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KI-Forscher Paul Schütze: »Technik ist inhärent sozial«
Kann mit Künstlicher Intelligenz die Klimakrise gelöst werden? Der Ethiker Paul Schütze meint, wir müssten uns vor allem von Ideologien befreien
Herr Schütze, Sie unterscheiden zwischen zwei Perspektiven auf Künstliche Intelligenz (KI).Welche sind das?
Es gibt auf der einen Seite die zunehmend gängige Wahrnehmung von Künstlicher Intelligenz als eine über Algorithmen gesteuerte Technologie, die im weitesten Sinne als ein nützliches Werkzeug für verschiedene Zwecke eingesetzt wird. Das sind spezifische Anwendungen, wie beim wohl bekanntesten Chatbot ChatGPT, der auf Basis von Texten, Bildern oder Filmen, die man ihm eingibt, multimodale Outputs generieren kann. Das ist das Verständnis von KI, wie es medial am stärksten rezipiert wird und wie es in den meisten wissenschaftlich-technischen Diskursen aufgegriffen wird. Eine andere, vielleicht wichtigere Perspektive auf KI ist, dass Technik ja inhärent sozial ist. Jede Technologie ist immer schon soziokulturell in unsere Gesellschaft eingebettet. KI ist dabei nicht ausgeschlossen. Das heißt, wir müssen KI eigentlich nicht nur als Werkzeug oder als technologisches Instrument verstehen, sondern als ein System, das mit weiten Teilen der Gesellschaft verbunden ist.
Paul Schütze ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsgruppe Ethik & Kritische Theorien der Künstlichen Intelligenz an der Universität Osnabrück. In seiner Arbeit beschäftigt er sich mit den gesellschaftlichen Auswirkungen und ethischen Herausforderungen digitaler Technologien und der Klimakrise. Er hat einen Hintergrund in Sozialphilosophie, kritischer Theorie, Affect Studies und neueren Perspektiven der politischen Ökonomie.
Sie erwähnen in einem Ihrer Texte, dass KI mit Karl Marx als eine allgemeine Produktionsbedingung bezeichnet werden könnte. Was ist damit gemeint?
In einigen Debatten zur politischen Ökonomie von KI wird hervorgehoben, dass KI-Technologien dank ihrer Vielseitigkeit, ähnlich wie beispielsweise Elektrizität, heutzutage in fast allen Zweigen der kapitalistischen Wertschöpfung angewendet werden oder in naher Zukunft angewendet werden können. Das reicht von der Automatisierung von Produktionsprozessen in Fabriken oder der Optimierung von Infrastruktur, wie Stromnetze, über die Steuerung von selbstfahrenden Autos bis zu ihrer Anwendung für Dienstleistungen. Inzwischen bin ich hier jedoch etwas vorsichtiger. Vor allem in kritischen Debatten sollte man dem momentanen Hype nicht folgen. Mit der Bezeichnung von KI als allgemeine Produktionsbedingung läuft man Gefahr, KI zu sehr als allumfassende und transformative Technologie zu verstehen, der wir als Menschen gleichsam machtlos gegenübergestellt sind. Das finde ich problematisch. Vielmehr sollte die Erkenntnis im Mittelpunkt stehen, dass KI immer als gesellschaftliches Phänomen zu begreifen ist. Und es gilt eben diese gesellschaftliche Verwobenheit kritisch zu reflektieren.
Was halten Sie vom Begriff »KI-Kapitalismus«?
Ich denke, man sollte KI eher als ein Resultat der kapitalistischen Produktion begreifen, anstatt in ihr einen neuen Modus der kapitalistischen Entwicklung zu sehen. Die Autorin Kate Crawford bezeichnet KI zum Beispiel als eine Mega-Maschine und verweist damit auf die sozio-materielle Basis von KI, wonach KI auf einem ganzen Set an technischen Gegebenheiten beruht. Diese reichen von industrieller Infrastruktur, Lieferketten und Datenzentren, die über Unterseekabel global vernetzt sind, bis hin zu menschlicher Expertise und physischer Arbeit. Diese Mega-Maschine ist wiederum eingebettet ins kapitalistische System beziehungsweise dessen Resultat. Der Begriff des KI-Kapitalismus sollte demnach keinen grundlegenden Wandel des kapitalistischen Systems bezeichnen, sondern eher einen Perspektivwechsel im Hinblick auf die Wirkungsweise und den Stellenwert von KI innerhalb des Kapitalismus. Es ist nicht so, dass der KI-Kapitalismus beispielsweise den fossilen Kapitalismus abgelöst hätte und eine neue kapitalistische Entwicklungsstufe darstellt. Der KI-Kapitalismus ist eher eine Form des Kapitalismus, die parallel zu anderen Formen existiert. Dabei benötigt sie aber möglicherweise einen anderen Betrachtungswinkel, da sie meiner Meinung nach zentrale kapitalistische Dynamiken noch einmal intensiviert.
