Klimaurteil setzt Ampel unter Druck

OVG Berlin-Brandenburg drängt Regierung zu schärferen Maßnahmen für CO2-Minderung

  • Jörg Staude
  • Lesedauer: 4 Min.
Abgestorbene Fichtenwaldbestände im Brockengebiet
Abgestorbene Fichtenwaldbestände im Brockengebiet

Viel nachgerechnet beim Klimaschutz hat das Oberverwaltungsgericht (OVG) Berlin-Brandenburg am Donnerstag offenbar nicht. Das hatte sich schon in der Verhandlung abgezeichnet. So kritisierte die Vorsitzende Richterin Ariane Holle laut Berichten, dass das Klimaschutzprogramm der Ampel-Koalition auf unrealistischen Annahmen beruhe. Aus dem Programm müsse aber klar hervorgehen, dass die maximal zulässigen Jahresemissionsmengen durch die geplanten Maßnahmen tatsächlich eingehalten werden können.

Nach Verhandlungsende dauerte es dann auch nicht lange, bis zuerst die Klägerin, die Deutsche Umwelthilfe (DUH), ihren Erfolg verkündete. Eine Stunde später teilte das Gericht selbst die Entscheidung gegen die Bundesregierung mit.

Bei der Klage der DUH ging es im Kern um das im Herbst letzten Jahres von der Bundesregierung beschlossene Klimaschutzprogramm 2023. Zur CO2-Minderung sieht es eine Reihe von Maßnahmen vor: das quälend lange diskutierte Gebäudeenergiegesetz, das inzwischen verlängerte Deutschlandticket, die CO2-abhängige Lkw-Maut sowie schnellere Verfahren und mehr Flächen für den Ausbau der erneuerbaren Energien.

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Im Herbst musste die Bundesregierung aber selbst einräumen: Mit dem Programm rückt das verbindliche Klimaziel für 2030 – eine CO2-Reduktion um 65 Prozent gegenüber 1990 – zwar erstmals in Reichweite, allerdings lasse sich die in dem Zeitraum vorhandene Klimalücke nur zu höchstens 80 Prozent schließen. »Es verbleibt eine Lücke von circa 200 Millionen Tonnen bis 2030«, verkündete die Regierung.

Angesichts dessen konnte das Gericht gar nicht anders, als zu der Überzeugung gelangen, das Klimaschutzprogramm 2023 erfülle die gesetzlichen Vorgaben nicht vollständig. Auch würde einzelne Sektoren – ausgenommen die Landwirtschaft – ihren Reduktionspfad nicht einhalten. Das Klimaprogramm beruhe nicht nur auf unrealistischen Annahmen, es leide auch an »methodischen Mängeln«, erläuterte das OVG im Urteil.

Diese Bewertungen überraschen nicht. Ähnliches war zuvor schon vom Expertenrat für Klimafragen, von Instituten sowie von Klima- und Umweltschutzverbänden zu hören. DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch wertet das Urteil folgerichtig als »verdiente Ohrfeige für die Pseudo-Klimaschutzpolitik der Bundesregierung«. Das Klimaschutzprogramm für die Zeit bis 2030 und seine Vorgänger seien damit rechtswidrig. Die Regierung könne sich nun nicht länger aus der Verantwortung stehlen und wirksame Maßnahmen wie ein Tempolimit auf Autobahnen oder ein Ende der Förderung klimaschädlicher Dienstwagen verweigern, so Resch weiter. Noch in dieser Legislaturperiode, also spätestens 2025, müsse die Bundesregierung hierzu weitreichende Beschlüsse fassen.

Nach Ansicht der Umwelthilfe erledigt sich das OVG-Urteil auch nicht mit dem baldigen Inkrafttreten des neuen, abgeschwächten Klimaschutzgesetzes. Dieses winkte am Freitag auch der Bundesrat durch – ohne Debatte und ohne Anrufung des Vermittlungsausschusses. Die Länderkammer konnte sich nur dazu durchringen, von der Bundesregierung »systemisch wirkende« Maßnahmen in den Bereichen Verkehr und Gebäude zu verlangen. Die Umwelthilfe forderte daher Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier auf, dem »entkernten und verfassungswidrigen Klimaschutzgesetz die Unterschrift zu verweigern«.

Über die Frage, ob die Ampel nach dem OVG-Urteil schärfere Klimamaßnahmen ergreifen muss, droht nun ein Expertenstreit. Denn für die Sektoren Energie, Industrie, Verkehr, Gebäude und Abfall hatte die Regierung im Frühjahr eine neue »Treibhausgas-Projektion« aus dem Umweltbundesamt (UBA) vorgelegt. Darin ist die 200-Millionen-Tonnen-Lücke aus dem vergangenen Jahr rechnerisch verschwunden. In der Bilanz aller Sektoren wird Deutschland demnach sein Klimaziel für 2030 erreichen.

Über diesen veränderten Rahmen ist sich auch die Umwelthilfe im Klaren. Es werde auf eine gerichtliche Überprüfung von Projektionsdaten ankommen, betont die Organisation. Sie sieht auch nach der neuen UBA-Projektion das Klimaziel für 2030 nicht eingehalten.

Gründe dafür sind bekannt: So vernachlässigt der Projektionsbericht des UBA das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts. In dessen Folge fehlen dem Klima- und Transformationsfonds des Bundes über mehrere Jahre insgesamt 60 Milliarden Euro. Damit sind Klimaschutzmaßnahmen wie Kaufprämien für Elektroautos oder die Bundesförderung für effiziente Gebäude gestrichen.

Für den Thinktank Agora Energiewende haben von der Ampel beschlossene zusätzliche Maßnahmen sogar nur einen Anteil von einem Fünftel am Verschwinden der 200-Millionen-Lücke. Der größere Teil resultiere aus schlechter Konjunktur, milder Witterung und methodischen Änderungen.

Ein besonderer Teil der Klimaklage der DUH war auf den Bereich der Landnutzung gerichtet. Das Klimaschutzprogramm 2023 baut hier vor allem auf Vorhaben zum natürlichen Klimaschutz, mit denen CO2-Senken wie Wälder und Moore, aber auch der Schutz der Biodiversität vorangebracht werden sollen.

Im Unterschied zu Sektoren wie Energie oder Verkehr gibt es im neuen Klimaschutzgesetz bei der Landnutzung keine großen Änderungen. Dabei liegt hier das Klimaziel für 2030 in besonders weiter Ferne. Durch renaturierte Ökosysteme soll eine CO2-Senkenleistung von jährlich netto 25 Millionen Tonnen erreicht werden. 2022 resultierten aus der Landnutzung aber immer noch Netto-Emissionen von fast vier Millionen Tonnen.

Die Umwelthilfe verlangt hier, einen Strukturwandel in der Landnutzung anzustoßen. Dazu gehörten die nasse Bewirtschaftung und Wiedervernässung von Mooren sowie die Begrenzung des Holzeinschlags in den Wäldern. Es gelte, die Ökosysteme massiv zu stärken.

Die Ampel hatte vor wenigen Tagen noch versucht, den Verhandlungstermin zu verlegen. Am Freitag verlautete von der Bundesregierung lediglich, man wolle das OVG-Urteil sorgfältig prüfen. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht wurde zugelassen.

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