Parteispaltung ganz in Familie

Die Linke brachte Ina und Lutz Richter zusammen. Heute ist er im BSW. Hält die private Beziehung, wenn die politische zerbricht?

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 6 Min.
Da wollen sie beide rein: Lutz und Ina Richter vor dem Pirnaer Rathaus, in dem auch der Stadtrat tagt. Dass sie gegeneinander kandidieren, hat ihr Verhältnis nicht getrübt.
Da wollen sie beide rein: Lutz und Ina Richter vor dem Pirnaer Rathaus, in dem auch der Stadtrat tagt. Dass sie gegeneinander kandidieren, hat ihr Verhältnis nicht getrübt.

Als sich am Ende des Gesprächs die Frage nach dem Foto der Protagonisten stellt, erwägen Ina und Lutz Richter, häusliches Drama zu inszenieren. »Wir stellen uns Rücken an Rücken«, sagt sie. »Wir reißen ein Foto in der Mitte durch«, sagt er. Beide lachen. Sie sei in letzter Zeit von mitfühlenden Bekannten oft gefragt worden, wie es ihr gehe, sagt Ina. »Gut«, antwortete sie: »Warum auch nicht?!«

Darum: Ina und Lutz Richter haben eine Scheidung hinter sich. Allerdings ist nicht ihre familiäre Beziehung zu Ende gegangen, sondern ihre politische. Rund zwei Jahrzehnte lang waren sie nicht nur ein Paar, sondern auch Genossen. Dann gründete Sahra Wagenknecht eine eigene Partei, das BSW, und Lutz Richter entschloss sich, ihr zu folgen. Im Landesverband Sachsen wurde er seither sogar Vizechef. An diesem Sonntag bewirbt er sich für das BSW um Mandate in der Kommunalpolitik – wie auch seine Frau für Die Linke. Für den Kreistag kandidieren sie immerhin in zwei unterschiedlichen Wahlbezirken. Für den Stadtrat treten die Eheleute direkt gegeneinander an.

Wahljahr Ost

Das Wahljahr 2024 ist kein beliebiges. Schon lange nicht mehr war die Zukunft der Linken so ungewiss, noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik waren die politische Landschaft und die Wählerschaft so polarisiert, noch nie seit der NS-Zeit war eine rechtsextreme, in Teilen faschistische Partei so nah an der Macht. Wir schauen speziell auf Entwicklungen und Entscheidungen im Osten, die für ganz Deutschland von Bedeutung sind. Alle Texte unter dasnd.de/wahljahrost.

Die Linke hat sie einst zusammengebracht. Ina ist schon viele Jahre bei den eher SPD-nahen Naturfreunden und hatte für jene Partei auch einmal für den Stadtrat kandidiert. »Du warst also auch mal bei einer sozialkonservativen Partei«, stichelt er. Später lernte sie durch eine in der Linken aktive gemeinsame Freundin Lutz kennen. Er war über sein antifaschistisches Engagement zur Partei gekommen. Ein linksalternativer Jugendclub, den er oft besuchte, sei permanent von den Skinheads Sächsische Schweiz attackiert worden, einer 2001 verbotenen Neonazi-Kameradschaft. Im Büro des heutigen Bundestagsabgeordneten André Hahn gab es Rückhalt – und von den Genossen umgehend auch Aufgaben. 1999 wurde er in den Kreistag geschickt, 2004 Kreisgeschäftsführer. In dem Amt »beerbte« ihn 2011 seine Frau, als er Chef des Kreisverbands wurde.

Jahrelang waren beide, wie sie sagen, »das Team« in der Linken in Pirna. Dass der Kreisverband heute finanziell besser dastehe als andere in Sachsen und organisatorisch gut aufgestellt sei, verdanke sich auch dem eingespielten Duo an der Spitze, ist Lutz überzeugt: »Wir konnten vieles auf dem kurzen Dienstweg klären.« Ina fügt an: »Man hat uns als Einheit wahrgenommen.«

Mit dem Team ist es vorbei: Im Herbst 2023 gaben beide ihre Ämter ab. Später ging auch die politische Einheit in die Brüche. Dabei sind sich Ina und Lutz Richter auch in mancher Kritik an der Linken einig; nur die Konsequenzen, die sie ziehen, sind unterschiedlich. Die Entscheidung der Parteispitze beispielsweise, den »Aufstand für den Frieden« von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer im Februar 2023 nicht zu unterstützen, hielten beide für falsch. Als im Kreisvorstand debattiert wurde, ob man trotzdem Busse für die Fahrt zu der Kundgebung am Brandenburger Tor organisieren solle, gehörten sie zu denjenigen, die dafür waren. Dass sie selbst nicht mit nach Berlin fuhren, lag nur daran, dass ihr Sohn an dem Tag Geburtstag feierte.

Die Friedensfrage, sagt Ina Richter, sei neben dem Sozialen einst »das entscheidende Thema« gewesen, das sie zum Eintritt in die Linke bewogen habe. Im Schaufenster des Pirnaer Linke-Büros hängt auch jetzt ein Transparent mit dem Slogan »Waffen schaffen keinen Frieden«. »Ich achte sehr darauf, dass es dort bleibt«, sagt sie. Allerdings spreche die Partei in der Frage »nicht mehr mit einer Stimme«, sagt ihr Mann. Menschen nähmen das wahr. Wenn Die Linke zuletzt Infostände zum Thema gemacht habe, seien viele vorbeigelaufen, sagt Lutz. Wenn das BSW auf der Straße das Thema anspreche, »herrscht Andrang«.

