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Dating nicht so einfach, das gilt für alle Altersgruppen
Howdy aus Texas, liebe Leser*innen,
falls Sie sich wundern, weshalb Ihnen heute nicht mein Kollege Alexander Estis schreibt – er klagte über zu viele Deadlines diese Woche und bat mich, an seiner statt zu talken. Oder ist er auf einem Date? Darum ging es nämlich in unserem letzten Gespräch – er wollte wissen, was mein Mann und ich zum Valentinstag vorhätten. Das obligatorische Dinner Date, sagte ich, aber zuvor Valentinstag feiern an der Schule unserer Tochter. Ich überlegte, wie ich ihm den Wahnsinn mit den Valentinstagskarten und -boxen, den Süßigkeiten und Geschenken, den Blumen für die Lehrerinnen und dem Pink-Tragen am besten erklären sollte. »Es ist wie der 8. März in Russland«, fiel mir ein, denn die Kindheit in Russland (und deren Traumata) teile ich mit dem Ezzes-Estis.
Obwohl meine Tochter in der ersten Klasse ist, bahnt sich dort bereits das Dating an, die Kinder haben »Crushes«. Sie hat mehrere kleine Verehrer, mag aber einen älteren Jungen, der ihr in der »Drop-off-Lane« die Tür öffnet – okay, das muss ich erklären: An amerikanischen Schulen werden die Kinder mit dem Pkw an den Eingang gefahren und dort wieder abgeholt; dafür formen die Eltern eine Autoschlange, die »Drop-off« beziehungsweise »Pick-up« heißt. Beim Drop-off öffnen ältere Schüler den jüngeren die Autotüren, beim Pick-up brüllen Lehrerinnen per Lautsprecher den Namen des Kindes, das abgeholt wird (der Name klebt an der Windschutzscheibe, um Entführungen vorzubeugen). Wer sich nicht in der nach Benzin stinkenden Kolonne anstellen, den Wagen etwas weiter weg parken und eine Minute laufen will (die einzige Minute Bewegung im motorisierten texanischen Alltag), kann das zwar tun, muss dann aber seinen Truck die ganze Zeit laufen lassen, um den Umweltverschmutzungskreislauf der Hinbring-und-Abhol-Lane aufrechtzuerhalten. Während Sie sich in Deutschland über sogenannte Elterntaxis beschweren, wird hier eine ganze Elternkorso-Industrie betrieben.
News aus Fernwest: Jana Talke lebt in Texas und schreibt über amerikanische und amerikanisierte Lebensart.
Aber zurück zum Jungen, der Türen öffnet. »Er ist so stark«, schwärmt meine Tochter. »Wie archaisch«, denke ich. Dabei konnte ich das Konzept der klassischen Rollenverteilung, das mir durch meine russische Erziehung eingebläut wurde, niemals abschütteln. Unvergessen der eine Kerl vor 12 Jahren, der beim Dinner Date getrennte Rechnungen verlangte, oder der vor 15 Jahren, der mich danach nicht nach Hause brachte. Ein anderer stieg zwar mit mir in die Bahn, mit der Absicht, mich nach Hause zu bringen, scheiterte aber am Vollzug des Vorhabens, als er ebendort einschlief. Als mein jetziger Mann mir damals, als wir uns kaum kannten, eine Rom-Reise schenkte, war mir klar, dass ich seinen zukünftigen Eheantrag bejahen würde. Und nun wundere ich mich, dass sich bei meiner Tochter, die im Jahr 2025 in Texas aufwächst, konservative Züge bemerkbar machen?
Der Genderkonservatismus, der ohnehin nie weg war, boomt jetzt regelrecht: Ob auf Fotos von Teenager-Söhnen meiner Bekannten bei Facebook, die mit dem gerade erschossenen Hirsch posieren, ob in Form von einer Station mit Hunderten von Buggys beim Rodeo, oder durch die Tatsache, dass ich hier nur eine einzige alleinerziehende Mutter kenne. Dass ich in Texas jahrelang »nur« Hausfrau war, fanden alle Amerikaner um mich herum entweder normal oder gar toll. Die Einzigen, die diese Entscheidung kritisierten, waren junge deutsche männliche Kollegen meines Mannes. Wie wir wissen, die klügste, erfahrenste und mitfühlendste aller Menschengruppen.
In Deutschland herrscht das Kontrastprogramm zu meinem Texas-Leben: Eine in Berlin wohnende ledige Freundin berichtet nonchalant von Clubs mit etwas Leder oder gleich nichts tragenden Menschen, Gratismedizin und Kerlen, die sich mit 38 noch nicht bereit für eine Familie fühlen, sie aber tendenziell nicht ausschließen. Eine konservativere Freundin in einer Langzeitbeziehung, die natürlich weniger verdient als der Partner, beschwert sich über ungerecht verteilte Aufgaben und Finanzen. Solange die Typen mit sich rumhadern, sollten sie zumindest unsere Rechnungen begleichen und uns dankbar sein! Das Patriarchat ist ja nicht nur nicht weg – wie es gerade politisch aussieht, wird es nur noch zunehmen. Und für die Männer, die sich nach dieser Lektüre ärgern: Nächste Woche ist wieder Ihr Alpha-Alex dran!
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