- Kultur
- Talke Talks
Russian Manicure
Kalter Krieg ist lange her. Amis und Russen verstehen sich mittlerweile ganz gut. Auf eine weirde Art
Früher hieß es, »die Russen kommen«. Jetzt heißt es, »die Russen sind immer noch da«. Seit dem Ende des Kalten Krieges gibt es in den USA nur noch kurze Episoden, in denen man unzufrieden mit den Russen ist: Mal waren es die Spionage-Skandale, mal die Wahlmanipulationen, mal der Ukraine-Krieg. Da die Amis offenbar unter Kurzzeitgedächtnis leiden, sind die russischen Verbrechen und Schulden schnell gestraft und gesühnt. Die Rehabilitation lässt nicht lange auf sich warten ̶ der Wahlbetrug ohnehin Fake News, sonst hätte der beste Präsident ja nicht gewonnen.
Nun feiern die Russkis mal wieder ein Comeback in Amerika. Mit der »Russian Manicure« beispielsweise, einer Gellacktechnik für Fingernägel, bei der mehr maschinell gearbeitet wird als in anderen Nagelsalons, dem neuesten US-Schrei. Nicht zu verwechseln mit dem #Aufschrei. Und da ist es ganz gleich, ob dir eine vorm Russland-Krieg geflohene Ukrainerin, eine von Putins Regierung im Konflikt von Bergkarabach im Stich gelassene Armenierin oder ̶ in meinem Fall ̶ eine sich aufgrund von Propaganda für ihre Muttersprache schämende Baschkirin die Maniküre macht. Es gilt weiterhin alles als Russian, was sich Russian nennt. Und ganz egal, ob ich, gebürtige Russian, mich für meine Heimat schäme: Diese Maniküre mache ich bis zum letzten Arthritis-Stadium. In Deutschland ist sie übrigens ebenfalls möglich. Sie müssen nur nach einer Nageldesignerin suchen, deren Name slawisch, kaukasisch, armenisch, tatarisch, kasachisch oder usbekisch klingt.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Nach einer kurzen VPN-Problemphase haben russische Influencer die Sozialen Netzwerke der USA zurückerobert. Kinderinfluencer regieren den Youtube-Kids-Kanal, wo sie debile und unnötig sexualisierte Sketche vorführen. Auch kriegen sie in ihren Clips kaum den Mund auf, das grottige Englisch wird wohl in der Postproduction von ihren hirnlosen Eltern mit Piepsstimme draufgesprochen.
Erwachseneninfluencer glorifizieren dagegen russische Supermärkte (Tucker Carlson hat gut vorgelegt, wenngleich er in seiner intelligenzgeminderten Russland-Reportage in einen französischen Supermarkt ging) und auf Instagram herrschen alle möglichen russischen Tiere: Von süßen kleinen Pomeranians (folgen Sie meinem!) bis hin zum Bärensuperstar Tom, der für Fotoshootings im Wald buchbar ist.
Wieso sind die Amis den Russen gegenüber so gnädig? Vergeben sie den Nationen eher, deren Kultur sie spannend finden? Denn das tut die leninliebende Gen-Z-Generation gerade sehr. Tiktok ist voll mit russischer Musik; das sowjetische Lied »Dark is the Night« interpretieren viele junge Amis fälschlicherweise als »Dostojewski-Core« und posten pseudointellektuelle Emo-Sprüche dazu. Alla Pugatschowas »Million roz«, das auch meine Tochter aufgeschnappt hat und in grottigem Russisch mitsingt, trendet. Ich habe mit Pugatschowa kein Problem. Sie hat aus Kriegsprotest ihr Heimatland verlassen; nach Israel zwar, das nun gecancelt ist, aber immerhin mit ihrem homosexuellen und 28 Jahre jüngeren Comedian-Ehemann.
Sie müssen wissen: Russland ist dermaßen homophob, dass es lieber im Glauben lebt, dass Alla, mittlerweile eine Mittsiebziger-Oma, mit ihrem Babygatten aufgrund von Kinderwunsch und heterosexueller Liebe per Leihmutter Zwillinge bekam, anstatt sich die Wahrheit über diese Liaison einzugestehen. Zumal Pugatschowa zuvor schon mit einem geschminkten, Absätze und Leder tragenden Barden vermählt war. In den USA werden solche Heldinnen, die in homophoben Gesellschaften schwulen Männern durch eine Ehe mit ihnen die Karriere retten als »beard" (Bart) bezeichnet.
Die russische Influencerei derweil wirkt so stark, dass konservative amerikanische Familien nun nach Russland auswandern. In den Moskauer Vororten heißt es fortan: »Die Amis Kommen«! Die Putinregierung versprach gar, ein Migrantendorf für Nordamerikaner zu bauen. Hoffentlich bringen alle ihre Bärte mit, für die Maniküre ist gesorgt.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.