Die Entfremdung von seiner Partei begann allerdings nicht erst vor anderthalb Jahren. Die Linke habe es nicht geschafft, ihren Platz und ihre Rolle in einer politischen Konstellation zu finden, die sich spätestens seit 2015 dramatisch verändert habe, sagt er. In den 1990er Jahren habe die PDS als »Retterin der ostdeutschen Biografien« ihre Daseinsberechtigung gefunden und sei als eine Art »bewahrende Kraft« die Gegenspielerin der CDU geworden, die für den Übergang in Kapitalismus und Marktwirtschaft und damit für Veränderung stand. Inzwischen würden die politischen Gegenpole von Grünen und AfD repräsentiert; dagegen habe Die Linke in den Jahren von Flüchtlings-, Corona- und Ukraine-Krise ihre gesellschaftliche Rolle zusehends verloren, »und sie hat sich auch nicht bemüht, Gründe zu analysieren und Alternativen zu entwickeln«, sagt er.

Zwar suchte man mit Kampagnen dem sinkenden Zuspruch vor allem im ländlichen Raum entgegenzutreten: »Aber das war oft unausgegoren und löste unsere Probleme nicht«, sagt Lutz Richter. Er selbst hatte sich seit 2014 gemeinsam mit anderen Kritikern im sächsischen Liebknecht-Kreis engagiert. In jenem Jahr zog er auch in den Landtag ein. Damals brachte es die Partei in Sachsen auf 18,9 Prozent und 27 Sitze. Fünf Jahre später stürzte sie auf 10,4 Prozent ab. Sein Listenplatz 16 reichte nicht mehr für ein Mandat. Ein Vierteljahr vor der Landtagswahl am 1. September diesen Jahres rangiert die Die Linke in Sachsen nur noch knapp oberhalb der Fünf-Prozent-Hürde. Lutz Richter dagegen wäre als Fünftplatzierter der BSW-Kandidatenliste sicher im Parlament, wenn die teils zweistelligen Umfragewerte seiner neuen Partei zutreffen.

Ina Richter hat nie erwogen, ihm dorthin zu folgen. Auf die Frage nach Gründen verweist sie vor allem auf »die Leute vor Ort, die ich liebgewonnen habe«. Außerdem wolle sie »nicht aufgeben« – bei aller Kritik an der Parteispitze im Bund. Dass man es dort nicht geschafft habe, einen Ausweg aus der seit Jahren schwelenden Krise und eine Linie zu finden, die »Sahra und Janine« mittragen könnten, »haben wir hier an der Basis nie verstanden«, sagt sie. Allerdings seien »Bund und Land nicht meine Baustelle«, fügt sie an: »Ich will Kommunalpolitik machen.« Manchmal ärgert es sie zwar, dass sie wegen der personellen Querelen und ungeklärter programmatischer Fragen »doppelt so viel um Menschen und Stimmen kämpfen« müsse wie früher. Aber aufgeben will sie ihr Engagement in Pirna dennoch nicht. Bisher stellt Die Linke drei Stadträte im 26-köpfigen Stadtrat. Sie hofft, nach dem Wahlsonntag einer ebenso großen Fraktion anzugehören.

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Lutz Richter dagegen hat nach 25 Jahren Mitgliedschaft den Schlussstrich gezogen, auch wenn er in der Linken »eine große Familie zurückgelassen« habe, wie er sagt. Seine eigene Familie hat die Parteispaltung indes intakt überstanden. Für Streit am Küchentisch sorgt auch nicht, dass er sich jetzt in einer Partei engagiert, in deren Landeswahlprogramm unter anderem einer »unkontrollierten Migration« der Kampf angesagt wird. Manche Aussagen des BSW, räumt er ein, würde man zunächst nicht mit einem Politiker wie ihm in Verbindung bringen, der »eher aus der Willkommenskultur stammt«. Allerdings schüre seine Partei im Gegensatz zur AfD keine Ressentiments gegen Zuwanderer, wie er betont: »Bei uns spricht keiner von Kopftuchmädchen und Messermännern.« Im Übrigen fordere man bei Zuwanderung und Integration, »was SPD und Grüne schon praktizieren«. Ina Richter sagt auf Nachfrage, sie kenne die Programmatik des BSW bisher nicht im Detail. »Ich habe das noch gar nicht lesen können«, sagt sie. Ihr Mann verweist auf Wahlkampf, Arbeit und die Organisation des Alltags einer vierköpfigen Familie und merkt amüsiert an: »Ich kenne euer Wahlprogramm auch nicht.«

Auf dem Heimweg passieren Ina und Lutz Richter die Pirnaer Geschäftsstelle der Linken. Seine Mitstreiter haben es sich nicht verkneifen können, genau gegenüber ein BSW-Plakat mit dem Konterfei von Sahra Wagenknecht aufzuhängen, darauf der Slogan: »Abstieg oder Aufbruch«. Am Sonntagabend wird klar sein, was davon auf ihrer beider bisherige Partei zutrifft und was auf seine neue. Für ihre Familie gilt: BSWB – Bleibt so wie bisher.

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