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»Bad Director«: Oskar Roehler rechnet mit Filmbranche ab
Regisseur Oskar Roehler im Interview über seinen Film »Bad Director«, die verlorene Schönheit im Film und seine Zeit ohne Wohnung
Der Film beruht auf Ihrem Roman »Selbstverfickung«. Warum haben Sie ihn genau jetzt umgesetzt?
Ich wollte eigentlich schon ganz lange so eine Art Film im Film machen, weil ich für mich herausfinden wollte, was der Beruf für mich in den letzten Jahren bedeutet hat. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass ich plötzlich vor anderen Menschen Angst hatte, weil durch ihren Narzissmus Befindlichkeiten unglaublich aufgebläht werden. Das geht so weit, dass sich Leute die Schuhe zubinden lassen wollen. Es ist grenzwertig, wie viel Privilegien die einen genießen und wie wenig Privilegien letztendlich die anderen haben. Da kann man kaum noch von Political Correctness am Set sprechen.
Was passiert mit der Figur des Regisseurs Gregor Samsa am Set?
Man sieht an seinem Beispiel, wie jemand wie in einem Albtraum völlig verzweifelt. Egal was Gregor Samsa macht, er prallt gegen eine Wand. Das hat mich dann, als ich den Film zum zweiten Mal mit Publikum gesehen habe, das den Film unheimlich lustig fand, irgendwie traurig gemacht. Das war aber auch das Schöne an dem Film.
Oskar Roehler wurde 1959 in Starnberg geboren. Er ist der Sohn von Klaus Roehler und Gisela Elsner und wurde Anfang der 90er Jahre als Schriftsteller, Drehbuchautor und Regisseur bekannt. Sein Film »Die Unberührbare« (2000) über die letzten Jahre seiner Mutter gewann unter anderem den Deutschen Filmpreis. 2020 wurde sein Werk »Enfant Terrible« über den Filmemacher Rainer Werner Fassbinder in den Wettbewerb des Cannes-Filmfestivals aufgenommen; das Festival wurde aber wegen der Corona-Pandemie abgesagt.
Der Typ kommt als ziemlicher Unsympath rüber. Hätte man ihn nicht netter zeichnen können?
Ich vertrete ganz klar die Auffassung, dass ein Roman- oder Filmheld einfach eine Figur ist und das sagen kann, was in ihr steckt. Wenn das eine dekadente, morbide oder destruktive Figur ist, dann hat er bestimmte Sätze parat, und wenn du sie nicht sagst, dann ist die Qualität der Erzählung schlecht. Dann darf man so eine Figur nicht erfinden, wenn sie das dann nicht sagen darf, was sie sagt. Da muss man eine andere Figur erfinden. Um nochmal auf Gregor Samsa zu sprechen zu kommen: Er ist kein Unsympath, das ist nur der erste Schritt, so zu denken. Er ist verzweifelt. Es ist eigentlich ein Film übers Scheitern.
Wovon haben Sie sich inspirieren lassen?
Einer meiner Lieblingsfilme ist »Achteinhalb« von Fellini mit einem Regisseur in der Schaffenskrise. Der Regisseur will nicht mehr und kann nicht mehr arbeiten, weil ihm nichts mehr einfällt. Er scheitert und trotzdem wird am Ende die Filmmaschine in Gang gesetzt und er geht komplett in der Masse unter. »Achteinhalb« ist ein Manifest für die Liebe zum Kino, zu den Bildern und zur Schönheit, und ich habe dann gedacht: Heute ist es eigentlich genau das Gegenteil. Filme werden nicht mehr zelebriert, viel mehr geht es um Abläufe. Die Leute sind oft sehr pragmatisch und konzentrieren sich auf Zweckmäßigkeit, weil sie gar nicht die Zeit haben, einen Sinn für Schönheit zu kultivieren und sich inhaltlich wirklich Gedanken zu machen. Es sind Fließbandarbeiter. Daran sind die Industrie und das Fernsehen schuld. Du musst einen Fernsehfilm in 20 Tagen abdrehen. Früher hat man für weniger Geld länger und mehr gearbeitet.
»Bad Director« nimmt eine Anti-Haltung ein. Warum interessieren Sie sich mehr für die Abgründe im Sinne der Kunst als die Politik?
