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Judenhass in Berlin: Flucht ins Verborgene

Die Dokumentationsstelle Rias vermeldet einen Höchstwert für antisemitische Vorfälle in der Hauptstadt – Jüdinnen und Juden ziehen sich zurück

Heruntergerissene jüdische Haussegen, verbale Attacken, Angriffe mit Pflastersteinen – und natürlich der Brandanschlag auf die Synagoge im Oktober: Die Liste dessen, was Anna Chernyak Segal am Mittwochvormittag im Großen Saal der Neuen Synagoge berichten kann, ist lang. Seit dem Angriff der Hamas auf Israel komme es eigentlich täglich zu irgendwelchen Zwischenfällen, sagt die Geschäftsführerin der jüdischen Gemeinde Kahal Adass Jisroel. »Wir erleben den Anstieg unmittelbar.«

Insgesamt 1270 antisemitische Vorfälle hat die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Berlin (Rias) für das Jahr 2023 registriert. Das ist nicht nur ein Anstieg um knapp 50 Prozent im Vergleich zu 2022. Es ist auch die höchste Zahl für den Zeitraum eines Jahres, seitdem Rias 2015 mit der Erfassung begonnen hat. In die Dokumentation fließen unter anderem Beleidigungen, Drohungen, gewalttätige Übergriffe und Sachbeschädigungen ein. Nicht alle Vorfälle, die registriert werden, sind strafrechtlich relevant.

Eine deutliche Zäsur in der Statistik stellt der 7. Oktober dar: Während in den neun Monaten zuvor noch im Schnitt 53 Vorfälle pro Monat registriert worden waren, sprang die Zahl im Oktober auf 323. Ganze 61,2 Prozent aller von Rias für 2023 festgehaltenen Vorfälle haben sich demnach zwischen dem Tag des Massakers durch die Hamas und dem Jahresende ereignet.

Im Alltag der Berliner Jüdinnen und Juden zeigen die Übergriffe ihre einschüchternde Wirkung. »Die Vorfälle führen zu einer großen Unruhe und großen Bedenken um die eigene Sicherheit. Und eigentlich auch wirklich zu Angst«, sagt Chernyak Segal. Sie erzählt, wie sich Gemeindemitglieder Sorgen machten, nachdem ihre Kinder am Schabbat von fremden Eltern auf dem Spielplatz fotografiert und gefilmt worden seien. Wie jüdische Eltern ihre Kinder dazu aufforderten, ihre Kippa zu verstecken, und sie lieber mit dem Auto in die Gemeindeschule führen, statt sie in die Bahn zu setzen. Wenn der Weg denn überhaupt angetreten wird. Zwischenzeitig, sagt Chernyak Segal, habe die Auslastung in der Gemeindeschule bei 20 Prozent gelegen. Auf eine Schuluniform werde mittlerweile verzichtet.

Die Geschäftsführerin der Gemeinde Kahal Adass Jisroel spricht von Verdrängung der Berliner Jüdinnen und Juden aus dem öffentlichen Raum, von einem »selbstgewählten, aber sicherheitsbedingten Rückzug«. Auf die Berliner Polizei sei oftmals leider kein Verlass. Das habe sich gezeigt, als Nachbarkinder die Fensterscheiben jüdischer Gemeindemitglieder eingeworfen hätten. »Die Polizisten meinten: ›Wir können das jetzt schon aufnehmen. Aber unser Ratschlag an Sie: Ziehen Sie aus diesem Bezirk weg‹«, sagt Chernyak Segal. Zu diesem Schritt hatte sich zuletzt das jüdische Restaurant »DoDa’s-Deli« in Friedrichshain-Kreuzberg entschieden, nachdem es mehrfach mit Parolen beschmiert worden war.

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Wegen Sicherheitsbedenken sah sich die jüdische Gemeinde in jüngster Vergangenheit gezwungen, Feierlichkeiten abzusagen. Auch im Internet habe man die eigene Präsenz stark eingeschränkt. »Unser Social Media hatten wir lange aufgebaut, um zu zeigen, was für ein schönes, positives, selbstbewusstes jüdisches Leben wir hier führen«, sagt Chernyak Segal. Doch: »Die Menge an Hasskommentaren und Beleidigungen war nicht auszuhalten.«

Das gesamte Jahr 2023 über dominierte Rias zufolge der israelbezogene Antisemitismus als die am häufigsten erfasste Form des Antisemitismus. Dem Staat Israel wird dabei die Legitimität abgesprochen. Die gesellschaftliche Akzeptanz für diese Ausprägung des Antisemitismus finde sich in unterschiedlichsten Teilen der Gesellschaft wieder.

Der Antisemitismusbeauftragte der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Sigmount Königsberg, macht gar eine Querfront derer aus, die sich sonst »bis aufs Blut« bekämpften. Vom rechtsextremen Dritten Weg und den Grauen Wölfe bis hin in Teile der politischen Linken: »Das Wording, das die jeweiligen Gruppen wählen, ist kaum zu unterscheiden.« Die umstrittenen Proteste an den Berliner Hochschulen seien nicht propalästinensisch, sondern in erster Linie antiisraelisch. An einer Lösung seien die Demonstrant*innen nicht interessiert, genauso wenig daran, den Staat Israel anzuerkennen. »Wer das ablehnt, was jedem anderen Volk zugestanden wird, kann nur als Judenhasser gelten.«

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