• Politik
  • Demokratieforschung in Sachsen

Autoritarismusforschung: Antworten, die keiner hören will

Seit vier Jahren forscht das Else-Frenkel-Brunswik-Institut zu Demokratiefeindlichkeit in Sachsen. Die Arbeit wurde nun auf einem Kongress vorgestellt

Ein Stück »sächsische Identität«: Der Schwibbogen aus dem Erzgebirge vereint Harmoniesehnsucht, holzschnittartige Geschlechterbilder und verdrängte NS-Geschichte.
Ein Stück »sächsische Identität«: Der Schwibbogen aus dem Erzgebirge vereint Harmoniesehnsucht, holzschnittartige Geschlechterbilder und verdrängte NS-Geschichte.

Der Hoffnungsschimmer zu Beginn des Superwahljahrs 2024 scheint erloschen. Die demokratischen Massenproteste gegen rechts fügten sich erschreckend bruchlos in den Normalzustand einer Demokratie, deren anstehende Wahlen antidemokratischen und rechten Kräften große Erfolge bescheren könnten – zumindest in Ostdeutschland. Dort wird die AfD Prognosen zufolge den höchsten Stimmenanteil erzielen, und das bei gleich drei kommenden Landtagswahlen, die in Brandenburg, Thüringen und Sachsen neben der Europa- und Kommunalwahl stattfinden.

Die naive Hoffnung auf die plötzliche demokratische Bewegung gegen Rassismus und autoritäres Aufbegehren korrelierte mit der Ratlosigkeit angesichts des drastischen »Rechtsrucks« besonders im Osten. Was sind die Ursachen für das Erstarken der Rechten? Und vor allem, was kann dagegen überhaupt getan werden? Mit diesen Fragen sind bundesweit seit einigen Jahren Forschungseinrichtungen betraut, etwa das Institut für demokratische Kultur an der Hochschule Magdeburg-Stendal oder das neue Institut für Rechtsextremismusforschung in Tübingen. In Sachsen wurde dazu 2020 das Else-Frenkel-Brunswik-Institut (EFBI) für Demokratieforschung gegründet. Das Institut war im Koalitionsvertrag der 2019 gewählten Regierung aus CDU, Grünen und SPD vereinbart worden, deren Legislatur im September endet und damit auch für das EFBI eine Bilanzziehung ermöglicht. Dazu fand nun am 30. und 31. Mai in Leipzig unter dem Titel »Jetzt in Sachsen« der erste Kongress des Instituts statt, auf dem Forschung und Ergebnisse des Instituts vorgestellt und mit Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft diskutieren wurden.

Scharnier und Türöffner

Die aktuelle Bedrohung von rechts fand für viele ihren Ausdruck in der Losung »Nie wieder ist Jetzt«, an die der Titel der Tagung »Jetzt in Sachsen« direkt anschließt, wie EFBI-Direktor Oliver Decker zur Begrüßung ausführte. Zugleich wendete er ein, dass rechte Einstellungen, wie sie etwa die Leipziger Autoritarismus-Studie seit über 20 Jahren nachweist, über die Jahre annähernd gleich geblieben sind. Neu sei hingegen, dass »auf die Einstellungen jetzt Handlungen folgen«, etwa der Gang zur Wahlurne. Um dieses Erstarken und die neue Politisierung der Ressentiments angemessen zu begreifen, wolle das EFBI »nicht nur die Motive des Hasses analysieren, sondern auch die sozialpsychologischen Hintergründe erfassen«. Sprich, das Institut betreibt kritische Gesellschaftstheorie, mit der die Ursachen für die Attraktivität rechter Politiken in den gesellschaftlichen Verhältnissen ausfindig gemacht werden sollen. Denn »die AfD kann Ressentiments instrumentalisieren oder manipulieren, hervorbringen kann sie sie nicht«, so Decker.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Zugleich befinde sich das EFBI mit diesem Anspruch in einem Spannungsverhältnis: Die Analysen und Forschungsergebnisse sollen die demokratische Zivilgesellschaft stärken, brauchen aber kritische Distanz, denn »die autoritäre Dynamik umfasst alle Gesellschaftsmitglieder«. In den Diskussionen der Tagung wurde das EFBI an unterschiedlichen Stellen wahlweise als »Scharnier« zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit oder als »Türöffner« bezeichnet, manche sahen darin auch ein »Chamäleon«, das sich je nach Kontext anpassen müsse. Decker selbst kommentierte die schwierige Aufgabe des Instituts, man erforsche »Fragen, die niemand gestellt hat, und liefert Antworten, die keiner hören will«.

