Kohle in Kolumbien: Zwischen Bangen und Hoffen

Die größte Kohlemine Lateinamerikas auf der kolumbianischen Halbinsel La Guajira steht der geplanten energiepolitischen Wende entgegen

  • Knut Henkel
  • Lesedauer: 9 Min.
Mit dieser Baggerschaufel wurde in der Mine Cerrejón Steinkohle gefördert.
Mit dieser Baggerschaufel wurde in der Mine Cerrejón Steinkohle gefördert.

Luz Ángela Uriana lehnt an dem Zaun, der ihren kleinen Garten einfasst. Gemeinsam mit vier, fünf anderen Frauen aus dem Dorf Provincial hat sie ihn angelegt. »Wir hoffen, dass die Heilpflanzen angehen werden«, sagt die kräftige Wayúu-Frau, die direkt gegenüber der Mine Cerrejón lebt. Nur wenige Hundert Meter von ihrem Garten entfernt türmen sich die riesigen Abraumhalden der größten Kohlemine Lateinamerikas auf.

Jeden Tag werden 25 Millionen Liter Wasser nur für die Besprengung der gigantischen Abraumhalden verwandt, ärgert sich Uriana, Mutter von acht Kindern. Wasser ist knapp in La Guajira, einer staubigen Steppenlandschaft ganz im Osten Kolumbiens, an der Grenze zu Venezuela.

Die oft ziegelroten, mit dornigem Gestrüpp bedeckten Böden und die wenigen genügsamen Bäume geben wenig her. Die Region zählt zu den ärmsten Kolumbiens. Die hier lebenden Wayúu rangieren ganz unten in der sozialen Hierarchie des Landes. Durch viele ihrer Dörfer ziehen sich tiefe Gräben, so auch in dem an einer Schotterpiste gelegenen Provincial. »Wir sind gespalten in eine Fraktion, die zur Mine hält, auf Jobs hofft, und in eine Gruppe, die die Umweltschäden anprangert«, bringt Uriana den Konflikt auf den Punkt. Sie gehört zu denjenigen, die immer wieder – teils erfolgreich – geklagt haben: gegen die Kontaminierung durch den feinen Kohlenstaub. Der prägt die Region um Barrancas, einer Stadt mit rund 25 000 Einwohner*innen, die von der Kohle lebt und von der es nur ein paar Kilometer sind bis zu dieser größten Steinkohlemine Lateinamerikas. Zu der bekommen Journalist*innen nur ausnahmsweise Zugang. Unsere Anfrage nach Besuchserlaubnis und Interview blieb unbeantwortet. Nicht ganz untypisch für den Schweizer Konzern, der als zugeknöpft gegenüber Medien gilt, aber kräftig in das eigene Image investiert.

Luz Angela Uriana und ihre Tochter Mildred Guette Uriana kritisieren die Cerrejón-Mine, die gegenüber ihres Dorfs liegt.
Luz Angela Uriana und ihre Tochter Mildred Guette Uriana kritisieren die Cerrejón-Mine, die gegenüber ihres Dorfs liegt.

In und um Barrancas gibt sich der Schweizer Megakonzern mit 256 Milliarden US-Dollar Umsatz im Jahr 2022 als verantwortungsbewusstes Bergbauunternehmen. »Minería responsable« steht auf den gigantischen Kippladern am Eingang der Mine, auf den riesigen Schaufeln der Bagger, die auf einer Verkehrsinsel vor der Mine ausgestellt sind und auf so ziemlich jedem Fahrzeug des Konzerns, der in und um Barrancas überaus präsent ist. Rund zehntausend Bergarbeiter arbeiten in der sich über 69 000 Hektar erstreckenden gigantischen Mine, wo die Steinkohle im offenen Tagebau gefördert und aus der riesigen Grube herausgesprengt wird. Die Explosionen sind auch im gegenüberliegenden Provincial zu spüren, wo der Untergrund oft bebt.

Die Kohle geht in alle Welt, auch nach Deutschland, wo Energieunternehmen wie EnBW, Uniper, RWE und Steag sie importieren und verstromen. Die schwarzen, schimmernden Kohlebrocken werden über den Hafen von Puerto Bolívar ganz im Norden exportiert. Zu dem Hafen führt ein gigantischer Bahndamm, der die Halbinsel de facto zweiteilt. Dagegen haben die lokalen Gemeinden immer wieder erfolglos protestiert, weil der Zug nicht nur den Kohlenstaub verteilt, sondern auch die Ländereien der Wayúu-Gemeinden teilt.

