»Bulgariens Wandel geht mit Hass auf Minderheiten einher«

Die Antifa-Szene im Land am Schwarzen Meer hat mit großen Widerständen zu kämpfen

  • Felix Schlosser
  • Lesedauer: 4 Min.
Patrouille der bulgarischen Grenzpolizei an der Grenze zur Türkei. Bulgarien setzt eine sehr rassistische Politik gegen Migranten durch – es gibt ständig Gewalt an der Grenze zur Türkei mit Hunderten von Pushbacks und vielen Abschiebungen, sagt Georgi Ivanov.
Patrouille der bulgarischen Grenzpolizei an der Grenze zur Türkei. Bulgarien setzt eine sehr rassistische Politik gegen Migranten durch – es gibt ständig Gewalt an der Grenze zur Türkei mit Hunderten von Pushbacks und vielen Abschiebungen, sagt Georgi Ivanov.

Wie stark ist die extreme Rechte in Bulgarien? Hat sie parlamentarische Unterstützung?

In den vergangenen Jahren gab es nach einem zunächst kurzen Rückgang einen rapiden Aufstieg des rechten Flügels. Sie nutzen sogar minderjährige Jungen, die in verschiedenen faschistischen Kampfclubs ausgebildet werden und danach zu Hauptorganisatoren der extremen Rechten werden. Junger Widerstand, Jugendliche für Bulgarien und andere.

Am 9. Juni wird in Bulgarien wieder gewählt: Was ist eure Sicht auf die Wahlen?

Sie werden nichts ändern. In den vergangenen Jahren haben immer wieder die gleichen Parteien gewonnen (die beiden größten sind demokratisch und prowestlich orientiert, es sind GERB und PPDB). Vazrazhdane (Wiedergeburt, nationalistisch, populistisch und prorussisch) liegt auf Platz vier oder fünf. Diese Parteien schaffen es nicht, eine Koalition zu bilden, sodass es in Bulgarien keine mandatierte Regierung gibt. Wir glauben, dass die Ergebnisse dieses Mal gleich sein werden.

Interview

Georgi Ivanov* ist ein aktives Mitglied der Antifa-Szene in Sofia. Mit ihm sprach aus Anlass der Wahlen in Bulgarien am 9. Juni für »nd« Felix Schlosser.
*Name auf Wunsch geändert.

Was sind die zentralen politischen Fragen in Bulgarien?

In Bulgarien gibt es viele politische Probleme. Seit vielen Jahren findet ein »Wandel« hin zu einer westlichen Art von »Demokratie« und Kapitalismus statt. Dieser Wandel geschieht auf sehr korrupte Weise – er bringt große Armut in der Bevölkerung sowie Nationalismus, Rassismus und Hass auf Minderheiten und Migranten hervor. Derzeit ist die Regierung nicht stabil und deshalb wird es Neuwahlen geben – schon das fünfte Mal innerhalb der vergangenen drei Jahre. Das Hauptziel der rechtsliberalen Regierung ist der Beitritt zum Schengenraum und zur Eurozone. Dem widersetzen sich die populistischen prorussischen Nationalisten, aber nicht sehr stark. Und darüberhinaus gibt es zum Beispiel keine wahrnehmbare linke Kritik an der Einführung des Euro. Bulgarien setzt zudem eine sehr rassistische Politik gegen Migranten durch – es gibt ständig Gewalt an der Grenze zur Türkei mit Hunderten von Pushbacks und vielen Abschiebungen, manchmal illegal, in die Türkei. Nicht zuletzt aufgrund der engen Beziehungen zu Erdoğan. Bei der Einreise in den Schengenraum wird diese grausame Politik gegen die betroffenen Migranten noch verstärkt.

Vor einigen Wochen kam es zu einer antifaschistischen Demonstration in Sofia aufgrund eines Nazi-Angriffs auf einen Afghanen. Was ist dort passiert?

Es gab eine Schlägerei zwischen Jugendlichen auf der Boulevard Vitoshka, einer der Hauptstraßen in Sofia. Zwei von ihnen waren keine Bulgaren. Obwohl sich die Jugendlichen untereinander kannten, veröffentlichte einer der Anführer der faschistischen Partei (IMRO, Bulgarische nationale Bewegung) ein Video, in dem er erklärte, dass die beteiligten Migranten Bulgaren angegriffen hätten und sehr gefährlich seien. Dies löste eine große Welle von rassistischen Protesten aus, die hauptsächlich von Fußballhooligans und Neonazis besucht wurden. Parteien wie GERB und IMRO, die den Wiedereinzug ins Parlament anstreben, starteten eine große Kampagne gegen Migranten. In den folgenden Wochen kam es zu zahlreichen Angriffen auf Migranten, Roma und neuerdings auch auf LGBT-Personen. Mindestens einer der Angriffe wurde gefilmt und in verschiedenen faschistischen Telegramkanälen geteilt. Im Kontext dieser rassistischen Mobilisierungen wurden ein Afghane und seine bulgarische Frau vor ihrem Haus angegriffen. Sie wurden zusammengeschlagen und einer seiner Finger wurde gebrochen. Sie mussten ihre Wohnung verkaufen, weil sie bedroht wurden.

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Wie ist die Antifa-Szene in Bulgarien, insbesondere in Sofia aufgestellt?

Die Antifa-Szene ist in Bulgarien leider sehr klein und hauptsächlich in Sofia verortet. Das Hauptereignis, das die Menschen zusammenbrachte, war der Kampf gegen die Neonazi-Gedenkveranstaltung Lukovmarsh. Viele Jahre lang war der Gegenprotest die wichtigste von Antifaschisten organisierte Veranstaltung. Mit den Jahren haben wir es geschafft, den Leuten zu zeigen, dass es sich um einen Neonazi-Sumpf handelt. Wir konnten beobachten, wie der Marsch in den vergangenen Jahren kleiner wurde, bis er letztlich sogar eingeschränkt und teilweise verboten wurde.

Gibt es große Nazi-Events abseits des mittlerweile auch in Deutschland bekannten »Tages der Ehre« im Februar?

Die größte Neonazi-Veranstaltung in Bulgarien ist der Lukovmarsh, der seit mehr als 20 Jahren die Straßen von Sofia mit Neonazis überschwemmt. Es ist ein großes faschistisches Treffen, das Neonazis aus ganz Europa zusammenbringt. Wie bereits erwähnt, ist es in den vergangenen Jahren deutlich kleiner geworden, aber dank der Institutionen findet es immer noch statt. Es ist das wichtigste faschistische Treffen in Bulgarien.

Wie kann man euch unterstützen?

Die Leute können uns mit Öffentlichkeitsarbeit über das, was hier passiert, unterstützen. Über eine Teilnahme an unseren Protesten und antifaschistischen Demonstrationen freuen wir uns sehr! Außerdem ist uns wichtig, dass über den Fall von Abdulrahman al-Halidi berichtet wird – ein Menschenrechtsaktivist, dem eine Abschiebung aus Bulgarien droht.

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