unternehmen wie Behörden ist es einfacher und billiger, alles online abzuwickeln. Bahncard? Nur noch digital. Wer das nicht kann, muss mehr zahlen.
IT-Sicherheit wird großgeschrieben, wenn es Unternehmen betrifft, aber nicht so sehr, wenn es um die Menschen geht, die die IT benutzen. Die meisten kennen die Warnungen, ja keine gefährlichen Anhänge zu öffnen oder unbekannte Links zu klicken. Nur: Wer kann im Arbeitsalltag selbst entscheiden, ob der Anhang zur wichtigen Mail geöffnet wird oder nicht? Oder die Zeit, darüber nachzudenken. Aber über allen hängt die drohende Warnung, dann dafür verantwortlich zu sein, wenn Uni, Krankenhaus oder die Kommune gehackt werden. Und meist bleibt uns nichts, als zu hoffen, dass das irgendwie gut geht.
Eltern tragen inzwischen auch viel Verantwortung. Sie sollen dafür sorgen, dass ihren Kindern im Netz nichts Schlimmes passiert. Für die meisten gleicht das eher einem Blindflug, denn niemand kann ja den ganzen Tag daneben sitzen und nervtötende Spiele und Chats im Auge haben. Klar, die Internet-Zeit kann begrenzt werden, aber das ist ungefähr so effektiv wie der Versuch früherer Generationen, bestimmte Fernsehsendungen zu verbieten.
Digitalisierung, wenn sie gut gemacht ist, kann im Alltag vieles erleichtern. Was aber häufig fehlt, ist die nötige Hilfestellung für alle, die eigentlich ganz andere Dinge zu tun haben. Die politischen Forderungen, das alles sozial gerecht zu gestalten, ergeben sich dann fast von selbst. Und das sind sehr linke Themen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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