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Portugal: Nur zweite Wahl
Extreme Rechte im EU-Parlament kann auf Zuwachs aus Portugal hoffen
Der Zweite könnte wieder der Erste sein: In den Umfragen vor der EU-Wahl liegen die Sozialisten (PS) als stärkste Kraft ein paar Punkte vor der Mitte-rechts-Liste Demokratische Allianz (AD). Bei den nationalen Wahlen am 10. März war das andersherum, und seit April hat Portugal nach acht Jahren wieder ein bürgerliches Kabinett, an dessen Spitze Luís Montenegro von den rechts-liberalen Sozialdemokraten (PSD) steht. Die AD-Liste zur Europawahl führt der katholisch-konservative Journalist Sebastião Bugalho an. Zuvor war der 28-Jährige für Zeitungen und Fernsehsender als politischer Kommentator tätig. Für die gebeutelte PS soll die frühere Gesundheitsministerin mit »Corona-Bonus« Marta Temido die Kastanien aus dem Feuer holen.
Die Wahl wird ein erster Stimmungstest für Montenegros Minderheitsregierung. In der Versammlung der Republik stützt sie sich auf 80 der 230 Abgeordneten – und ist somit für ihre Gesetzesvorhaben und den Haushalt auf Stimmen aus anderen Fraktionen angewiesen. Ein langes Leben wird ihr nicht vorausgesagt. Koalitionsangeboten der Partei Chega hatte Montenegro eine Absage erteilt und damit sein Wahlversprechen gehalten. Die Rechtsextremen steigerten die Zahl ihrer Sitze im Parlament von 12 auf 50 und zählen nun zu den großen drei unter den neun dort vertretenen Parteien. Die mit weitem Abstand und erneut acht Abgeordneten folgende Liberale Initiative (IL), die für Privatisierungen und den freien Markt kämpft, steht ebenfalls für nach rechts verschobene Kräfteverhältnisse in Portugal 50 Jahre nach der Nelkenrevolution.
Im Juni wird in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union über ein neues EU-Parlament abgestimmt. Dabei zeichnet sich ab, dass rechte Parteien an Einfluss gewinnen könnten. Was ist eine linke Antwort darauf? Und wie steht es um die Klimapolitik der EU? Welche Entwicklungen gibt es in Hinblick auf Sozialpolitik und was ist im Bereich der europäischen Asyl- und Migrationpolitik zu erwarten? Die anstehende Europawahl wird richtungsweisend. Auf unserer Themenseite fassen wir die Entwicklungen zusammen: dasnd.de/europawahl
Sozialisten haben Absturz selbst verschuldet
Ihren Absturz haben die Sozialisten selbst verschuldet. Nachdem Ministerpräsident António Costa im November seinen Rücktritt erklärt hatte, setzte Präsident Marcelo Rebelo de Sousa vorgezogene Parlamentswahlen an. Der Premier war über den Filz aus Politik und Wirtschaft gestolpert, der in Portugal fest etabliert ist und in dem die Sozialistische Partei tief steckt. Im Rahmen von Korruptionsermittlungen hatte die Justiz Costas Büro durchsuchen lassen. Sein Name tauchte unter den Verdächtigen auf – was sich nachträglich als Verwechslungskomödie entpuppte. Per Rücktritt wollte Costa seine Lauterkeit unterstreichen. Schon länger nachgesagt wird ihm das Streben nach höheren Weihen, auf internationaler Ebene oder als Nachfolger des Konservativen im Amt des Staatspräsidenten. Diese Wahl wird im Januar 2026 stattfinden.
Costas Nachfolger an der Spitze der PS, der frühere Wohnungsbauminister Pedro Nuno Santos, der zum linken Flügel der Partei gezählt wird, konnte die Wechselstimmung im Land nicht drehen. Die Sozialisten, die vor zwei Jahren noch 41,3 Prozent der Stimmen und mit 120 eine absolute Mehrheit der Parlamentssitze geholt hatten, stürzten auf 28 Prozent ab und verloren 42 Mandate. Damit lagen sie knapp hinter Wahlsieger Montenegro und seiner Demokratischen Allianz.
