Suizidkommando der Sozis

Christoph Ruf über die Verluste der SPD bei den Europawahlen

So eine Europawahl ist in vielerlei eine erstaunliche Angelegenheit. Schließlich dürfte die Quote derer, die einigermaßen richtig darüber referieren könnten, welche Kompetenzen das von ihnen gewählte Europaparlament überhaupt hat, gering sein. In etwa so gering wie die Kompetenzen des Europaparlaments nämlich, vermute ich. Da war es dann nur konsequent, dass direkt nach der Wahl kaum ein aus Berlin zugeschalteter Politiker noch von dem Europa redete, das in den Wochen zuvor mit so viel Pathos beschworen wurde. Bis ich mich ausgeklinkt habe, nach etwa 25 Minuten also, hatte keine Journalistin und kein Politiker auch nur ein einziges Mal eine Frage in Bezug auf Brüssel oder Strasbourg gestellt. Es ging einzig und allein um die bundespolitischen Auswirkungen der Wahl.

Man kam aus dem Staunen nicht mehr heraus – vor allem nicht bei den Reaktionen aus dem Willy-Brandt-Haus. Die SPD hatte es im Wahlkampf geschafft, ihre Spitzenkandidatin Katarina Barley konsequent in irgendeiner Besenkammer zu verstecken und stattdessen auf – echt jetzt – Olaf Scholz als Zugpferd gesetzt. Das war inhaltlich absurd, weil Scholz in den vergangenen beiden Jahren (und in den Jahrzehnten zuvor, in denen er sich wundersamerweise meist in der Regierung befand) nicht ein einziges Mal durch europapolitische Vorschläge aufgefallen ist, die diskussionswürdig gewesen wären.

Konsequent fällt er hingegen dadurch auf, dass er die deutsch-französische Freundschaft aufs Spiel setzt. Nicht nur, indem er Emmanuel Macrons Vorschläge, die im Kern auf mehr Europa und weniger US-Hörigkeit hinauslaufen, weggrinst. Dazu darf Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) noch ein paar Goethe-Institute schließen – selbst Helmut Kohl, dessen Kanzlerschaft mich nachhaltig traumatisiert hat, hätte da interveniert. Keine Frage, die miserablen Ergebnisse von SPD und Grünen sind eher noch zu gut ausgefallen.

Christoph Ruf

Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.

Auf Scholz zu setzen, war allerdings auch machtpolitisch absurd. Der Mann ist zu Recht einer der unbeliebtesten Politiker des Landes. Die Zufriedenheitswerte mit der von ihm (jetzt alle mal lachen!) geführten Bundesregierung sind kaum noch zu messen. Selbst in der Sozialpolitik, der historischen SPD-Domäne schlechthin, attestiert der Partei nur noch eine Minderheit von 39 Prozent, sie bemühe sich »am meisten« um soziale Gerechtigkeit. Für all das müsste es eigentlich Gründe geben, und die Demoskopie ist an denen auch interessiert. Offenbar allerdings nur die.

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Denn wer dachte, dass eine Partei, die vor gar nicht allzu langer Zeit noch 35 Prozent als Schmach empfand, unruhig werden könnte, wenn sie in manchen Wahlkreisen von Splitterparteien überholt wird, sieht sich getäuscht. Deutet man die Signale richtig, will das sozialdemokratische Suizidkommando allen Ernstes mit der personifizierten Null-Lösung im Kanzleramt weitermachen und mit ihm auch in den nächsten Bundestagswahlkampf ziehen. Aus schierem Wahnsinn? Oder aus Resignation, weil man insgeheim selbst merkt, dass man nach Jahrzehnten des Regierens um jeden Preis am Ende ist? Im Vergleich zur SPD verhalten sich jedenfalls selbst Lemminge einigermaßen vernünftig.

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