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- Mietenwahnsinn
Brandenburg: Mieten steigen auch bei Leerstand
Studie im Auftrag der Brandenburger Linksfraktion zeigt: Nicht nur Angebot und Nachfrage bestimmen den Preis für Wohnungen
Bestandsmieter mussten in Oranienburg im Jahr 2022 durchschnittlich 7,24 Euro je Quadratmeter bezahlen. Das waren 44 Prozent mehr als im Jahr 2013. Die Preise für Neuvermietungen sind im selben Zeitraum um 63 Prozent auf 10,62 Euro je Quadratmeter gestiegen. Wer eine Wohnung sucht und die Faustregel beachtet, nicht mehr als 30 Prozent seines Einkommens für die Miete auszugeben, kann sich gerade noch 44,3 Quadratmeter leisten – wenn er über das mittlere Pro-Kopf-Einkommen verfügt. Wer weniger verdient, kann sich entsprechend weniger Wohnraum leisten, auch mit Kindern. In Potsdam wären es übrigens lediglich 40,9 Quadratmeter.
Kein Wunder, dass viele Haushalte inzwischen mehr als die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen ausgeben, mit der Folge, dann bei Urlaubsreisen und anderen Dingen sparen zu müssen, etwa in verschlissener Kleidung herumlaufen oder im Winter so die Heizung herunterdrehen, dass es kalt und ungemütlich wird.
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In Frankfurt (Oder) sind die Bestandsmieten mit 5,71 Euro je Quadratmeter im Jahr 2022 noch vergleichsweise günstig gewesen. Aber diese Stadt hat innerhalb des Landes Brandenburg den höchsten Bevölkerungsanteil armutgefährdeter Menschen, die sich besonders wenig leisten können. Und die Bestandsmieten sind dort seit 2013 immerhin auch um 21 Prozent gestiegen, obwohl die Einwohnerzahl seit 2011 um 4,2 Prozent gesunken war.
Selbst in der mit sechs Prozent Einwohnerverlust stark schrumpfenden Stadt Schwedt in der Uckermark – sie machte wegen ihrer PCK-Raffinerie und des Anfang vergangenen Jahres verhängten Einfuhrverbots für russisches Öl deutschlandweit Schlagzeilen – sind die Bestandsmieten seit 2013 um zehn Prozent gestiegen und die Preise für Neuvermietungen um 45 Prozent.
Das alles geht hervor aus der Studie »Mieten und Wohnen in Brandenburg«, erstellt im Auftrag der Linksfraktion im Landtag und am Freitag dort vorgestellt. Die Autoren des 48 Seiten plus Anhang umfassenden Papiers sind die Sozialwissenschaftler Andrej Holm und Kaspar Metzkow, die Stadtentwicklungsexpertin Rosa Schick und der Angewandte Geografie studierende Valentin Regnault.
Mit der detaillierten Arbeit zerstören sie den gerade auch in Berlin beliebten Mythos, dass gegen explodierende Mieten allein und vor allem der massive Neubau von Wohnungen helfe. Denn die Mieten steigen in Brandenburg auch in Gegenden weit weg von der Hauptstadt, wo die Einwohnerzahlen sinken und theoretisch ausreichend Wohnraum zur Verfügung steht, der gemeinhin sogar als bezahlbar gelten würde, wenn man Berliner oder Potsdamer Maßstäbe anlegt. Die Frage ist aber: Was können die Menschen vor Ort bezahlen? Eine andere Frage ist auch: Was für Wohnungen benötigen sie? Hochbetagte etwa, die pflegebedürftig sind oder in absehbarer Zeit pflegebedürftig werden könnten, brauchen barrierefreie Quartiere. Alleinstehende suchen eher eine kleine Wohnung, die wiederum für Familien mit zwei oder drei Kindern nicht geeignet ist. Auch wenn insgesamt in einer Stadt oder in einer Gemeinde genug Wohnraum frei steht, kann es also einen Mangel in einzelnen Segmenten des Wohnungsmarktes geben.
Auf leer stehende günstige Wohnungen auf dem Lande zu verweisen, werde in manchen Überlegungen als Lösung des Wohnungsproblems gesehen, vermerkt die Studie. Aber: »Einer Alleinerziehenden, die in Potsdam eine Wohnung sucht, ist wenig geholfen, wenn es in der Uckermark noch leer stehende Wohnungen in der passenden Größe gibt.« Und solche Vorschläge unterstellten vorschnell und pauschal eine entspannte Wohnungssituation in den ländlichen Regionen und übersehen dabei die »vielfältigen Herausforderungen« und die »regional unterschiedlichen Entwicklungstrends« in Flächenländern wie Brandenburg.
