- Politik
- Beschäftigte im Gesundheitswesen
Streik in Schweden: Weniger arbeiten für mehr Jobs
Mit einem landesweiten Streik wollen Beschäftigte in Schwedens Gesundheitswesen bessere Arbeitsbedingungen durchsetzen
Lange aufgestaute Unzufriedenheit bricht sich Bahn: Nach 16 Jahren Pause erlebt das Gesundheitswesen in Schweden seit einer Woche wieder einen großen Streik. Nach erfolglosen Verhandlungen mit dem Verbund der Kommunen und Regionen (SKR) weitete Vårdförbundet, die Gewerkschaft der Pflegekräfte, am Dienstag die Arbeitsniederlegungen auf die mittelschwedische Region Värmland aus. Bereits bestreikt werden mehrere Krankenhäuser in der Hauptstadt Stockholm und in anderen Regionen. Damit beteiligen sich mittlerweile etwa 3500 Beschäftigte in 60 Gesundheitseinrichtungen. Und bereits seit dem 25. April verweigern landesweit Zehntausende Vårdförbundet-Mitglieder das Ableisten von Überstunden.
Mit ihrem Arbeitskampf unterstützen die Streikenden die zentrale Forderung ihrer Gewerkschaft nach einer Verkürzung der täglichen Arbeitszeit um 15 Minuten. Die Verhandlungsdelegation der Gegenseite zeigt sich bisher nicht kompromissbereit und verweist auf den bereits bestehenden Mangel an Fachkräften, um alle Patienten ausreichend zu versorgen. Die Vertreter der öffentlichen Hand kritisieren die aus ihrer Sicht unnötigen Folgen des Streiks als angebliche Gefahr für die Gesellschaft. Gewerkschaftschefin Sineva Ribeiro hingegen sieht die Politik in der Pflicht, die Bedingungen für eine ausreichende Gesundheitsversorgung und Pflege zu schaffen. Die OP-Schwester steht seit 2011 an der Spitze von Vårdförbundet.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Schwedens Gewerkschaft für das Gesundheitspersonal entstand 1976 durch den Zusammenschluss der Verbände von vier Berufsgruppen. Landesweit zählt er rund 114 000 Mitglieder. Bei den Gesundheitsfachkräften mit der im Schwedischen generisch gebrauchten Berufsbezeichnung Krankenschwester sind vier von fünf gewerkschaftlich organisiert, wobei der Grad besonders in den öffentlichen Einrichtungen hoch ist. Ebenso vertritt Vårdförbundet Hebammen und die im medizinisch-technischen Bereich Beschäftigten.
Aufgrund des demografischen Wandels wachsen in Schweden stetig die Bedarfe für Gesundheit und Pflege. Kosten sollen durch Kürzungen, Leistungseinschränkungen, Outsourcing und Privatisierung gedrückt werden. Mitarbeiter des Gesundheitswesens beklagen seit Langem zunehmende Arbeitsverdichtung, die Patienten lange Wartezeiten für Behandlungen und Operationen und in abgelegenen Regionen eine Ausdünnung des Netzes an Notaufnahmen und Gesundheitszentren.
Auch unter ihnen wächst der Unmut: Im Mai machten sich Dutzende Einwohner von Jokkmokk auf den Weg zu einer Kundgebung in Norbottens Provinzhauptstadt Luleå, um gegen eine geplante Einschränkung der Gesundheitsversorgung in ihrer Kommune zu protestieren. Das nächste Ärztezentrum in Gällivare liegt knapp hundert Kilometer vom Hauptort der samischen Kultur entfernt, bis zur nächsten Notaufnahme in Överkalix ist es noch einmal so weit. Wie in Norrbotten schließen vielerorts Zeitarbeitskräfte mehr schlecht als recht Personallücken.
Im Kampf um einen neuen Tarifvertrag argumentiert die Gewerkschaft, dass eine kürzere Arbeitszeit mehr Beschäftigte bewegen wird, in Vollzeit zu wechseln. Derzeit arbeitet in dem Sektor fast jeder Dritte in Teilzeit – die Belastungen der nicht adäquat bezahlten Berufe sind hoch und Überstunden die Regel. Die Forderung von Vårdförbundet ist politisch ein heißes Eisen, denn das Thema Gesundheit spielt bei Wahlentscheidungen eine große Rolle.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.