In einer Podiumsdiskussion zu »Chancen, Widersprüche und Schwierigkeiten der Demokratieforschung« bezeichnete die sächsische Staatsministerin für Justiz und für Demokratie, Europa und Gleichstellung, Katja Meier (Grüne), das EFBI als »zivilgesellschaftlichen Verfassungsschutz«, von dem sie »konkreten Mehrwert« erwarte, also politische Handlungsempfehlungen. Die Politikwissenschaftlerin Judith Enders wehrte sich gegen diesen Anspruch, sie wolle »nicht beim Forschen schon an den Transfer denken«. Auch Decker dämpfte Meiers Erwartung, weshalb er »nicht von Beratung, sondern Supervision« sprechen wolle. Wenn man die gesellschaftliche Ursachenforschung zum Autoritarismus ernst nimmt, geht es notwendigerweise auch um Selbstaufklärung. So begann die Tagung auch mit einer vierstündigen Gruppensupervision für Akteur*innen der Demokratiearbeit und -forschung.

»Ehrlich gesagt«, erwiderte Decker der Forderung nach umsetzbaren Ergebnissen, »ich wurde noch nicht an den Kabinettstisch eingeladen, um die Ergebnisse vorzustellen«. Meiers Rückfrage, ob er denn mal nachgehakt habe, konnte Decker positiv beantworten. Auch ihren Einwand, dass sich die komplexen Befunde jenseits der »Wohlfühlwissenschaftsbubble« schwer vermitteln ließen, konnte Moderatorin und Kommunikationsreferentin des EFBI, Pia Siemer, leicht entkräften: Das Institut begebe sich mit Veranstaltungen vor Ort, in die beforschten Gemeinden.

Sozialräume und Schwibbögen

Neben dem EFBI und seiner Arbeit standen vor allem die Ergebnisse der Forschung zur Diskussion, gerahmt von Vorträgen zu allgemeinen Problemen der Demokratieforschung. Der Sozialpsychologe Sebastian Winter und der Politikwissenschaftler Carlos Becker erläuterten anhand ihres Projekts zu den Partnerschaften für Demokratie des Bundesprogramms »Demokratie leben!« Herausforderungen der Sozialraumanalyse. Um weder falsch zu vereinheitlichen, noch auf Vergleichbarkeit zwischen Regionen verzichten zu müssen, schlugen sie die zusätzliche Analyse der Raumkultur vor, also dem »Erleben der ›Atmosphäre‹ in den alltäglichen Lebenswelten«, die einen »Nährboden« für Autoritarismus böten. Die Soziologin Ulrike Marz erläuterte am Folgetag das Potential der Autoritarismusstudien der Kritischen Theorie für die Analyse des Rassismus. Dieser sei eine Rechtfertigungsideologie für gesellschaftliche Ungleichheit, aber ohne eine psychoanalytische Erweiterung der Analyse könne nicht verstanden werden, warum Menschen dafür empfänglich seien. Kritische Theorie sei daher eine Vermittlerin zwischen verschiedenen »theoretischen Vereinseitigungen«.

