Der den Bettel schleppt

Das Angermuseum Erfurt zeigt Malereien und Grafiken des fantastischen Realisten Heinz Zander

  • Peter Arlt
  • Lesedauer: 4 Min.
Heinz Zander, Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, 1981
Heinz Zander, Selbstbildnis, Öl auf Leinwand, 1981

Mit der Formel »moderne Kunst« kann wenig von Kunst erfasst werden. Wie Künstler Schüler von vorangegangenen Künstlern geworden sind, nimmt Goethes Verständnis von Kunst in den Griff: »Es geht durch die ganze Kunst eine Filiation«. Was es heißt, sich als Künstler in die Tradition zu begeben, zeigt etwa ein Selbstbildnis Heinz Zanders mit dem bekennenden Titel »Selbst mit herbstlicher Palette als ein Schüler des Hyacinthe Rigaud« (Privatbesitz). In ihrer Traditionsbezogenheit und altmeisterlichen Virtuosität spottet Zanders Kunst der Schwemme an selbstreferentiellen und kurzzeitigen Innovationen »moderner Kunst«. Zander wurde von Grazien aus der Frührenaissance, dem Manierismus und dem Symbolismus besucht, von des Künstlers eigener Grazie lächelnd eingelassen. Mit der sich ständig erneuernden Imaginationskraft seiner Bildsprache, mit der prallen sinnlichen Präsenz der gestreckten und gebogenen Figuren, mit spannend inszeniertem Geschehen in leuchtenden Farben und einer faszinierenden Stofflichkeit der Dinge begeistert der Leipziger fantastische Realist nach wie vor. 1965 brachte der Kunsthistoriker Dieter Gleisberg im Lindenau-Museum von Altenburg Zanders »magisches Zauberspiel« in der ersten Einzelausstellung zur Aufführung.

Anlässlich des 85. Geburtstages zeigt das Angermuseum Erfurt nun erstmals komplett die Malereien, Grafiken und Handzeichnungen von Heinz Zander, unter anderem das Bildnis Sonja Kehlers, das Selbstporträt (1981) und Gebirgslandschaften. Keinem anderen Künstler der Leipziger Schule wurde vor 1989 in dieser Institution so viel Aufmerksamkeit und Wertschätzung zuteil wie Heinz Zander. Diesem Thema widmet sich die Kuratorin Cornelia Nowak, die für den Katalog ebenso eine ausführliche Biografie mit fundierter Schaffensdarstellung beisteuerte. Wieder abgedruckt ist auch Hans Bruckschlegels Erläuterung »Nicht mischen, sondern lasieren« von 1984 über die Maltechnik als Ausdruckswert von Zanders Malerei, ebenso Zanders Text »Aus der Zeit der frühen Mütter. Theseus und Perseus« (1982).

Die großartige Ausstellung, bereichert mit Bildern aus etlichen Orten und aus der Sammlung des Unterstützers Peter Thoms aus Mühlhausen, sowie der gewichtige Katalog würdigen Zanders Werk in den ersten Jahrzehnten seines Schaffens zu literarischen Stoffen von Johann Wolfgang Goethe, Thomas Mann (»Dr. Faustus«, 1964-67) bis zu Bertolt Brecht (»Anachronistischer Zug«, 1984). Durch staatliche Aufträge befördert, spielten in Zanders Werk historische Ereignisse eine wichtige Rolle – etwa die Thüringer Bauernaufstände 1525 oder die unter dem Begriff »Tolles Jahr von Erfurt« in die Geschichte eingegangene Revolte der Stadtbevölkerung von Erfurt gegen ihre Ratsherren von 1509. Der Kunsthistoriker Thomas von Taschitzki erläutert außerdem die bildgewordene Opposition des Augustinermönchs Martin Luther gegen das Ablassunwesen. Da Luther in der bereits 1525 evangelisch gewordenen Barfüßerkirche in Erfurt eine Predigt hielt, besitzt das Luther-Triptychon Hein Zanders zu dessen Biografie einen Bezug.

Im Panorama-Museum Bad Frankenhausen bewahrt Gerd Lindner einen umfangreichen Sammlungsbestand. Im Katalog untersucht er weitgreifend und tiefgründig Zanders Lebensfahrt, und auch, wie der Künstler den Ausdruck in gleichnishafter, antithetischer Verdichtung subtil steigert und die geistige Durchdringung gekonnt mit den Mitteln der Ironie zu verfeinern weiß. Der Autor dieses Textes führt an Theseus, Perseus und an Kentauren Zanders innovativen Mythologiebezug vor, etwa wie Apollon mit feinem Messer den weiblichen Marsyas tranchiert und die textile Haut entfernt. »Das Literarische ist das Vornehmste in der Kunst«, so lautet ein Aphorismus Zanders, der nicht das literarische Schaffen meint, das er ebenso beherrscht hat, sondern das Literarische innerhalb der bildenden Kunst. Unter diesem versteht Zander nie die »plumpe Abbildung eines vorgeschriebenen Gedankens«, sondern eine Bilddichtung in gestalthafter Sinnfindung. Demjenigen, der, vom Reinlichkeitsgedanken beschränkt, Literarisches in der bildenden Kunst für eine unerlaubte Mischung hält, entgeht etwas. Diese Kunstform reicht bis weit ins Mittelalter zurück.

Bevor er ein Protagonist der gegenwärtigen realistischen Kunst in Europa wurde, begeisterte Heinz Zander bereits während des Studiums in Leipzig (1959–1964) und als Meisterschüler bei Fritz Cremer mit herausragender Leistung. Sogar der Lehrkörper in Leipzig ließ sich, über die Schulter dieses Studenten blickend, über Zeichenkunst belehren. Der Ausstellungsbesucher staunt: Etwa darüber, dass der, der den Bettel schleppt, doch glaubt, die Welt belehren zu können (in einem Gemälde von 1989), und ebenso über die Farbkunst: Wie im schwarzen Grund Krapplack und Pariserblau schimmert.

»Heinz Zander. Zeit und Traum«, bis zum 28. Juli, Angermuseum Erfurt

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