Die Subkultur der 80er Jahre in Berlin, in der ich damals aufgewachsen bin, war für mich im Grunde eine zutiefst vom Nihilismus geprägte Kultur. Ich war ein Snob, ich war ein Dandy, ich mochte die schönen Dinge des Lebens und auch die verbotenen. Ich habe das auch zelebriert, als ich in Berlin wenig oder kein Geld hatte. Ich habe mir auf dem Flohmarkt für zwei Euro einen Anzug gekauft oder das tollste Hemd und habe mir die erlesensten Bücher aus der Bibliothek geklaut. Ein Jahr lang hatte ich keine Wohnung. Ich habe in irgendwelchen Hinterhofwohnungen oder Ateliers bei Freunden übernachtet. Aber das Irre war, dass ich keine Sekunde darüber nachgedacht habe, dass ich im Grunde obdachlos bin. Dann hat mir irgendwann eine Freundin über das Sozialamt eine Wohnung besorgt, und ich habe angefangen, als Gerüstbauer zu arbeiten, und bin mit Anfang 20 zum Schreiben zurückgekehrt.
Was hat die Filmgesellschaft, die Sie beschreiben, verlernt?
Menschen, die irgendwelches mittelmäßiges Zeug machen, kennen die Extreme nicht. Ich sitze manchmal am Kottbusser Tor mit vollkommen kaputten Freunden von mir, weil die mich zufällig sehen und zu sich rufen, unten in der U8, in dem Teil, wo niemand reingeht. Ich habe keine Berührungsängste. Solange ich das Gefühl habe, ich habe es mit einem Menschen zu tun, der irgendwas zu berichten hat, dann kann ich mich überall mit Leuten austauschen. Ich habe keinen Führerschein und bin die meiste Zeit meines Lebens Flaneur. Ich sehe viel, was andere Leute nicht sehen.
Die »SZ« hat Gregor Samsa als »eine fiktiv sublimierte Ungeziefer-Version« Ihrer selbst beschrieben. Wie viel von Ihnen steckt in dem »Bad Director« und seinen Ängsten?
Irgendwann hatte ich wirklich Angst vor dem ersten Drehtag. Man mag es jetzt als übersteigerte Form von Lampenfieber wegen einer Sache sehen, auf die man sich monatelang vorbereitet. Ich konnte zwei Tage überhaupt nicht schlafen und dann gab es Gott sei Dank die Tabletten. Ich habe das Ding zu Ende gemacht, war aber ziemlich k.o. Ich habe wie Gregor Samsa keine Lust mehr, auf Branchentreffs zu gehen, wo sich die Leute nichts zu sagen haben. Diese ganzen Aversionen wollte ich zum Ausdruck bringen. Aber das ist jetzt keine Autobiografie in dem Sinne.
Ist es vielmehr ein Film über Liebe, weil Samsa sich in eine Sexarbeiterin verliebt?
Man kann es als Klischee bezeichnen, dass er sich in eine Prostituierte verliebt. Eine junge, schöne Frau, die dafür bezahlt wird, ein Spiel mitzumachen, und sich den ganzen Schmutz reinzieht, sexuelle Obsessionen über sich ergehen lässt und Gregor Samsa darin sogar bestätigt, dass das, was er denkt und was er sagt, auf eine absurd-verrückte Art sogar ganz cool ist. Das ganze Spiel basiert auf Geld, aber es löst sich dann auch wieder wie eine Luftblase auf. Es ist ein schönes, aber auch trauriges Spiel. Manche Leute sind privilegiert, was die Liebe angeht, andere irgendwie nicht. (Oskar Roehler bekommt glasige Augen)
Warum berührt Sie das so?
Ich habe ganz großen Respekt vor der Prostitution. Ich habe in meinem langen Leben oft barmherzige Schwestern kennengelernt. Es hat im Grunde immer was mit einer gegenseitigen Sympathie und Empathie zu tun gehabt. Ich glaube, dass so eine Art von Diskurs nur auf dieser Ebene stattfinden kann. Man sieht das auch bei anderen Bereichen wie SM und so weiter. Das steht Respekt an erster Stelle.
»Bad Director«, Deutschland 2023. Regie und Drehbuch: Oskar Roehler. Mit: Oliver Masucci, Bella Dayne, Elie Kaempfen, Anne Ratte-Polle. 131 Min. Jetzt im Kino.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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