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Kita-Streik in Berlin: Ohne die Eltern geht es nicht
Viele Eltern unterstützen den Berliner Kita-Streik für personelle Entlastung, es gibt aber auch Kritik
Der Erfolg von Arbeitskämpfen im öffentlichen Erziehungsdienst hängt maßgeblich von der Unterstützung der Eltern ab, die von den geschlossenen Einrichtungen betroffen sind. Streiks im öffentlichen Dienst setzen die Arbeitgeber nicht direkt ökonomisch unter Druck, vielmehr sparen diese mit jeder Arbeitsniederlegung Geld, da keine Löhne fällig werden. Die Streikenden bekommen stattdessen Streikgeld von der Gewerkschaft. Druck auf die Arbeitgeber muss daher über den Einfluss der Öffentlichkeit erfolgen. Hier sind die Eltern eine entscheidende Stellschraube. Kippt die Stimmung in der Elternschaft, kippt auch schnell der Arbeitskampf. Bündnisse zwischen Beschäftigten und Eltern werden, je länger der Arbeitskampf dauert, auf die Probe gestellt.
Insofern kommt dem erst am Donnerstag in Berlin angelaufenen Kita-Streik eine Stellungnahme des Landeselternausschusses Kita (LEAK) zur Unzeit. Der LEAK ist die per Gesetz eingerichtete Interessenvertretung von Berliner Kita-Eltern auf Landesebene. »Der LEAK distanziert sich klar von den derzeitigen Streiks der Gewerkschaft Verdi«, heißt es in der Mitteilung vom Dienstag. Die Streiks würden den Druck auf die eh schon belasteten Familien erhöhen, »auf die Politik aber in keiner Weise«. Positive und zeitnahe Auswirkungen auf die Betreuungsbedingungen seien bei der aktuellen Haushaltslage und dem anhaltenden Personalmangel keineswegs sicher.
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Der LEAK ist mit Verdi und auch der streikunterstützenden Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) Teil des Berliner Kita-Bündnisses. Sie haben also gemeinsame Ziele: kleinere Gruppen, qualitativer und quantitativer Ausbau der Kitaplätze und eine Verbesserung des Dialogs zwischen Fachkräften und Familien, aber: »Kurzfristige Streiks werden die Probleme nicht lösen«, heißt es in der Stellungnahme des LEAK.
In der gegenwärtigen Tarifauseinandersetzung will Verdi an den landeseigenen Kita-Betrieben einen Tarifvertrag für pädagogische Qualität und Entlastung erreichen. Konkret soll das Fachkraft-Kind-Verhältnis neu bestimmt werden; bei einer Überschreitung des Betreuungsschlüssels sollen Entlastungsmaßnahmen wie zusätzliche Freizeit greifen. Das werde einerseits die Arbeit für neue Kolleg*innen attraktiver machen, andererseits die stehende Belegschaft beisammenhalten und die Arbeitgeber bewegen, die Personaldecke zu verdichten.
Der Berliner Senat hat die bisherigen Verhandlungsbemühungen abgewiesen. Die Tarifzuständigkeit liege bei der Tarifgemeinschaft der Länder (TdL). Auf einen ersten Warnstreiktag am 6. Juni könnte ein weiterer dreitägiger Streik ab dem 10. Juni folgen, sollte der Senat nicht von seiner »Blockadehaltung« abweichen teilte Verdi mit. Laut der Gewerkschaft hatten am Donnerstag 2500 der 7000 Erzieher*innen die Arbeit niedergelegt. Zwei Drittel der 282 Kita-Betriebe seien geschlossen geblieben.
»Dass Eltern sich offen gegen den Streik positionieren, ist kurzsichtig«, erklärt Mascha Krüger auf der Streikkundgebung vor dem Abgeordnetenhaus. Sie spricht als eines der Elternteile, die die Arbeitsniederlegung unterstützen. Von ihnen sind nicht viele erschienen. Hin und wieder sieht man in dem Gedränge ein paar Kids mit Ohrenschützern oder in einem Fahrradanhänger. Als sich der Kundgebungsort leert, deuten Kreidezeichnungen auf der Straße darauf hin, dass Kinder auf der Kundgebung waren.
Constanze Klunker ist mit ihrer Tochter und deren Großvater da. Die Kita der Kindergärten Nordost sei heute komplett geschlossen, sagt Klunker zu »nd«. Sie könne an der Kundgebung teilnehmen, weil sie Unterstützung von den Großeltern bekomme. Dennoch würde sie einen Teil ihrer Arbeit am Abend und in der Nacht nachholen müssen. Nach wie vor sei es an der Tagesordnung, dass Erzieher*innen zu zweit oder auch alleine 20 Kinder betreuen, sagt Klunker. »Inklusionsarbeit findet nicht statt.« Um bedürfnisorientiert auf die Entwicklung der Kinder zu schauen, fehlten in der Einrichtung ihrer Tochter die Kapazitäten, so Klunker. Sie und Krüger sind Mitglied der Elterninitiative »Einhorn sucht Bildung«. Sie sehen sich als Multiplikator*innen für die Interessen der pädagogischen Fachkräfte in der Elternschaft.
Zurzeit sind etwa 25 Eltern bei »Einhorn sucht Bildung« aktiv. Yvonne Kittler ist eine von ihnen, kann den Streik aber nicht aktiv unterstützen, die Kundgebung, die am Donnerstag um 8.30 Uhr startet, liegt genau in ihrer Arbeitszeit. Eine Freundin hat die Betreuung ihrer beiden Kinder übernommen. Auch Kittler bringt ihr Unverständnis über die Mitteilung des LEAK zum Ausdruck: »Ich finde es wirklich erschütternd, dass wir uns gegenseitig in den Rücken fallen und den wohlberechtigten Streik untergraben, obwohl es eigentlich um bessere Arbeitsbedingungen für die Erzieher*innen und Verbesserungen für Kinder und Eltern geht.«
Sie würde gerne mehr Präsenz zeigen, sagt Kittler. Dass sich die aktive Beteiligung von betroffenen Eltern bisher in Grenzen hält, liege ihr zufolge nicht an einem mangelnden Problembewusstsein. Geschlossene Kitas aufgrund des Personalmangels seien schließlich längst Teil des Familienalltags. »Insofern«, schlussfolgert Kittler, »dienen die Streiks auch langfristig dazu, für die Eltern das Recht auf Betreuung und für die Kinder das Recht auf Bildung zu gewährleisten«. Eine Idee, wie die Einbindung gelingen könnte, hat sie dennoch: »Am Wochenende würde ich jetzt nicht streiken, aber nach der Kita könnte ich mir gut vorstellen, statt mit dem Kind auf den Spielplatz, auf eine Streikdemo zu gehen.«
Auch einige der Erzieher*innen sind mit ihren Kindern vor das Abgeordnetenhaus gekommen. Sie kennen beide Perspektiven: als Beschäftigte und als betroffene Eltern. »Ich kann es nur vermuten, aber ich glaube, innerhalb der Elternschaft ist die Solidarität größer als die Kritik«, sagt ein Vater und GEW-Mitglied zu »nd«. »Um die Eltern besser einbinden zu können, müssen diese untereinander organisieren, wer am Streiktag demonstriert, arbeitet oder babysittet.« Außerdem hält er eine Informationskampagne für sinnvoll: »Viele wissen nicht, wie sie sich gut solidarisch verhalten können und den Druck auf die Politik richten und nicht auf die Erzieher*innen.«
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