Steve Albini: Arbeiter der Wut

Zum Tod des Musikers und Produzenten Steve Albini

  • Erik Hanzlicek
  • Lesedauer: 5 Min.

Böse sägende Gitarren, ein groovender Bass und stoisch-stampfendes Schlagzeug aus dem Drumcomputer Roland TR-606 waren die klanglichen Markenkerne der von Steve Albini 1981 in Chicago gegründeten Noiserock-Band Big Black. Wahrscheinlich wäre Albini schon über den Begriff »Markenkern« erzürnt gewesen – Musik und Musikmachen sollten für ihn nie zur Ware gerinnen.

Mit seinen beiden Bandkollegen Santiago Durango (Gitarre) und Jeff Pezzati (Bass), der 1984 durch Dave Riley ersetzt wurde, war er maßgeblich dafür mitverantwortlich, dass sich der US-amerikanische Underground, der Anfang der 80er Jahre stark vom Hardcore Punk geprägt war, für experimentellere und längere Formen öffnete. Inspiriert unter anderem vom britischen Post-Punk veröffentlichten Bands wie Sonic Youth, Butthole Surfers und Naked Raygun auf Independent-Labels wie SST, Homestead und Touch and Go; letzterem sollte Albini selbst sein Leben lang treu bleiben. Dieser äußerst produktiven Phase der subkulturellen Gitarrenmusik folgte allerdings recht schnell die Integration vieler Bands in die oligopolistische Kulturindustrie, die in den 90ern dann den Grunge-Boom befeuerte. Big Black allerdings lösten sich 1987 auf. Mit ihrer Musik und Albinis Texten, die vor allem von entfremdeten und kaputten Figuren handelten, von Mördern, Pyromanen und Sexisten, wären sie eh nicht besonders gut auf Massentauglichkeit zu trimmen gewesen. Albini, der auch als Journalist tätig war, kritisierte die Entwicklungen in der Indie-Szene hin zur Kommerzialisierung äußerst scharf und polemisierte auch gegen ehemalige Weggefährten wie Sonic Youth.

Mit David WM. Sims (Bass) und Rey Washam (Schlagzeug) gründete er die kurzlebige (1987–1989) und sehr provokant nach einer Manga-Figur benannte Band Rapeman. In späteren Jahren betonte Albini immer wieder, dass diese Namensgebung ihm retrospektiv leidtäte. Die Band fungierte eher als eine Scharnierstelle zwischen Big Black und Albinis beständigster Band Shellac. Seine quietschend-metallische Gitarre traf hier auf eine gewissermaßen Proto-Math-Rock spielende Rhythmussektion, die auch immer wieder Ausflüge in einen kaputten Blues machte. Den konnte man später übrigens in Reinform bei The Jesus Lizard hören, einer anderen Band, die Sims 1987 mitgründete.

Mit Shellac fand Albini 1992 die finale Form seines Schaffens sowie seine langjährigen Mitstreiter Bob Weston (Bass) und Todd Trainer (Schlagzeug). Mittlerweile auch zu einem erfahrenen und durchaus bekannten Toningenieur geworden, der unter anderem Alben mit und für Pixies, The Breedes und Slint aufgenommen hatte, war Albini in der Lage, einen schnörkellos-direkten Klang abzunehmen und auf Tape zu kriegen, der perfekt zu dem äußerst minimalistischen und präzisen Spiel der drei Musiker passte. Man muss sich eine auf den ersten Blick verwirrende, aber letztlich komplett Sinn ergebende Mischung aus Don Caballero und ZZ Top vorstellen, wenn man sich einen Eindruck von der Musik Shellacs verschaffen will.

Die Band blieb dem Arbeitsethos Steve Albinis treu: Es wurde nur getourt, wenn Zeit und Lust vorhanden waren, Veröffentlichungen erfolgten nicht nach den Rhythmen der Musikindustrie und Merchandise in Form von T-Shirts wurde höchstens von der Bühne herab verkauft. Allerdings wurde dieses Ethos nie zum Fetisch verklärt und in Albinis Schaffen – ob in seiner Funktion als Musiker, Toningenieur oder Journalist – schien stets eine Idee vom Arbeiter auf, die nicht zum identitären Klischee von Schnitzel (oder besser: Chicago Italian Beef Sandwich), Dosenbier und Football regredierte. Und auch eine Idee von Arbeit, in der Wissen und Können, Effektivität und Effizienz eingesetzt werden, um das bestmögliche Produkt zu kreieren, nicht als Mittel zur Profitabilitätssteigerung.

Musik war Selbstzweck, nicht Mittel zum Gelderwerb. Und doch ging Albinis Musik nicht in einem formalistischen L’art pour l’art auf, wie es etwa bei seinen Zeitgenossen Sonic Youth immer wieder zu beobachten war. Auf der anderen Seite sind weder Shellac noch die anderen Bands Albinis je in den polit-moralistischen Diskurs des Hardcores zurückgefallen. Immer wieder wurden die Sujets der Texte ironisch gebrochen, ob durch das Klanggerüst oder durch Übertreibungen und Wortspiele auf textlicher Ebene. Und es ist auch Albini selbst, der der Bruch ist. Sein zumindest in jüngeren Jahren äußerst zierlicher Körper, die kreisrunde Brille, die von überbetont-kläffend blitzschnell zu weich-melancholisch wechselnde Stimme: All dies ließ insbesondere auf der Bühne nie den Gedanken aufkommen, dass sich affirmativ auf zum Beispiel maskulinistische Figuren eingelassen wird. Gerade live stellten Shellac auch immer wieder eine im besten Sinne verstandene Clownerie dar.

In den späteren Jahren nahmen die Provokationen Albinis etwas ab, ohne dass sich eine Altersmüdigkeit einstellte. Immer noch und wieder gab er wütende Äußerungen über Politik und Musikgeschäft zum Besten. Er verstand es jedoch – im Gegensatz zu nicht wenigen Punk-sozialisierten Männern – sich nicht in eine plumpe Dagegenhaltung zu versteigen, die am Ende doch nur Bejahung des Bestehenden ist. Er konnte neue Haltungen in sein Denken und seine Musik integrieren, ohne sich dabei zu verbiegen und (Links-)Liberaler zu werden. Und auch musikalisch blieben Shellac erstaunlich konstant auf hohem Niveau. Sie waren im besten Sinne konservativ, indem sie die interessantesten Momente der US-amerikanischen Punk-Kultur aufbewahrten, aber gleichzeitig durch konstante Transformation oder Neuanordnung auch aufhoben und weiterentwickelten. Dieser Veranstaltung stand ein Steve Albini voran, der bei aller Wut nie aufhörte zu denken, den die Wut weitertrieb, ohne dass er sich zum Getriebenen machen ließ. Am 7. Mai starb er an einem Herzinfarkt.

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