Vergiftete Umwelt, vergiftete Menschen

Von den negativen Folgen der Förderung ist in den Hochglanz-Prospekten der Mine in aller Regel nicht die Rede. »Auch nicht von der anstehenden Renaturierung nach dem Ende der Förderung in gut zehn Jahren«, so Luz Ángela Uriana. »Ist das verantwortungsbewusst?«, fragt die 38-jährige Mutter und rollt mit den Augen. Dann deutet sie auf die Halden und auf ihr Haus. »In jeder Fuge steckt der feine Kohlenstaub, der meinem Jungen die Lungen verklebt. Er hat schwarze Flecken auf beiden Lungenflügeln – ich habe seine Behandlungskosten eingeklagt«, erzählt Uriana. Sie hat gelernt, ihre Interessen und die ihrer Familie zu verteidigen und gehört zu einer Gruppe von Frauen, die sich in Provincial engagieren, von der Mine Maßnahmen verlangen, um die negativen Folgen der Bergbautätigkeit in der Region zu mildern.

Die Folgen sind gravierend. Nicht nur der für Lungen-, Bronchial- und Hauterkrankungen sorgende feine Kohlenstaub ist ein Problem, sondern auch die Tatsache, dass Flüsse wie der nur einen Steinwurf von Provincial entlangmäandernde Río Ranchería kontaminiert sind. 900 Liter Trinkwasser alle 14 Tage erhält Uriana mit ihren acht Kindern, und gerade hat sie einen Tank gekauft, um weitere 1000 Liter zu deponieren. Das Trinkwasser, welches die Mine Cerrejón liefert, reicht hinten und vorne nicht aus. »Wir können es uns finanziell kaum leisten, zusätzlich nötiges Trinkwasser zu kaufen.« Insgesamt entstehen Ausgaben, die früher nicht nötig gewesen wären, denn da lieferte der Fluss das nötige Wasser. Das ist nun vorbei, genauso wie der Pflanzenanbau im Umkreis der Mine, denn unter dem feinen Kohlefilm wächst kaum mehr etwas.

Die Gemeinde Chancleta liegt in direkter Nachbarschaft der Mine und nur ein paar Kilometer von Provincial entfernt. Sie gehört zu jenen Dörfern, die umgesiedelt wurden. Die Gemeinde ging davon aus, dass die mit den Minenbetreibern ausgehandelten Verträge erfüllt werden. »Doch das ist nicht der Fall«, klagt Greylis Pinto. »Wir leben jetzt weit weg von unserer Heimat, wo wir alles hatten, vor allem Nahrungsmittelsicherheit. Jetzt haben wir gar nichts: kein Wasser, zu wenig Nahrung, keine Gesundheit und keine Jobs«, so Pinto. Sie ist die Sprecherin der durch Cerrejón umgesiedelten afrokolumbianischen Gemeinde Nuevo Chancleta. Den Menschen wurde fruchtbares Land versprochen, ausreichend Wasser, und nun leben sie in äußerlich zwar schmucken, aber alles andere als soliden Häusern am Stadtrand von Barrancas. Tiefe Risse sind auf der Wand im Wohnzimmer von Frau Pinto zu sehen, vor der Haustür sind die Fliesen entfernt worden – Baumängel. Die ziehen sich durch die ganze Siedlung, berichtet die Mutter zweier Kinder. Sie ist Sozialarbeiterin in der Region Barrancas und fühlt sich wie andere auch über den Tisch gezogen. »Sie haben unsere Bäche ausgetrocknet, unsere Ländereien weggenommen, unsere Rechte verletzt«, ärgert sich Pinto. Sie führt eine kleine Gruppe von Aktivist*innen aus Chancleta an. Auch hier zieht sich ein Riss durch die Gemeinde. Die einen, die es mit der Mine halten, die anderen, die sich die Frage stellen, was nach ihr kommt. Zu Letzteren gehören Pinto und Uriana. Wird der Megakonzern renaturieren, wird die Bevölkerung entschädigt, wie es die Kritiker*innen verlangen?

»Wir befürchten, dass Glencore einfach abziehen und die Region sich selbst überlassen wird. Das ist schon einmal passiert, im benachbarten Verwaltungsbezirk Cesar«, argumentieren Uriana und Pinto. Ihre Einschätzung teilen Umweltorganisationen wie Censat Agua Vida oder die Menschenrechtsorganisation CINEP. Ob das die Verträge und progressiven Gesetze wie das deutsche oder das gerade verabschiedete europäische Lieferkettengesetz verhindern, steht genauso in den Sternen wie die Frage, ob die kolumbianische Regierung bis dahin die neue energetische Matrix auf den Weg gebracht hat.

Vom Armenhaus zum Symbol der energetischen Wende?

