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»King’s Land«: Kampf um Kartoffeln

Das dänische Drama »King’s Land« ist episches Geschichtskino, das an Klassiker des letzten Jahrhunderts erinnert

  • Gabriele Summen
  • Lesedauer: 4 Min.
Mininum an Ausdruck, Maximum an Gefühl? Mads Mikkelsen als idealistischer Siedler in der wilden Heide Jütlands
Mininum an Ausdruck, Maximum an Gefühl? Mads Mikkelsen als idealistischer Siedler in der wilden Heide Jütlands

Bestimmt gibt es interessantere Stoffe für einen Film als die Urbarmachung der wilden Heide Jütlands durch einen mittellosen Hauptmann im Jahr 1755. Doch was Regisseur Nicolaj Arcel und sein Protagonist Mads Mikkelsen aus Ida Jessens Bestseller »The Captain And Ann Barbara« machen, der als lose Vorlage für »King’s Land« diente, ist in vielerlei Hinsicht beeindruckend.

Mikkelsen, der bereits in Arcels 2012 für den fremdsprachigen Oscar nominierten Film »Die Königin und ihr Leibarzt« die Hauptrolle übernahm, spielt Ludvig Kahlen, der dem Aufruf des dänischen Königs Frederik V. nachkommen und das unfruchtbare Niemandsland kultivieren und besiedeln will. Doch neben der unbarmherzigen Natur muss er es mit dem machthungrigen Gutsherren Frederik De Schinkel (Simon Bennebjerg) aufnehmen, der Besitzansprüche auf das Land erhebt und Kahlen mit all seinem sadistischen Einfallsreichtum zum Scheitern bringen will.

Allerdings reicht bereits der erste Blick in das wild entschlossene Gesicht Kahlens, um sicher zu sein, dass dieser sein Ziel stoisch verfolgen wird. Für diese Rolle hätte Arcel keinen Besseren als Mikkelsen besetzen können: Dieser vermag mit einem Minimum an Ausdruck das Innenleben eines Mannes bloßzulegen, der in einer absolutistischen Zeit lebte, in der über Gefühle nicht geredet wurde.

»Gott ist Chaos! Das Leben ist Chaos!«, bellt der psychopathische De Schinkel, der stets gefährlich nah an der Grenze zur Karikatur agiert, bereits bei der ersten Begegnung. Kahlen widerspricht ruhig: »Krieg ist Chaos. Aber der Sieger gewinnt die Kontrolle über das Chaos.«

Der Beginn des Films mutet wie ein nordischer Western an. Und das nicht nur, weil Kahlen zu Pferd das raue Land erkundet. Rasmus Videbæks großartige Kameraarbeit fängt Kahlens Kampf mit der erbarmungslosen Natur bei Regen, Nebel, Frost oder stechender Sonne ein – immer sein gnadenloses Ziel vor Augen: Kartoffeln anzupflanzen, die auf fast jedem Boden gedeihen!

Kahlens Motivation für seine selbst auferlegte Aufgabe liegt auf der Hand: Er ist ein »Bastard«, wie der Film im dänischen Original heißt: der Sohn einer Hausmagd, die von ihrem adligen Herrn vergewaltigt wurde. 25 Jahre diente er in der Armee und schaffte es, zum Hauptmann aufzusteigen, nun strebt er den Stand an, der ihm seiner Meinung nach schon immer zustand. Der dänische König versprach schließlich jedem einen Adelstitel, dem es gelinge, in der Heide etwas anzubauen.

Ein junger Pastor will ihn bei seinem Projekt unterstützen und vermittelt ihm als Hilfskräfte Joannes (Morten Hee Andersen) und Ann Barbara (Amanda Collin), ein verzweifeltes Pächter-Ehepaar, das vor seinem brutalen Gutsherrn geflohen ist und gesucht wird.

Zudem muss sich Kahlen auch noch mit Räuberbanden rumplagen sowie dem beherzten Romamädchen Anmai (Melina Hagberg). Anmai hat es sich in den Kopf gesetzt, bei ihm zu bleiben. Doch ganz allmählich finden sich diese vom Schicksal gebeutelten Menschen zu einer provisorischen Familie zusammen, die unter immer wahnwitzigeren Aktionen des brutalen De Schinkel zu leiden hat.

Lange erlaubt sich Kahlen wenig menschliche Regungen, wenn sich Hindernisse auftun, die seinem sturen Traum im Wege stehen könnten. So schaut er angewidert zu, als der grausame De Schinkel einen seiner Männer foltert – eine auf der Tonebene kaum erträgliche Szene, die nichts für schwache Nerven ist. Auch schreckt Kahlen nicht davor zurück, gemeinsam mit einigen seiner Siedler De Schinkels Mordbuben hinterrücks umzubringen, um ihn zu stoppen. Sogar in Bezug auf Anmai, die ihm im Verlauf des Films ans Herz wächst und seine Ziehtochter wird, trifft Kahlen einmal eine grausame Entscheidung, als sie erneut wegen ihrer dunklen Haut von den Siedlern dämonisiert wird und sie fordern, dass das Mädchen geht.

Der Konflikt zwischen dem privilegierten Gutsherrn und dem idealistischen Hauptmann wird noch dadurch verschärft, dass De Schinkels Verlobte ein Auge auf Kahlen geworfen hat.

Arcel Anders und sein Mitautor Thomas Jensen geben ihren komplexen Charakteren, die sich im Laufe des Films zum Teil überraschend entwickeln, genügend Raum, sodass man mit ihnen mitleidet und mitfiebert. So stockt einem sogar der Atem, als plötzlich einbrechender Frost die erste Ernte zu vernichten droht und Kahlen den Boden rasch mit Decken notdürftig abdeckt. Ebenso ist man ganz aus dem Häuschen, als Anmai an einem Frühlingsmorgen die erste zarte Kartoffelpflanze erblickt. Das muss man erst einmal hinbekommen.

Alle Elemente der Geschichte, die lose auf einer wahren Begebenheit beruht, werden zu einem stimmigen Ganzen zusammengefügt. Kostüm, Lichtsetzung und Produktionsdesign wirken überaus authentisch. Die symphonische Musik unterstreicht den epischen Gesamteindruck. Besonders faszinierend ist Kahlens Charakterentwicklung hin zu einem Mann, der sich von der Erbarmungslosigkeit der Mächtigen zunehmend distanziert, sowie Ann Barbaras kühne Entscheidung gegen Ende. Derart packendes Geschichtskino in der Tradition von »Barry Lyndon« und »Lawrence von Arabien« bekommt man heutzutage nicht mehr häufig geboten.

»King’s Land«, Deutschland, Dänemark, Norwegen, Schweden 2023. Regie: Nikolaj Arcel; Buch: Nikolaj Arcel, Anders Thomas Jensen. Mit: Mads Mikkelsen, Amanda Collin, Felix Kramer, Kristine Kujath Thorp, Simon Bennebjerg u.a. 128 Min. Jetzt im Kino.

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