Intensiviert haben sich auch die Investitionen großer Tech-Firmen wie Google, Amazon, Meta und anderer in die Entwicklung von KI-Systemen. Was erhofft man sich von KI als Technologie?
Das ist natürlich eine schwierige Frage, die nicht monokausal beantwortet werden kann. Aber eine Dimension, die mich hierbei besonders interessiert, ist der Umstand, dass diese Unternehmen ja nicht nur Technologie, sondern Ideologien produzieren. Im Kapitalismus gab es immer Strömungen, die gesellschaftlichen Fortschritt mit technologischem Fortschritt gleichgesetzt haben. Diese Strömungen, die sich durch technologischen Fortschritt die Lösung gesellschaftlicher Probleme versprechen, lassen sich grob unter dem Begriff des Techno-Solutionismus zusammenfassen. Die Vorstellung einer entpolitisierten Technik, die in diesen Kreisen auch gerne propagiert wird, ist dabei natürlich nicht haltbar. Technologie ist immer auch an Vorstellungen davon geknüpft, was für eine Art von Gesellschaft als wünschenswert erachtet wird und welche Zukunftsvorstellungen es gibt. Und wenn man sich beispielsweise Werbevideos von Google zu ihren KI-Applikationen anschaut, stellt man fest, dass die Vorstellungen, die diese großen Tech-Unternehmen vom Fortschritt der Menschheit haben, doch sehr eindimensional sind. Hier geht es vor allem um eine Optimierung aller Lebensbereiche durch eine immer besser funktionierende KI, ohne die Grundvoraussetzungen des Kapitalismus infrage zu stellen.
In Ihrer Arbeit beschäftigen Sie sich schwerpunktmäßig auch mit dem Zusammenhang von KI und Klimakrise. Worin besteht dieses Verhältnis?
Als erstes lässt sich hier festhalten, dass an KI als ein technisches Werkzeug sehr konkrete Hoffnungen auf die Bewältigung der Klimakrise geknüpft sind. Etwa soll KI dabei helfen, Infrastrukturen in der Stadt effizienter zu gestalten oder Wettervorhersagen zu verbessern, um Naturkatastrophen genauer vorhersagen zu können. Das sind natürlich an sich gute Anwendungen.
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Aber?
In dieser naiven Hoffnung auf KI spiegelt sich die Ideologie der Techno-Solutionisten wieder. Wenn man sich nämlich die sozio-materiellen Verflechtungen von KI mit dem Kapitalismus bewusst macht, erkennt man, dass die systemischen Probleme der Klimakrise mit KI-Lösungen gar nicht erst in den Blick rücken. Die Hoffnungen auf eine bessere Zukunft, die sich auf KI stützen, verkennen zum einen die extraktivistischen und kolonialen Hintergründe dieser Technologie, deren Entwicklung massiv auf Ressourcenausbeutung basiert. Zum anderen mündet diese Vorstellung oft in einer naiven Idee von einem grünen Kapitalismus, in dem weiterhin Profit maximiert und Ressourcen ausgebeutet werden, allerdings mit Hilfe von KI »nachhaltig«. Hier wird ein weiterer Punkt deutlich: die Verschiebung diskursiver und wahrnehmbarer Grenzen durch KI. Zum Beispiel wird KI eingesetzt, um schon zur Neige gehende Ressourcen wie einige Seltene Erden noch effizienter und kleinteiliger abbauen zu können, statt sie zu bewahren. Der Diskurs um die Ressourcenausbeutung wird dabei verwässert, die Grenzen werden nach hinten verschoben. Dabei werden auch die eigentlich notwendigen systemischen Fragen danach, wie eine gerechte und klimaresiliente Gesellschaft ohne die Ausbeutung von Menschen und Natur aufgebaut sein könnte, in den Hintergrund gedrängt.
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