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»Golda« im Kino: Emotional involviert
Das Biopic »Golda« über die ehemalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir konzentriert sich auf deren Entscheidungen im Jom-Kippur-Krieg
Das Genre des sorgfältig ausstaffierten Biopics, das lebt von historische Tiefe suggerierenden Farben und möglichst mimetisch agierenden Schauspieler*innen, unternimmt meist einen sehr traditionellen und eventuell auch nicht sonderlich aufklärerischen Zugriff auf Historisches. Geschichte wird von großen Männern gemacht, sie hängt ab von den schweren Entscheidungen Einzelner, die als – meist tragische – Helden erinnert werden sollen. Strukturen, Überindividuelles, oder der Zufall Blödheit haben hier als geschichtsbildende Instanzen kaum Platz.
Daran ändert sich auch nichts Prinzipielles, wenn die Geschichte ausnahmsweise einmal nicht von großen Männern, sondern von großen Frauen gemacht worden sein soll. Guy Nattivs Biopic »Golda« erzählt vom knapp drei Wochen andauernden Jom-Kippur-Krieg, 1973. Im Zentrum des Geschehens die damalige israelische Ministerpräsidentin Golda Meir. Dargestellt wird Meir vor allem durch die aufwendige, oscarnominierte Maske, die jede Differenz zwischen Signifikat (Golda Meir) und Signifikant (Helen Mirren) zum Verschwinden bringen soll.
Meir trifft eine fatale, aber wegen der realpolitischen Erfordernisse verstehbare Fehlentscheidung und unternimmt keinen Präventivschlag gegen die sich formierenden arabischen Armeen. Die greifen zuerst weitgehend ungehindert an, die Verluste in den ersten zwei Tagen der Gefechte sind immens, und Israel droht den Krieg zu verlieren. Dann dreht sich die Lage, und die Frage steht im Raum, ob man Kairo einnehmen sollte oder das lieber bleiben lässt.
Helen Mirren trägt »Golda«, versteht man den Film als Charakterstudie, durch ein paar etwaige Längen. Das tragische Heldinnenbild: Die Staatschefin ist schlagfertig, analytisch klar und trotzdem emotional involviert, über ihre eigene traumatische Vergangenheit wie auch über die Empathie mit den Frauen um sie herum, die ihre Söhne im Krieg verlieren. Das Skript von Nicholas Martin insistiert darauf, dass eine Niederlage Israels gleichbedeutend mit seinem Ende als Staat gewesen wäre. Die Inszenierung erinnert daran, was ein auf Vernichtung zielender Krieg aufwühlt: Immer wieder imaginieren die Bilder Trauma-Flashbacks aus dem Sechs-Tage- und dem Unabhängigkeitskrieg. Und die Vernichtungsdrohung ruft Erinnerungen an die Kindheit in der Ukraine wach: Goldas Vater musste die Fenster vernageln, um seine Kinder vor dem antisemitischen Mob beschützen.
Insbesondere mit dieser Herstellung einer Kontinuität stellt »Golda« sich auf die Seite Israels. Die Verengung der Perspektive auf die Räume, in denen Entscheidungen getroffen werden müssen, war, hat Guy Nattiv in einem offenherzigen Interview mit der »Taz« erzählt, Budgetgründen geschuldet. Er hätte sonst gerne auch die arabische Seite gezeigt. In der Konsequenz läuft sie darauf hinaus, dass sowohl die Kämpfe wie auch das Regierungs- und das militärische Personal der anderen kriegführenden Staaten ins Off und auf die Tonspur verbannt werden.
Diese Parteilichkeit hat dann auch wieder zu den inzwischen erwartbaren Reaktionen geführt. Eine Frankfurter Vorpremiere wurde vom Kino mit der Begründung abgesagt, dass die Projektion den »eigenen Diskursvorstellungen nicht mehr gerecht wird«. Was immer das heißen mag. Nun feierte »Golda« seine Premiere auf der Berlinale letzten Jahres, also im Februar 2023. Und in Großbritannien startete er am 6. Oktober in den Kinos.
Ein Bezug zum aktuell laufenden Krieg lässt sich trotzdem herstellen. Golda Meir erhöht gegenüber Henry Kissinger, der sich um den Ölpreis sorgt, den Druck: Wenn der ägyptische Präsident Anwar as-Sadat die israelischen Kriegsgefangenen nicht freigibt, würde eine eingekesselte Armee-Division dran glauben müssen. »Ich werde sie alle abschlachten. Auf Wiederhören, Herr Minister.« Dann geht Golda Meir ins Badezimmer und kotzt, schwer an Krebs erkrankt, Blut an die Wand.
Am Ende sitzen Meir und as-Sadat nebeneinander vor den Kameras, überreichen sich Diplomatengeschenke und bringen das bis heute bestehende Friedensabkommen zwischen Israel und Ägypten auf den Weg. Nach mehr als 25 000 Kriegstoten, über 2600 davon Israelis, fällt der Entschluss, es mit Koexistenz zu versuchen. An diesem Punkt weist der Film über Charakterstudie und Heldinnenbild hinaus. Seit dem 7. Oktober wirkt der Schluss von Guy Nattivs Film wie eine wehmütige Erinnerung an einen unwahrscheinlicherweise geglückten Griff zur Notbremse.
»Meine Hoffnung ist, dass nach dem aktuellen Krieg neue Politiker auf beiden Seiten auftauchen, die einen Neuanfang schaffen«, hat Nattiv im besagten Interview gesagt. Sein Film allerdings zeigt vor allem und unfreiwillig die sich unüberbrückbar anfühlende Differenz zwischen jetzt und damals. Golda Meirs martialische Drohung an Kissinger ist ein taktischer Move, unternommen in einer Zeit, in der man mit der Androhung von toten Soldaten noch Verhandlungsmasse bilden konnte. Das ist heute nicht mehr der Fall. Heute dienen die Toten einer kriegführenden Terrororganisation als Propagandamaterial, das sich zu Tiktok-Reels verarbeiten lässt. Auf der anderen Seite steht eine stramm rechte Regierung.
Die Differenz zum damaligen kriegführenden Personal ist in jeder Geste der Figuren präsent. Der neue Kontext, der Krieg, der zwischen der Berlinale-Premiere und dem deutschen Kinostart begonnen hat, lässt »Golda« zu einer Erinnerung werden, die im direkten Kontrast wie ein Zeugnis von Hoffnungslosigkeit anmutet.
»Golda«, England, USA 2023. Regie: Guy Nattiv, Buch: Nicholas Martin. Mit: Helen Mirren, Liev Schreiber, Camille Cottin. 101 Min. Jetzt im Kino.
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