»Die Mieten sind zu hoch. Das spüren wir in ganz Brandenburg und nicht nur in den an Berlin angrenzenden Städten«, kommentiert die Landtagsabgeordnete Isabelle Vandré (Linke). Die Mietpreissteigerungen seien bis in die Prignitz, die Uckermark und die Lausitz zu spüren. Die Linke mache seit Jahren darauf aufmerksam, »dass Familien, die eine größere Wohnung benötigen, oft monatelang vergeblich suchen, dass Mietsteigerungen die Einkommen auffressen und dass Verdrängungen aus der vertrauten Nachbarschaft auch in Brandenburg keine Seltenheit mehr sind«.
Der Bedarf an bezahlbaren Wohnungen übersteige das Angebot massiv, sagt Vandré. Tatsächlich hält die Studie fest, dass 20,4 Prozent aller Haushalte in Brandenburg, also insgesamt knapp 260 000 Haushalte, wegen ihres geringen Einkommens berechtigt wären, eine Sozialwohnung zu beziehen. Es gibt aber bei insgesamt 1,37 Millionen Wohnungen weniger als 20 000 Sozialwohnungen. Obwohl noch neue Sozialwohnungen gebaut werden, sind tendenziell immer weniger verfügbar, denn alte Sozialwohnungen fallen nach einer Frist von zumeist 20 Jahren aus der Mietpreis- und Belegungsbindung heraus. Selbst wenn man die 155 000 Wohnungen der kommunalen Gesellschaften als leistbare Quartiere hinzurechnet, die aber nicht nur an bedürftige Haushalte vergeben werden, könnte der Bedarf nicht gedeckt werden.
»Was es jetzt braucht, sind konkrete mietenpolitische Maßnahmen, die es ermöglichen, auf die Bedarfe der Regionen zielgerichtet einzugehen«, sagt die Abgeordnete Vandré. »Wohnen muss dem Markt entzogen werden«, fordert sie. »Mit Grundbedürfnissen wie einem Dach über dem Kopf, darf niemand spekulieren und Profit machen dürfen.«
Die Verfasser der Studie unterbreiten einige Vorschläge: So sei eine deutliche Ausweitung der Belegungsbindungen notwendig. Der Fehler umfangreicher staatlicher Förderung für lediglich befristete Bindungen sollte nicht wiederholt werden. Stattdessen sollten die kommunalen Wohnungsbestände aufgestockt werden, um mehr Handlungsspielraum für eine soziale Politik zu erhalten. Vor allem in Gebieten mit angespannter Lage sollten die Mieten sowohl bei Alt- als auch Neuverträgen zeitweilig wirksam begrenzt werden. Es sollten Grundstücke für den Wohnungsbau auf Vorrat gehalten werden. Die Anträge auf Wohngeld müssten vereinfacht und die Antragsberechtigten über ihren Anspruch aufgeklärt werden. Denn viele Menschen mit geringen Einkommen wüssten gar nicht, dass sie Wohngeld beziehen könnten.
- In Brandenburg kamen im Jahr 2022 auf 1000 Haushalte 1062 Wohnungen – 24 Wohnungen mehr als zehn Jahre zuvor.
- Nur in Potsdam gibt es weniger Wohnungen als Haushalte: Hier kommen auf 1000 Haushalte 920 Wohnungen. Im Jahr 2012 gab es das auch noch in Potsdam-Mittelmark mit damals 995 Wohnungen pro 1000 Haushalte, jetzt sind es dort aber 1053.
- 45 Prozent der 2,57 Millionen Einwohner Brandenburgs leben in Eigenheimen oder Eigentumswohnungen – dabei neun Zehntel im Eigenheim. Die anderen wohnen zur Miete, davon hat nur ein Zehntel ein Haus, eine Doppelhaushälfte oder ein Reihenhaus gemietet, die übrigen Mieter leben in Mehrfamilienhäusern wie den klassischen Plattenbaublocks.
- Das durchschnittliche Haushaltseinkommen der Brandenburger stieg von 2014 bis 2020 um 34 Prozent auf 3254 Euro netto im Monat. Die Bestandsmieten erhöhten sich von 2013 bis 2022 im Landesdurchschnitt um 22 Prozent auf 6,50 Euro je Quadratmeter, die bei Neuvermietung verlangten Angebotsmieten stiegen um 57 Prozent auf 8,12 Euro.
- Die Zahl der Wohnungen stieg von 2012 bis 2022 um sieben Prozen, die Einwohnerzahl um fünf Prozent.
- 34,1 Prozent der Haushalte können sich theoretisch keine Miete oberhalb von 600 Euro im Monat leisten, weitere 24,8 Prozent keine Miete oberhalb von 900 Euro. Umgerechnet auf den Quadratmeter läge das Maximum für 22,8 Prozent der Haushalte bei 6,82 Euro nettokalt. af
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