Die Institutsmitarbeitenden Natalie Gittner, Marius Dilling und Johannes Kies stellten verschiedene Forschungsprojekte etwa zur sächsischen Justiz, zur rechten Mobilisierung auf Telegram oder zu den Unterschieden autoritärer Ausprägungen zwischen Ost und West vor. Während sich etwa im wohlhabenderen Südwesten das autoritäre Syndrom eher in Verschwörungsglaube und Esoterik zeige, seien Unterwürfigkeit und Aggression eher im Osten zu finden.

An die Frage nach der kulturellen Spezifik sozialer Räume schloss auch EFBI-Mitarbeiterin Johanna Niendorf an, die Forschungsergebnisse zur Geschlechterdemokratie im Erzgebirgskreis vorstellte. Dort gingen rechte Raumnahme, antifeministische Agitation und religiöser Fundamentalismus in das Selbstverständnis einer »schönen heilen Welt« ein. Fast schon zu bildlich zeige sich diese »repressive Harmonie«, wie Thorsten Mense den »sächsischen Nationalismus« in einem weiteren Beitrag bezeichnete, am traditionellen Schwibbogen: Das klassische Motiv mit Bergleuten und einer Klöpplerin wurde für einen Wettbewerb des nationalsozialistischen Heimatvereins 1937 entworfen. Holzschnittartige Geschlechterbilder und NS-Geschichte seien somit notwendiger und unterdrückter Anteil jenes Kulturguts, das vor Ort als Symbol der Hoffnung und Zuversicht gelte.

Verdrängung und Abwehr

Solche Mechanismen ließen sich unter dem Begriff der Provinzialität immer wieder ausmachen: die Unterdrückung von Konflikten zur Stabilisierung einer Harmonie, deren Brüche und Widersprüche dann auf »Fremde« von außen oder »Nestbeschmutzer« von innen projiziert werden. In den Diskussionen zeigte sich, dass ein wichtiger Anknüpfungspunkt der Forschung darin liegen könne, die unterdrückten Konflikte aufzuzeigen, herauszuarbeiten und zugänglich zu machen, sodass sie nicht verdrängt werden und in falsche Projektionen einer heilen Welt münden müssten. Zugleich liegt hier ein Problem der Demokratiearbeit, wie etwa Hannah Purucker vom EFBI an anderer Stelle zeigte: Dieser werde allzu schnell selbst als ein Fremdkörper innerhalb der lokalen Gemeinschaft wahrgenommen. Die Leute hätten schnell das Gefühl, ihnen werde »nur gesagt, was alles schiefläuft« und in der entsprechenden Abwehr zeige sich dann selbst wieder die Verdrängung.

Vielleicht deswegen bot der Kongress auch Raum für aktuelle politische Diskussionen, in denen sich Verdrängungsmechanismen beobachten ließen. Der Historiker Sebastian Voigt sprach über gegenwärtigen linken Antisemitismus und Massimo Perinelli, Referent der Rosa-Luxemburg-Stiftung, hielt dessen Ausführungen entgegen, die Linke sei zu marginalisiert, als dass man sich auf ihre Kritik kaprizieren sollte. Er forderte dagegen eine »post-migrantische Solidarität«, ohne jedoch sagen zu können, wie solche Gemeinschaftsforderungen sich davor schützen können, nicht ins Regressive zu kippen.

Nicht zuletzt betreffen Verdrängung und repressive Hoffnung die demokratische – sprich bürgerlich-kapitalistische – Gesellschaft im Ganzen. Es besteht daher ein Zusammenhang zwischen dem Hoffnungsschimmer des Schwibbogens inmitten ökonomischer und politischer Deprivation im Erzgebirge, den Hoffnungen auf eine demokratische Massenbewegung inmitten eines zunehmend autoritären Status quo sowie den Revolutionsfantasien mancher Linker, die dafür wieder Stalin lesen oder sich mit der Hamas solidarisieren. Das EFBI benennt diesen Zusammenhang schon lange als »autoritäre Dynamik«.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.