Rathaus Plauen: Glassplitter-Experiment hinter der Mauer

Im Rathaus von Plauen ist ein zeitweise vergessenes Wandbild der Dresdner Künstler Adler und Kracht saniert worden

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 5 Min.
Farbenfroh und höchstens auf den zehnten Blick agitatorisch: Das Wandgemälde der Dresdner Künstler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht.
Farbenfroh und höchstens auf den zehnten Blick agitatorisch: Das Wandgemälde der Dresdner Künstler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht.

Vielleicht waren die Lieferzeiten für Sandstein in der DDR ja ähnlich lang wie für einen »Trabant«. Bei dem Kleinwagen verging zwischen Bestellung und Auslieferung oft ein Jahrzehnt. Sandstein war wohl ähnlich rar, und deshalb konnte eine Wandverkleidung aus dem Material zunächst nicht angebracht werden, als am Rathaus von Plauen im Vogtland 1976 ein modernistischer Neubau eingeweiht wurde. Dessen Glasfassade öffnet den Blick auf ein Foyer, dessen Wände zunächst ein Wandbild der Dresdner Künstler Karl-Heinz Adler und Friedrich Kracht zierte. Nur zehn Jahre später aber verschwand es hinter besagtem Sandstein. Über Gründe lässt sich mangels Unterlagen nur mutmaßen. »Vielleicht«, sagt Dagmar Groß, »war ja das bestellte Kontingent Steine endlich lieferbar?!«

Dagmar Groß arbeitet bei der Unteren Denkmalbehörde im Plauener Rathaus und war maßgeblich daran beteiligt, dass 38 Jahre nach seiner Verblendung das Wandbild jetzt wieder freigelegt und saniert wurde. Jahrzehntelang war es in Vergessenheit geraten; nur passionierte Kunstfreunde wie Dietrich Kelterer, Vorsitzender des örtlichen Kunstvereins, erinnerten sich daran. Als der Stadtrat von Plauen 2018 zu debattieren begann, ob das Foyergebäude aus der DDR-Zeit durch einen erneuten Neubau ersetzt oder saniert werden soll, wies Kelterer auf das Wandbild hin. Fachleute führten eine Art archäologische Untersuchung durch und fanden es in gutem Zustand vor. Denkmalschützerin Groß bahnte Kontakt zur Wüstenrot-Stiftung an, die seit 2019 die Sanierung baubezogener Kunst aus der DDR fördert und für das Plauener Vorhaben 165 000 Euro bereitstellte. Jetzt wurde das Wandbild im Rathaus wieder der Öffentlichkeit übergeben. Stiftungs-Geschäftsführer Philip Kurz spricht von einem »Werk, das einen in den Bann zieht und sich dem entzieht, was wir sonst an baubezogener Kunst aus der DDR kennen«.

Wenn von Kunst am Bau in der DDR die Rede ist, denkt man an Wandbilder wie das vom spanischen Künstler Josep Renau geschaffene, 35 Meter hohe und unlängst ebenfalls mit Hilfe der Wüstenrot-Stiftung sanierte Werk »Einheit der Arbeiterklasse und Gründung der DDR«, das einen Elfgeschosser in Halle-Neustadt ziert und auf dem Karl Marx über Marschblöcke von Arbeitern schaut. Weniger agitatorisch, aber auch figürlich und von der Aufbruchstimmung in der jungen DDR geprägt ist die 1956 entstandene Diplomarbeit von Gerhard Richter im Deutschen Hygiene-Museum in Dresden. Auch sie wurde später verdeckt und wird derzeit wieder freigelegt.

Das 20 Jahre jüngere Bild von Adler und Kracht in Plauen ist gänzlich anders. Es zeigt keine Arbeiterführer oder Wissenschaftler, Friedenstauben oder Weltraumraketen, sondern rhythmisch angeordnete und sich durchdringende geometrische Formen: Keile, Pfeile und Kreise, die dem Werk Dynamik verleihen. Das Farbspektrum erstreckt sich von Umbra und Violett bis zum Orange und Gelb einer kreisförmigen Fläche, die an eine Sonne erinnert.