Interesse an Brüssel eher gering
Der Zweikampf zwischen PS und AD sorgte für die höchste Wahlbeteiligung seit Jahrzehnten. Dennoch gingen im März nur knapp 60 Prozent der Wahlberechtigten an die Urnen. Erst recht bleibt das Interesse der Portugiesen am Treiben der Institutionen in Brüssel und Straßburg hinter dem an der nationalen Politik zurück. Bei der vergangenen EU-Wahl 2019 hatten die Sozialisten neun der 21 Mandate Portugals geholt und die PSD sechs. Je zwei gingen an den Linksblock (Bloco de Esquerda, BE) und das von den Kommunisten (PCP) geführte Wahlbündnis CDU. Auch die mit der PSD verbündete Rechtspartei CDS und die grüne Pan errangen einen Sitz.
Für diese Europawahl wird den großen Parteien ein schlechteres Abschneiden als zuletzt auf der nationalen Ebene vorhergesagt. Die AD will diesmal besonders bei unzufriedenen Bauern punkten. »Wenn man es recht bedenkt, sind der Frieden und die Landwirtschaft die Grundpfeiler Europas«, erklärte AD-Kandidat Bugalho, was er ins Zentrum der Legislatur rücken will. Chega, im März bei 18 Prozent, dürfte erneut zweistellig abschneiden. Erstmals wird der rechte Rand des Europäischen Parlaments wohl auch aus Portugal Zuwachs erhalten. Dort bewegen laut Meinungsforschern vor allem die Themen Inflation und steigende Lebenshaltungskosten, die Einwanderung und die Kriege in der Ukraine und Gaza die Menschen.
Ein Podcast, der dich anlässlich der Europawahl 2024 ins »Herz« der EU mitnimmt. Begleite uns nach Brüssel und erfahre mehr über Institutionen wie das Europäische Parlament, was dort entschieden wird und warum dich das etwas angeht. Der Podcast ist eine Kooperation von »nd«, Europa.Blog und die-zukunft.eu. Alle Folgen auf dasnd.de/europa
Kleine Parteien verlieren Protestwähler
Auf ein besseres Resultat können die links-grüne Pro-EU-Partei Livre und der Linksblock hoffen. Dessen Spitzenkandidatin Catarina Martins bekümmert, dass viele ihrer Landsleute die Wahl nicht auf dem Zettel haben. Dabei habe die EU großen Einfluss auf das tägliche Leben, betont Martins. Für sie gehe es hier um den »Kampf für die Demokratie, den Sozialstaat, das Klima und den Frieden«, erklärte die Politikerin bei der Einreichung der Kandidatenliste beim Verfassungsgericht vor einer Woche.
Weil die kleinen linken Parteien der PS bis 2022 als Stütze dienten, haben sie für Protestwähler an Zugkraft eingebüßt. Auf niedrigem Niveau stagniert die CDU. Die knapp 7 Prozent der Stimmen bei der Europawahl 2019 gehören der Vergangenheit an, im März stimmten nur 3,2 Prozent für die linke Wahlkoalition. An der Spitze ihrer Liste steht der 44-jährige Anwalt João Oliveira. Von 2005 bis 2022 war das Führungsmitglied der PCP Abgeordneter der CDU für den Wahlkreis Évora, ein Jahrzehnt lang als Fraktionsvorsitzender.
Kommunisten in der Krise
Das Ende dieser Ära spiegelt die Krise der PCP wider: Im Januar 2022 hatte ihre Wahlallianz in der traditionellen kommunistischen Hochburg erstmals seit Portugals Rückkehr zur Demokratie keinen Sitz errungen. In diesem Jahr fiel sie in Évora von 14,6 auf knapp 11 Prozent weiter zurück. Binnen eines Jahrzehnts hat sich ihr Stimmenanteil hier glatt halbiert. Die Zahl der dem Distrikt im oberen Alentejo zustehenden Mandate ist von einmal fünf auf nur noch drei gesunken.
Strukturwandel und Abwanderung haben auch das politische Gesicht der Region, deren Landarbeiterschaft stark von der KP beeinflusst war, gründlich verändert. Ähnlich sieht es in Beja und Portalegre aus, aber auch in der industriell geprägten historischen Hochburg Setúbal ist die Klientel der Partei geschwunden, ihre Basis überaltert. Zu bemerken ist das auch bei der KP-nahen Gewerkschaftszentrale CGTP, der neue Vereinigungen erfolgreich Konkurrenz machen. Russlands Krieg in der Ukraine, für den die PCP der Nato eine Mitverantwortung gibt, schlägt sich ebenfalls nieder.
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