Die Regierung setzt auf regenerative Energien – und auf der Halbinsel La Guajira vor allem auf Wind. Im Süden liegt die Kohlemine, im Norden sollen mehrere Dutzend Windparks entstehen. Einige davon offshore auf See, einige direkt an der Küste und weitere in der Region von Uribia, der inoffiziellen Hauptstadt der Wayúu. Das Windpotenzial dort ist immens, so die Experten. Die Windgeschwindigkeiten liegen doppelt so hoch wie der globale Durchschnitt, die Sonneneinstrahlung liegt 60 Prozent über dem nationalen Schnitt. Allerdings hakt es bei der Bewilligung der sozialen Lizenzen und der Umweltgutachten durch die lokalen Behörden.

Erst Mitte Februar hat das kolumbianische Windkraftunternehmen Celsia seinen Rückzug angekündigt. Es hatte mehr als fünf Jahre erfolglos auf ein Umweltgutachten gewartet, berichten lokale Medien. Das hat unterschiedliche Gründe, aber ein wesentlicher ist, so die ehemalige Energieministerin Irene Vélez, dass die lokalen Gemeinden nicht oder zu wenig an den Erträgen beteiligt werden sollten und dass es an Regelungen und Strukturen fehlt, um sie effektiv in Entscheidungsprozesse einzubinden. Diese Defizite machen sich negativ bemerkbar: Der Bau von über 80 Prozent der vorgesehenen Windparks – je nach Quelle zwischen 45 und 57 Projekte mit einem Potenzial von über 8000 Megawatt – hinkt hinter den Planungen hinterher. Ein zentraler Grund ist das Fehlen eines verbindlichen Gesetzes, wie die indigenen Wayúu-Gemeinden informiert und um ihre Zustimmung gebeten werden sollen. Die sogenannte Consulta Previa, die vorherige Konsultierung und Zustimmung, schreibt die ILO-Konvention 169 zum Schutz indigener Völker vor. Das wissen mittlerweile auch viele der Repräsentanten der Wayúu, die bei der Genehmigung der Kohlemine Cerrejón schnöde übergangen wurden.

Genau das soll sich bei der Neudefinition der energetischen Matrix des Landes nicht wiederholen, so Luz Ángela Uriana. »Wir wollen gefragt, beteiligt und gehört werden«, erklärt sie. Das ist ein Grundsatz, auf den auch die ehemalige Energieministerin Irene Vélez mehrfach hingewiesen hat und der von Umweltorganisationen wie Censat Agua Viva immer wieder ins Feld geführt wird: Isabel Preciado, Energie- und Klimaexpertin der Organisation, mahnt, dass Regierung und Windenergie-Gesellschaften den territorialen Kontext und die komplexen Strukturen innerhalb der Wayúu-Gemeinden zu wenig berücksichtigen.

Das scheint der kolumbianischen Regierung bewusst zu sein. Schließlich war Präsident Gustavo Petro in den vergangenen Monaten mehrfach vor Ort, hat sogar eine Kabinettssitzung in der Region abgehalten. Petro hat vermittelt und dabei anerkannt, dass sowohl Wayúu- als auch mehrere afrokolumbianische Gemeinden übergangen und benachteiligt wurden sowie unter der Kohleförderung zu leiden hätten. Das war ein Novum für einen kolumbianischen Präsidenten. In Gemeinden wie Provincial oder Chancleta ist das genauso gut angekommen wie die Tatsache, dass Petro für bessere staatliche Versorgungsleistungen eingetreten ist – unter anderem für die oft in bitterer Armut lebenden Wayúu. Doch immer wieder gibt es Proteste gegen Windparks, weil sich die Gemeinden vor Ort bei der Projektplanung nicht gehört fühlen. Manchmal stehen die kleinen Hütten der Menschen, die Rancherías, in direkter Nähe von Windrädern, haben aber keinen Stromanschluss. So entsteht oft der Eindruck, die Energiewende komme der lokalen Bevölkerung nicht zugute. Ein Problem, das eng verknüpft ist mit den negativen Erfahrungen, die viele Gemeinden mit der Kohleförderung gemacht haben, meint Uriana.

Dem progressiven Präsidenten steht außerdem eine ineffektive und für Korruption bekannte Regionalregierung gegenüber. Hinzu kommt die Mine Cerrejón, die sich nicht scheut, alle juristischen Hebel in Bewegung zu setzen, um nicht nachbessern zu müssen. Dazu zählen auch Klagen vor internationalen Schiedsgerichten, die die Regierung zusätzlich unter Druck setzen.

Für Aktivist*innen wie Luz Ángela Uriana und Greylis Pinto ein negatives Szenario, obwohl sie den Windparks und der Regierungspolitik positiv gegenüberstehen. »Wir brauchen lokale Strukturen, in die wir besser eingebunden sind, in denen verbindliche Abläufe definiert sind.« Doch dabei tut sich die Regierung von Gustavo Petro schwer, denn sie verfügt über keine parlamentarische Mehrheit und steht unter enormem Erwartungsdruck. Nicht nur in der Guajira.

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