Ein solches Werk ist nicht unbedingt das, was in einem DDR-Verwaltungssitz zu erwarten wäre. Ob der Entwurf für kulturpolitische Debatten sorgte: Auch dazu sind keine Unterlagen überliefert. »Wer wollte, konnte dem natürlich eine politische Interpretation unterlegen«, sagt Sachsens Landeskonservator Alf Furkert. »Vom Dunkel ins Licht, von der Vergangenheit in die Gegenwart: So konnten pfiffige Künstler die Verantwortlichen überzeugen.« Ob das 1976 notwendig war, bleibt offen. Einige Jahre früher wäre die Idee als formalistisch verworfen worden. Später seien derartige künstlerische Ansätze toleriert worden, sagt Furkert und erinnert an den prominente Konstruktivisten Hermann Glöckner, der zuletzt auch auf DDR-Kunstausstellungen vertreten war.

Adler und Kracht hatten sich seit 1960 im Bereich der baubezogenen Kunst einen Namen gemacht. Die beiden Künstler, die mit Kollegen in Dresden in einer »Produktionsgenossenschaft des Handwerks« (PGH) organisiert waren, entwarfen ein Sortiment serieller Formsteine aus Beton, die in der DDR allgegenwärtig waren: an Kaufhallen, aber auch an der Bezirksdienststelle der Staatssicherheit in Leipzig. Die Formen, mit denen deren Treppenhäuser verkleidet wurden, erinnerten an Ohren, sagt Furkert: womöglich eine ironische Spitze gegen die als »VEB Horch & Guck« verspottete Institution.

Das Wandbild in Plauen stellten Adler und Kracht in einer eigens entwickelten, experimentellen Technologie her. Farbige Glassplitter wurden bei dem patentierten Verfahren per Sprühpistole aufgebracht. Das Ergebnis war sehr robust, sagt Martin Fliedner, Restaurator des Plauener Kunstwerks. Er stand vor der Aufgabe, nicht nur die Sandsteinplatten zu entfernen, sondern auch dicke Schichten von Vergussmörtel. Das sei durch Sandstrahlen gelungen. Das Bild habe keinen Schaden genommen, sondern sei »präsentabel wiederherstellbar« gewesen.

Nach fünfjähriger Arbeit ist das 250 Quadratmeter große Bild jetzt wieder zu sehen. Die Glassplitter sorgen für beeindruckende Plastizität und Strahlkraft. Die farbliche Wirkung, sagt Fliedner, ändere sich mit dem Wechsel von Tageslicht zu künstlicher Beleuchtung und variiere je nach Stand der Sonne. Herausfordernd sei die Retusche von 855 Löchern gewesen, in denen Bohranker zur Befestigung der Sandsteinplatten steckten. Sie sind bei bestimmten Lichtverhältnissen zu erkennen. Kein Problem, sagt Fliedner: »Ein Grundsatz unserer Arbeit lautet, dass die Restaurierung im Werk ablesbar sein darf.«

Mit der Restaurierung in Plauen sei »eine der eigenwilligsten Schöpfungen an einem öffentlichen Gebäude aus der DDR« wieder hergestellt, sagt Furkert. Einzigartig ist sie nicht. Adler und Kracht schufen weitere Wandbilder mit ihrer Glassplitter-Technologie, von denen mindestens eines in Zwickau erhalten ist. Es befindet sich im Freien; sein Zustand sei schlecht, sagen Fachleute und hoffen, dass auch dort eine Restaurierung gelingt. Plauens Oberbürgermeister Steffen Zenner will Kommunalpolitiker aus Zwickau zur Inspiration einladen. Vielleicht kommt es auch dort zur Wiederentdeckung.

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