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Todestag von Walter Lübcke: Die Bedrohungen sind real
Vor fünf Jahren wurde der CDU-Politiker Walter Lübcke von einem Neonazi erschossen
Groß war die Aufregung, als der sächsische SPD-Politiker Matthias Ecke Anfang des Monats beim Plakatieren in Dresden von jungen Rechten angegriffen und schwer verletzt wurde. Als sich die Meldungen über Attacken im Wahlkampf häuften, sprachen Politiker*innen genauso wie Kommentator*innen in Medien über eine neue Qualität der Angriffe oder redeten von einer Zuspitzung, die es so noch nie gegeben habe. Die passenden Statistiken belegten die Aussagen in den absoluten Zahlen. Trotzdem zeigen die alarmierten Äußerungen aus Politik und Medien auch, wie schnell unsere Gesellschaft vergisst.
An diesem Samstag jährt sich der Tod von Walter Lübcke zum fünften Mal. Der hessische Christdemokrat wurde von einem Neonazi erschossen, weil er sich für die Unterbringung von Geflüchteten eingesetzt hatte. Stefan Ernst, der jahrelang in extrem rechte Strukturen eingebunden war, erschoss Walter Lübcke am späten Abend des 1. Juni 2019 auf seiner Terrasse. Um den Mord am Regierungspräsidenten von Kassel zu verstehen, muss man allerdings weiter zurück gehen: In den Herbst 2015. Angela Merkel hatte gerade ihr »Wir schaffen das« verkündet, die Zivilgesellschaft in Deutschland überschlug sich in ihrer Aufnahmebereitschaft für Geflüchtete. Die extreme Rechte mobilisierte dagegen. Die Pegida-Bewegung aus Dresden war groß und bildete bundesweit Ableger. Auch in Nordhessen.
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Am 14. Oktober 2015 sprach Walter Lübcke bei einer Bürgerinformationsveranstaltung in Lohfelden über eine geplante Erstaufnahmeeinrichtung. Im Publikum verteilt saßen Anhänger der Kasseler Pegida-Variante Kagida. Sie störten die Veranstaltung und beschimpften Walter Lübcke. Der reagierte auf die Störungen der Rechten und sprach über Lohfelden, freiwillige Hilfe, seinen Einsatz für die lokale Schule und wie wichtig es sei, Werte zu vermitteln. Dann sagte er Sätze, die zehntausendfach unter Rechten geteilt wurden: »Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen.« Die extrem rechte Interpretation der Sätze: dem Regierungspräsidenten seien Geflüchtete lieber als Deutsche, die er am liebsten aus dem Land schmeißen wolle. Walter Lübcke wurde mit Hassbotschaften und Morddrohungen überhäuft. Stefan Ernst, der Mörder von Walter Lübcke, erklärte dass er sich wegen der Aussagen vom 14. Oktober entschlossen habe, den Politiker töten zu wollen. Ab 2017 sei er mehrfach bewaffnet im Umfeld des Hauses von Walter Lübcke gewesen.
Der Mord an Walter Lübcke und seine Vorgeschichte sind die deutlichste Mahnung dafür, welche Folgen es haben kann, wenn Diskurse von Rechts befeuert werden. Konsequenzen aus der Tat gibt es nicht. Am wenigsten bei der CDU. Waren Trauer und Empörung nach der Tat noch groß, so ist heute kaum noch die Rede von Walter Lübcke. Unter Friedrich Merz und mit Generalsekretär Carsten Linnemann hat die Partei ihren öffentlichen Auftritt auf populistische Attacken ausgerichtet. Die zahlreichen Ausfälle des Parteivorsitzenden, besonders gegen Minderheiten, sind bekannt. Die Art der Kommunikation zieht sich aber durch die ganze CDU/CSU. Drei Kandidaten der Heidelberger CDU präsentierten sich kürzlich auf einem Bild ausgestattet mit Kettensägen in einem Sonnenblumenfeld. Die dazugehörige Parole: »Es wird Zeit für den Grünschnitt«. Kettensägen, Horrorfilm, Requisit und Markenzeichen von Argentiniens rechtspopulistischem Präsidenten Javier Milei, scheinen für die Christdemokraten das adäquate Mittel der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Mit dieser Form der Kommunikation hat sich die CDU der AfD inhaltlich wie auch taktisch angenähert. Provokation und Angriffe stehen über der inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Konkurrenz.
Dass diese Form der Zuspitzung schadet, ist deutlich sichtbar. Wahlkampfveranstaltungen aller Parteien müssen so stark abgesichert werden wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik. Und die Zuspitzung und Anfeindungen ermüden Mandatsträger*innen, besonders im kommunalen und regionalen Bereich. Aus dem ganzen Land gibt es Berichte von Bürgermeisterinnen und Ratsmitgliedern, die sich aus der Politik zurückziehen. In der CDU könnte man das wissen. Auch unter Christdemokrat*innen gibt es solche Überlegungen. Denn auch gegen sie wird gehetzt. Weil er sich gegen den AfD-Parteitag in seiner Stadt ausspricht, muss der Essener Oberbürgermeister damit leben, dass er als »Antifa-Hure« bezeichnet und ein »Krieg« in Essen angekündigt wird.
Die Bedrohungen sind real, sie sind Alltag für Politiker*innen. Am kommenden Sonntag gibt es eine Gedenkfeier in der Kasseler Martinskirche. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier wird teilnehmen. Anschließend gibt es ein Demokratiefest vor der Kirche. Es ist zu vermuten, dass viel über Einigkeit und die Gefahr von Rechts gesprochen wird. Über den Umgang miteinander aber wohl weniger. Dabei könnte gerade das helfen, das Diskussionsklima zu beruhigen.
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